Kleine Sammler, große Schätze
Ob Stofftiere, Steine, Actionfiguren, Sticker oder Bierdeckel: Kinder lieben es, zu sammeln! Das stellt Eltern nicht selten vor eine große Herausforderung, gilt es doch, diese Sammelleidenschaft gleichermaßen zu unterstützen als auch Einhalt zu gebieten.
Wir Menschen sind Jäger und Sammler gleichermaßen. Das ist uns schon in die Wiege gelegt: Wir jagen in die Welt hinaus, wollen sie kennenlernen, sie entdecken, jedes einzelne Detail, wollen sie verstehen und uns zu eigen machen.
Kurz: Wir versuchen, die Welt um uns herum einzusammeln. „Sammeln ist etwas ganz Natürliches“, bestätigt auch die Wiener Kinderpsychologin Simone Fröch: „Kinder erleben durch das Sammeln von Dingen die Welt und machen sie sich vertraut.“ Zuerst, im Kleinkindalter, geschieht dies vollkommen unsystematisch, erklärt die Expertin: Da wird ein Stein beim Spazierengehen mitgenommen, ein Schneckenhaus, das im Garten gefunden wurde, stundenlang in der Hand gehalten oder ein Kronkorken in die Hosentasche gesteckt. „Kleine Kinder sammeln, was ihnen gefällt oder was sie an etwas erinnert“, so Fröch. „Sammelobjekte sind immer mit Gefühlen ‚aufgeladen‘ und stellen eine Art Übergangsobjekte dar. Vielleicht wollen sich Kinder die guten Gefühle vom Ausflug mit nach Hause nehmen, wenn sie sich Stock und Stein mitnehmen.“
Schon allein aufgrund dieser emotionalen Bindung an Objekte fordert die Psychologin: „Das kindliche Sammeln soll ernst genommen werden! Kinder identifizieren sich mit ihrer Sammlung, die einen Teil ihrer Persönlichkeit widerspiegelt.“ Nachsatz, der zumÜberlegen anregt: „Dinge geben Kindern ein Gefühl von Sicherheit. Denn an angreifbaren Dingen kann man sich festhalten.“
Sammeln ist Lernen
Spätestens im Volksschulalter entwickelt sich das kindliche Sammeln zu einem „systematischen Sammeln“, sprich: Kinder konzentrieren sich auf ganz bestimmte, ausgewählte Objekte, von denen sie immer mehr besitzen möchten. Nicht selten handelt es sich hier um kommerzielle Sammlungen wie Sammelkarten, (Action-)Figuren, Comics, Stofftiere oder Sticker. Aber auch Naturmaterialien wie Muscheln, Steine oder besonders schöne Blätter rufen in vielen (Kindergartenund Volksschul-)Kindern eine rege Sammelleidenschaft hervor. Gut so, meint Psychologin Fröch: Denn auch wenn so manche Sammelleidenschaft des Kindes die Eltern den letzten Nerv kosten mag, so ist diese umso wichtiger für die kindliche Entwicklung. Denn Sammeln ist mehr als nur Zeitvertreib:
Vielmehr ist es Lernen,ohne als solches wahrgenommen zu werden. Da wäre zum einen die bereits erwähnte Welterfahrung, die auch für kommerzielle Sammlungen gilt: Ein Ausschnitt einer (anderen) Welt wird nach Hause gebracht und somit zum Teil der eigenen Welt, die gerade im Begriff ist, immer größer, bunter, fantasievoller und spannender zu werden. Fröch ergänzt: „Durch die intensive Beschäftigung mit den gesammelten Dingen eignen sich Kinder gezieltes Fachwissen an. Das alles entspringt ihrem ureigenen, freiwilligen Interesse, geschieht auf spielerische Art und Weise, kombiniert mit einer großen Portion Begeisterung – eine optimale Voraussetzung für Lernen.“
Gleichzeitig kommt es zu einer Rollenumkehr: „Kinder entwickeln sich zum Experten, wissen oft mehr als Erwachsene und beeindrucken damit. Das macht sie stark und selbstbewusst.“
Vom Sortieren und Vergleichen
Damit einher geht ein soziales Wachsen: „Kinder machen sich für andere interessant, wenn sie ihreSchätze herzeigen, untereinander fachsimpeln und Dinge mit anderen Gleichgesinnten austauschen“, erklärt Fröch. Kleine Sammler sind neugierig, kreativ, fantasievoll und experimentierfreudig. „Sammeln trainiert vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten, unter anderem: genaues Hinsehen, Vergleichen, Ähnlichkeiten und Unterschiede erkennen, Sortieren, Ordnen, Kategorien bilden, Systematisieren, Aufmerksamkeit und Konzentration, Geduld, Geschicklichkeit und vieles mehr!“
Nicht zuletzt kann durch das Sammeln die Eltern-Kind-Beziehung gestärkt werden, beispielsweise wenn die Eltern gemeinsam mit dem schmetterlingsbegeisterten Kind ein Schmetterlingsbuch anlegen. Bei Familienspaziergängen kann in diesem Fall gemeinsam nach noch unbekannten Schmetterlingsarten Ausschau gehalten und diese im Buch festgehalten werden. „So wird das Sammeln zum kreativen Familienereignis!“, ist Fröch überzeugt.
Respektvolle Grenzen
Auch wenn Sie die Leidenschaft Ihres Kindes nicht nachvollziehen können: Nehmen Sie das Sammeln trotzdem ernst, begegnen Sie dem kindlichen Bedürfnis mit Respekt und versuchen Sie nicht, Ihre eigenen Interessen dem Kind aufzuzwingen. „Kinder sollen ihre eigene Neugier entfalten können und nicht etwas tun, nur um es den Eltern recht zu machen oder jemand anderem zu gefallen“, gibt Fröch zu bedenken.
Was aber tun, wenn das Kind mit Herzenslust ein Zuckerlpapier nach dem anderen hortet oder für benutzte Flaschenstöpsel eine endlose Begeisterung entfaltet? „Kinder sehen die Welt mit anderen Augen. Was für Erwachsene eklig ist, sind für Kinder Schätze.“ Trotzdem gilt es hier, betont die Psychologin, Grenzen zu setzen. Denn genauso wie Dinge Sicherheit geben, gibt auch das Eingrenzen des Sammelns Sicherheit, so Fröch: „Ein Kind, das uneingeschränkt anhäufen darf, steht unter Stress. Wenn Eltern Grenzen setzen, schaffen sie damit Freiräume. So kann sich das Kind mit anderen Dingen beschäftigen und sich für Neues interessieren.“
Sammeln mit Regeln
Beim Sammeln von Naturmaterialien sollte nur so viel mitgenommen werden, wie das Kind selbst tragen kann. Fröch: „So wird der Sammelleidenschaft der Kinder auf ganz natürlich Art und Weise eine Grenze gesetzt.“ Ähnliches gilt im Kinderzimmer: Hier darf nur so viel gesammelt werden, wie in der Kiste oder im Regal Platz hat – oder wie viel das Taschengeld hergibt! „Reden Sie mit Ihrem Kind darüber, was es von den angehäuften Dingentatsächlich braucht und was nicht.“ Wieso mit den gesammelten Dingen nicht kreativ umgehen? Stöcke zum Beispiel können nach einiger Zeit für ein Lagerfeuer verwendet werden. „Ein Foto davon dient als emotionale Erinnerung“, rät Fröch. Anstatt nach jedem Zooausflug ein Stofftier zu kaufen, kann auch hier ein Foto mit dem geliebten Tier ein emotionaler Ersatz sein. Fröch betont: „Was Sie als Eltern keinesfalls tun dürfen: etwas hinter dem Rücken des Kindes aus seiner Sammlung entfernen. Das ist grenzüberschreitend und verletzt die Privatsphäre des Kindes. So ein Eingriff kann das Vertrauen des Kindes in die Eltern erschüttern.“
Die Grenze zur Obsession
Wie bei allem, was Spaß macht, kann auch beim Sammeln die Leidenschaft zu einer Obsession ausarten. „Manchmal hortet ein Kind immer mehr und mehr Schätze und zeigt massiven Widerstand beim geringsten Versuch, das einzuschränken. Dann steckt vielleicht ein Problem dahinter, das sich in zwanghaftem Sammeln und Behalten seinen Ausdruck sucht“, beschreibt Fröch die Grenze zwischen Sammelfreude und Sammelwut. Die Ursachen für Sammelzwang sind sehr vielfältig. Wenn das Sammeln zu exzessiv wird, zu lange andauert und die Lebensqualität mindert, rät Fröch den Eltern, sich zu fragen, was dahinterstecken kann. Will das Kind ein schlechtes Gefühl vermeiden? Fehlt dem Kind etwas anderes, das es mit der Anhäufung von materiellen Dingen zu kompensieren versucht? Geht es um den Versuch, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen? Kann das Kind keine Prioritäten setzen? „Im Notfall hilft es, einen Experten aufzusuchen“, ist Psychologin Fröch überzeugt.
Übrigens: Fragt man Kinder, wieso sie so gerne sammeln, fällt die Antwort eindeutig aus: „Weil es schön und lustig ist!“ Klar, was sonst?
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