Coronavirus

Coronakrise: Resilienz als positive Kraft

Störungen stellen unser Leben auf den Kopf. Doch wenn der Mensch die richtigen Wege findet, konstruktiv mit ihnen umzugehen, können sich Störungen und Resilienz positiv auswirken.

Sujetbild Resilienz

Ob im System Mensch, Gesellschaft oder Technik: Störungen sind kaum vermeidbar. Wie können Mensch und Maschine sinnvoll reagieren und wie können sie aus solchen Situationen lernen?

Störungen lösen häufig das Gefühl von Unsicherheit aus – wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen. «Wir fühlen uns in unserem Macht-​ und Kontrollgefühl eingeschränkt», erklärt Petra Schmid, Assistenzprofessorin für Organisationsverhalten. Diese Unterbrechungen setzen eine ganze Kette von Reaktionen in Gang. «Wird der normale Tagesablauf beeinträchtigt, so müssen wir mehr Selbstkontrolle aufwenden, um diese Störung auszugleichen», sagt die Psychologin. Wir haben mehr Mühe, uns zu konzentrieren, und verlieren schneller den Fokus.

Wie sich eine Störung auf die Resilienzkraft auswirkt, ist von der betroffenen Person abhängig. «Je nachdem, wie anfällig die jeweilige Person ist, kann sie dank der richtigen Resilienzstrategie gestärkt aus einer negativen Erfahrung hervorgehen», betont Schmid.

Ohne Störung kein Fortschritt?

Auch wenn Störungen in erster Linie unerwünscht sind, können sie in der Folge aber auch einen Sekundärgewinn bieten – sie geben Raum für Möglichkeiten, etwas zu ändern. «Eine Störung kann für Umbruchsstimmung sorgen, die man nutzen kann», ist die Psychologin überzeugt. Zeiten der Veränderung können genutzt werden, um zu reflektieren und sich auf die eigentlichen Werte zu besinnen: Was ist wirklich wichtig? Was will ich wirklich? Sie führt weiter aus: «Es ist oft so, dass man in Zeiten, in denen weniger Störungen auftreten, eher weniger motiviert ist für solche Überlegungen.»

Auch der Blick auf die Geschichte zeigt: Es gab als Folge eines Defizits besonders viel Veränderung und Fortschritt, weil die Menschheit bestrebt war, den gestörten Zustand auszugleichen. Im Umkehrschluss: Gibt es ohne Störungen keinen Fortschritt?

Petra Schmid bejaht die Frage: «Beeinträchtigungen des alltäglichen Trotts fördern Kreativität und Innovation.» Ohne Defizite würde der Mensch nicht viel verändern wollen. So sieht sie auch in der Coronapandemie positive Aspekte: Neue Arbeitsformen seien entstanden und Menschen würden sich mehr Zeit für Hobbys nehmen, für die sie in normalen Zeiten nicht die Zeit gefunden hätten – ob es nun um ein neues Sportprogramm gehe oder darum, eine neue Sprache zu lernen oder an sich selbst zu arbeiten.

Erpicht auf Normalität

Der ETH-​Kognitionswissenschaftler Christoph Hölscher befasst sich mit verschiedenen Formen der Resilienz, nicht nur beim Menschen: «Die Resilienz als solche kann auf verschiedene Disziplinen angewendet werden.» Denn jedes System kennt zwei Zustände: den Normalzustand und den gestörten Zustand. Ein System kann dabei ein Mensch, eine technische Infrastruktur oder die Kombination aus beidem darstellen. Wird das System gestört, so ist das System erpicht darauf, wieder in den normalen Zustand überführt zu werden.

Somit kann das Prinzip der Resilienz beim Menschen auch auf technische Systeme angewendet werden, sofern diese Systeme adaptiv auf die Umwelt reagieren können. «Einer der Wege, Resilienz entwickeln zu können, ist die adaptive Kognition», sagt Christoph Hölscher. Das bedeutet die Fähigkeit, adäquat auf seine Umwelt reagieren zu können und aus Herausforderungen zu lernen. «Egal, ob Mensch oder Maschine – sie lernen immer dann, wenn etwas nicht im Standardrahmen stattfindet.»

Formel für mehr Resilienz

Den Wissenschaftler interessiert in diesem Kontext besonders, wie eine Maschine von ihrem Benutzer lernt und umgekehrt. Wie müssen beispielsweise Beatmungsgeräte im MedTech-​Bereich gestaltet sein, damit die Menschen sie auch in Stresssituationen schnell und zielführend bedienen können? Aus seiner Sicht gibt es dazu zwei wichtige Strategien: «Anzuerkennen, dass es kein perfektes System gibt, ist der erste Schritt. Viel wesentlicher ist aber, dass die Benutzenden die nötige Expertise aufbauen müssen, um mit dem Gerät umgehen zu können.» Konkret bedeutet das, mit dem System zu üben – zuerst im normalen Zustand und ohne Stressfaktor – und dann kontinuierlich den Stressfaktor im Training zu erhöhen. So wird das auch bei Cockpit-​Trainings gemacht, wo Mensch und Maschine eng miteinander arbeiten müssen.

«Unabhängig von der Expertise und der Ausgestaltung technischer Systeme ist jedoch der persönliche Faktor entscheidend. Wie gehen die Betroffenen mit Stress um?», fügt Hölscher hinzu. Dabei sei der Grad, in dem man die Störung nach innen oder aussen attribuiere, entscheidend. Gibt man sich selbst oder der Situation die Schuld? Hölscher: «Ein bestimmtes Mass an Eigenverantwortung ist zentral, doch zu viel eigene Schuldzuweisung kann die betroffene Person blockieren.»

Treiber für Veränderung

Tatsache ist: Störungen sind nötig, um Transformationsprozesse in Gang zu bringen. «Sie bieten das Potenzial für nachhaltige Veränderungen», sagt Hölscher. Ähnlich wie Schmid sieht auch er die Pandemie als Störfall, der gleichzeitig als Beschleuniger für gewisse Trends und Innovationen wie Homeoffice und Videokonferenzen wirkt. Störungen können positive individuelle, aber auch gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen – jedoch stets zu einem gewissen Preis, betont der Kognitionswissenschaftler. Entscheidend seien dabei geeignete Copingmechanismen und die nötige Anpassungsfähigkeit der involvierten Systeme. Mittels Reflexion und der nötigen Expertise können Störungen und Resilienz eine positive Kraft entfalten.

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