Lass’ die Pippi in dir raus!
Vor 75 Jahren schuf die Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren die Romanheldin Pippi Langstrumpf. Seither ist das mutige und unangepasste Mädchen mit den roten Zöpfen Vorbild für viele Mädchen und Frauen. Wir haben Frauen gefragt, warum Pippi bis heute nichts an Aktualität und Vitalität eingebüßt hat – gerade in Corona-Zeiten, wo Frauen schnell einmal auf Haushalt, Kinder & Co getrimmt werden.
Das Gesicht übersäht mit Sommersprossen, karottenrote Zöpfe, übergroße Schuhe und verschiedenfarbige Strümpfe. Rein äußerlich entspricht sie so gar nicht dem gängigen Mädchen-Ideal. Eine Außenseiterin ist Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf deshalb aber noch lange nicht. Pippi strotzt nur so von Selbstbewusstsein, schließlich ist sie das stärkste Mädchen der ganzen Welt. Mit ihren neun Jahren nimmt sie es locker mit dem berüchtigten Schwergewicht August auf, bezwingt die beiden Ganoven Blom und Donner-Karlsson und stemmt ihr eigenes Pferd mit Leichtigkeit in die Luft. Obwohl sie in der Villa Kunterbunt ohne Eltern lebt, führt Pippi ein selbstständiges und angstbefreites Leben. So eigenwillig wie ihr Umfeld ist auch ihr Charakter. Pippi ist frech, mutig, großzügig, hilft Schwächeren und hinterfragt Dinge kritisch, die als gegeben gelten.
Seit 75 Jahren gibt es die von Astrid Lindgren geschaffene Kinderbuchheldin, die von Schweden aus eine regelrechte Revolution in den Kinderzimmern anzettelte. Pippi verkörpert genau das, was Kinder sich immer schon wünschen: Abenteuer, Mut, Freiheit und Superkräfte. Zudem keine Hausaufgaben machen, selber entscheiden, wann es abends ins Bett geht und Süßigkeiten ohne Ende. Ganz anders noch waren die Hauptfiguren der Kinderbücher für Mädchen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Brave Prinzessinnen etwa, die auf ihren Prinz warteten. Oder wohlerzogene Mädchen, bei denen alles daraufhin zielte, eine kinderreiche Mama und Hausfrau zu werden. Kein Wunder, dass Pippi Langstrumpfs radikale und freie Art zu Leben auf ganze Generationen von Frauen und Mädchen große Wirkung zeigte. Und so mutierte die unkonventionelle Pippi spätestens mit der Verfilmung der Bücher, also ab den 1968er Jahren, zur Symbolfigur der Frauenbewegung.
Idol der Emanzipation
Doch wie aktuell ist Pippi nun eigentlich heute? Inwiefern taugt sie noch als Heldin der weiblichen Emanzipation? Schließlich ist die Welt von heute ja gar nicht mehr so spießig und konservativ wie es in der Mitte des vorigen Jahrhunderts großteils der Fall war. Und nicht nur das. Auch unsere Arbeitswelten haben sich verändert. Männer managen immer öfter Kinder, Haushalt & Co und auch Frauen haben Geld, Status und Macht erlangt. Doch gerade die Corona-Krise hat gezeigt, dass es einmal mehr die Frauen sind, die sich um Hausaufgaben, Putzen und Kochen kümmern und somit ihren Vollzeit arbeitenden Männern den Rücken frei halten. So war und ist derzeit viel die Rede von einem Backlash – also einem Zurück zu alten Rollenverteilungen. Zu einem Arbeitsalltag, in dem vor allem Frauen schnell einmal von Haushalt, Kindern & Co eingenommen werden.
Gerade aber weil die Krise verstärkt sichtbar gemacht, wer sich in unserer Gesellschaft hauptsächlich um diejenigen kümmert, die auf uns angewiesen sind, glauben Historiker und Trendforscher an die Chance eines Neudenkens. Es sei demnach nicht nur höchste Zeit, dass Tätigkeiten wie Haushaltführen, Putzen, Krankenpflege oder Kinderfürsorge, die unsere Gesellschaft immerhin zusammenhalten, mehr Wertschätzung erfahren. Laut Experten könnte es jetzt auch ein guter Moment sein, um von der bekannten Geschlechterdebatte überzugehen in eine generelle „Familiendebatte“. Gefragt seien dabei Ideen, wie Familie und Beruf in einer Leistungsgesellschaft nebeneinander bewältigt werden können ohne den viel zitierten Spagat der Paare als zermürbenden Kraftakt. Wie also faire Rollenverteilungen und familientauglichere Arbeitswelten in Zukunft aussehen können. Und auch wie Familienarbeit vom Klischee der Verbannung der Frau an den Herd und dem Fluch des vermeintlichen Karriererückschritts gelöst werden kann, in dem Bedürfnisse von Müttern, Vätern und Kindern gleichermaßen Berücksichtigung finden.
Die Rettung des kindlichen Ichs
Die Schriftstellerin Hedy Wyss hat in der Zeitschrift EMMA einmal geschrieben: „Pippi Langstrumpf zeigt, wo die Befreiung der Frau ihre Wurzeln hat: in der Befreiung des Kindes“. Pippi ist unabhängig, sich selbst gerecht, sie lässt sich nicht verbiegen oder manipulieren. Sie lobt sich selber und macht sich nicht von der Zustimmung anderer abhängig. Von so viel Selbstgefühl können viele Große nur träumen. Denn in Wirklichkeit verkörpert Pippi nichts anderes als die Ideale eines emanzipierten Erwachsenen – egal ob Mann oder Frau. Insofern könnte Emanzipation für uns alle bedeuten, wieder etwas mehr Pippi zu sein. Also uns so anzunehmen, wie wir sind und uns vor allem auch zu trauen, für unsere Bedürfnisse gerade zu stehen.
„Jede Krise ist eine Chance!“
Biljana Rachenzentner, 46, Modedesignerin, Mama von zwei Mädchen, 17 und 12
Pippi ist für mich das Symbol einer Powerfrau schlechthin. Ihr Mut, ihr Humor und ihre Stärke haben mich schon als Kind sehr beeindruckt. Noch dazu die Tatsache, dass sie ein Mädchen ist. Pippi bleibt sich außerdem immer treu und handelt aus Überzeugung – unabhängig davon, was die Leute denken. Als ich jünger war, habe ich immer danach gestrebt, genauso zu handeln. Mir wird heute erst bewusst, mit welchem enormen Reifeprozess selbstbewusstes Handeln und Selbstakzeptanz eigentlich verbunden sind. Ich wusste zwar schon immer, wie ich mein Leben gestalten will. Erst jetzt in meinen 40ern empfinde ich es so, dass ich es auch richtig genießen kann, mir selbst treu zu sein. Das ist ein unheimlich schönes Gefühl. Und eine Entwicklung, die im Grunde nicht aufhört. Denn dieses Sichtrauen und Mut für Neues haben, nicht gedanklich festgefahren sein, sich immer weiter entwickeln, an unser kreatives Potential glauben – das alles macht unsere Stärke aus – gerade auch in schwierigen Zeiten. So versuche ich auch in der Coronakrise immer optimistisch und lösungsorientiert zu denken. Für mich persönlich als gebürtige Serbin waren die Kriegserfahrungen meiner Jugend weit schlimmer. Als 25-Jährige bin ich damals mit dem Bus auf riskante Weise vor den Bomben aus meiner Heimat geflohen. Die Gefahren des Krieges haben mich vor allem eins gelehrt: in jeder Krise steckt auch eine Chance.
„Es muss nicht alles perfekt sein!“
Birgit Greimel, 36, HR-Manager, Mama von zwei Buben, 5 und 7
Ich fand ja schon Pippis Namen total cool! Gott sei Dank hab ich kein Mädchen bekommen 🙂 Was für mich an Pippi so faszinierend und gleichsam inspirierend ist: sie jammert nie. Im Gegenteil: wenn etwas für sie nicht in Ordnung ist, dann packt sie es an und zögert nicht lange herum. Das hab ich schon als Kind an ihr geliebt und ein bisschen hat mich das auch fü mein Leben fasziniert. Net lange herumjammern – sondern versuchen, die Dinge zu ändern, es zumindest probieren. Auch auf unkonventionelle Art und Weise. Außerdem ist Pippi überhaupt nicht perfekt, sie hat nicht die besten Noten, sie hat nicht die besten Manieren, aber sie steht zu sich selbst – und macht sich ihre Welt wie sie IHR gefällt. Ich finde die Vorstellung schön, dass nicht alles perfekt sein muss, um ein glückliches Leben zu haben. Das sieht man in unserem Chaos im Haus – nix ist perfekt, aber ich fühl’ mich total wohl darin. Was ich an Pippi übrigens immer blöd fand ist, dass sie oft flunkert – und jeder hat es ihr verziehen. Das fand ich schon als Kind total unfair.
„Es gibt nicht nur männliche Helden!“
Birgit Sigl-Worel, 37, Finanzwirtin, Mama einer Tochter, 4
Pippi hat mich schon immer fasziniert, weil sie sich nicht um vermeintliche Autoritäten schert, sich immer authentisch verhält und so sich selbst treu bleibt. Ihre Superkräfte setzt sie keinesfalls manipulativ ein, sondern stets verantwortungsvoll. Allein die Tatsache, dass Pippi ein erst neunjähriges Mädchen mit solchen Superkräften ist, ist für mich eine starke Message: nämlich dass es nicht immer nur die typischen männlichen Helden sind, die die Welt prägen, sondern dass Mädchen genauso stark und mutig sein können und sich so die Welt gestalten können, wie es ihrem Wesen gerecht wird. Als Mädchen-Mama möchte ich meiner vierjährigen Tochter dieses Verständnis von Souveränität und Mut weitergeben. Und dazu gehört vor allem, dass man mit der richtigen Portion Selbstbewusstsein, Authentizität und Eigenverantwortung im Leben immer selber das Ruder in der Hand hat.
„Jeder verdient Wertschätzung – unabhängig von Leistung!“
Melanie Antonius, 47, Selbständige Beraterin, Mama von drei Buben, 9, 11 und 13, Haushaltsmanagerin, Hilfslehrerin, Putzfrau, Köchin, Coach und vieles mehr 🙂
Als ich in den 1980er Jahren die Pippi-Filme gesehen habe, war das Unkonventionelle für das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, nicht mehr so revolutionär. Nichtsdestotrotz war Pippi etwas Besonderes für mich, weil sie unglaublich stark und gerecht war und immer ihre Meinung gesagt hat. Gleichzeitig war auch klar für mich: ich kann das auch. Nämlich nicht Pferde stemmen, aber mein Leben so gestalten, wie ich es möchte. Gerade als Buben-Mama ist es mir wichtig durch meine Erziehung zu vermitteln, dass jeder Mensch – ob Mädchen oder Bursche – individuell ist und das werden soll, was er will. Im Übrigen glaube ich, dass alle Kinder ein bisschen so wie Pippi auf die Welt kommen. Kinder wissen, wer sie sind und was sie wollen. Es liegt an uns Großen, ihnen dabei zu helfen, diese Fähigkeit zu bewahren und sie nicht zu verformen. Die Corona-Krise hat auch sichtbar gemacht, welchen Wert Leistung in unserer Gesellschaft hat. Umso wichtiger ist es für mich, allen Menschen Wertschätzung entgegenzubringen – egal ob jemand Manager oder Krankenschwester ist. Vor meinen Kindern habe ich als Architektin gearbeitet und dann kamen 14 Jahre Vollzeit-Mamasein, in denen ich unglaublich viele Kompetenzen erworben habe. Ich finde, dass Frauen, die Mamasein als erfüllende Vollzeitstelle erleben, sich heutzutage keinesfalls schlecht fühlen sollen.
„Leichter leben mit skandinavischer Leichtigkeit!“
Steffi Rasmussen, 34, Flugbegleiterin, Mama von zwei Mädchen, 3 und 6 Jahre
Als Kind war ich begeistert von Pippis Stärke und von der Tatsache, dass sie so anders ist als alle anderen. Mit ihren roten Haaren, den Sommersprossen, dem abgewetzten Gewand hätte sie rein optisch auch als Außenseiterin abgestempelt werden können. Pippi war aber genau das Gegenteil – und das habe ich sehr bewundert: eine mutige, starke Persönlichkeit, die gerade mit ihrem Anderssein punktet. Toll fand ich auch immer, dass Pippi nie wirklich ein Problem mit dem Alleinsein hatte. Sie denkt außerdem immer positiv, sieht das Gute und hat immer eine originelle Lösung für Probleme parat. Frei nach Pippis Motto: Das habe ich noch nie versucht, also geht es sicher gut. Ich nenne das auch die „skandinavische Leichtigkeit“, eine Lebenseinstellung, die ich auch von meinem Ehemann – ein Däne – gut kenne und von der ich mir immer wieder was abschauen kann. Diese positive Grundhaltung möchten wir unbedingt auch an unsere Kinder weitergeben.
„Als Revoluzzer war mein Papa auch eine Art Pippi!“
Csilla, 64, ehemalige Flugbegleiterin, Pensionistin, Mutter von vier Kindern, 40, 34, 32, 27, leidenschaftliche Oma von 2 Enkelkindern
Mir hat immer Pippis Courage gefallen. Das war auch in meinem Leben und für die Erziehung meiner Kinder wichtig: sich trauen, den Mund aufzumachen, wenn einem etwas gegen den Strich geht. Und zu sich selbst und seiner Meinung stehen, auch wenn andere das anders sehen. Ich wollte immer, dass meine Kinder dagegen halten, sollten sie spüren, dass etwas nicht gerecht ist. Vielleicht liegt das auch in unseren Familiengenen. Mein Vater war ja auch eine Art Pippi. Ich bin im ungarischen Kommunismus als Älteste von vier Kindern geboren und wir mussten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Österreich fliehen als ich noch ein Baby war. Mein Papa war ein richtiger Revoluzzer und ist immer aus der Reihe getanzt. Ein Idealist, der sich gegen das Regime gestellt und dabei auch sein Leben riskiert hat. Ich habe seinen Mut immer sehr bewundert. Als ich selbst Kinder bekommen habe, war ich eine strenge Mama, weil ich die vier Kinder und den Haushalt mehr oder weniger alleine geschupft habe. Mir die Welt so machen, wie sie mir gefällt, das hat mir als Jugendliche gefallen, später als Mutter musste ich aber auf vieles verzichten. Zum Glück schauen Frauen heute mehr auf sich und Männer kümmern sich auch um Kinder und Haushalt. Frauen sind heute viel selbstbewusster und auch die Mädchen werden so erzogen, dass sie nicht von den Männern abhängig sind und gut auf eigenen Beinen stehen können.
„Ich liebe Pferde, Freiheit und die Natur!“
Ilvie Rasmussen, 6 Jahre
Pippi Langstrumpf bewundere ich, weil sie ganz alleine ohne Eltern lebt und alles selbständig macht. Sie entscheidet selber, wann sie schlafen geht oder wieviel sie nascht. Auch ihr eigenes Pferd ist sehr cool, ich selber mag Pferde auch voll gern. Deshalb mag ich auch Serien wie „Yakari“ und „Mogli“ sehr gerne. Viele Mädchen finden gerade Elsa gut. Die hat mir auch einmal gefallen, jetzt nimmer so. Lieber mag ich alles mit Pferden, mit Freiheit und viel Natur – das ist genau mein’s.
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