Was macht die Corona-Pandemie mit der Psyche der Kinder?
ExpertInnen schlagen schon seit einigen Monaten Alarm. Lockdowns und Isolation haben die Psyche der Kinder in Österreich stärker geschädigt als es die meisten Erwachsenen wahrnehmen wollen. Was die Pandemie mit den Kinderseelen macht, wie man helfen kann, den Gemütszustand der Jüngsten zu verbessern und warum es mehr professionelle Betreuungsstellen braucht, vor allem mehr TherapeutenInnen für Kinder und Jugendliche.

Um als Elternteil und/oder Erziehungsberechtigte/er die Kinder und Jugendlichen in dieser Zeit der Pandemie zu verstehen und die Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen, benötigt es Zeit und Beziehung. Über die Beziehungsebene gelingt es den Eltern zwar nicht „in die Köpfe“ ihrer Schützlinge hineinzusehen, jedoch kommen wir mit einer wertschätzenden, empathischen Haltung sehr viel weiter. Die Perspektive zu wechseln und einige Momente, Stunden oder einen Tag aus der Perspektive eines Kindes und Jugendlichen zu denken und zu fühlen, würde uns als Erwachsene womöglich neue Blicke ermöglichen sowie ein breiteres Verständnis eröffnen – kurz gesagt, uns näher an die Kinder und Jugendlichen bringen, zu erspüren und ihre Lebenssituation nachzuvollziehen.
Was macht die Pandemie tatsächlich mit den Kindern?
Dies pauschal zu beantworten ist natürlich nicht möglich, da jedes Kind individuell auf neue Situationen reagiert, die Anpassungsleistungen erwarten, in welcher wir uns seit mehr als einem Jahr ständig befinden. Anpassen an den Lockdown und das Homeschooling, Anpassen an sich immer ständig ändernde Auflagen und Corona-Maßnahmen, Anpassen an die Tatsache mit Masken in der Klasse zu sitzen, das Lächeln der MitschülerInnen vielleicht nur im Pausenhof zu erhaschen oder überhaupt meine Freunde erst zu sehen.
Die Kinder und Jugendlichen reagieren unterschiedlich auf diese Veränderungen, jedoch was für alle gilt, sind die großen Veränderungen, die eigentlich für schulpflichtige Kinder und Jugendliche in diesem Alter nicht gewöhnlich sind.
Die Zeit zu Hause und die Zeit mit den Eltern
Wenn Eltern zu mir in die Beratung kommen und eine Therapie mit dem Kind und dem Jugendlichen andenken, wird genau exploriert, wie das Kind sich verhält und empfindet. Psychoedukation, auch mit den Eltern, ist hier oft hilfreich. Ich rege sehr oft dazu an, die Perspektive zu ändern. Die Zeit, welche viele Kinder (und vor allem Jugendliche!) innerhalb des Pandemie-Jahres mit den Eltern verbracht haben, ist in unserem Kulturkreis eine ungewöhnlich lange Zeit. Während der Schulpflicht sind die Kinder eigentlich in der Schule und nicht zu Hause.
Kinder brauchen ihre KlassenkollegenInnen um sich zu finden und zu entwickeln. Dies heißt nicht, dass die Eltern ein schlechter Umgang sind, aber Kinder und Jugendliche benötigen dringend GLEICHALTRIGE.
Vor allem Jugendliche brauchen Peer-Groups, sollen erleben wie sie sich innerhalb einer Gruppe verhalten, haben das natürliche Bedürfnis sich auszuprobieren, Interessen auszuüben, neue Kontakte zu knüpfen und sich zu verlieben. 500 Stunden mehr mit der eigenen Mutter oder dem Vater zu verbringen, bedeutet 500 Stunden weniger mit den Menschen zu verbringen, die in diesem Lebensabschnitt auch zu einer gesunden Entwicklung der Psyche beitragen.

Isolation, Depression, Lustlosigkeit
Die Schule samt Vormittags-, Nachmittagsunterricht und auch Nachmittagsbetreuung nicht zu besuchen oder auch externe Aktivitäten nicht ausüben zu können, kann zu Lustlosigkeit und einem Gefühl führen, das Leben wie es ist, so nicht zu mögen. Jetzt erst merken viele, wie schön es war ohne es planen zu müssen jeden Tag die Sicherheit gehabt zu haben zumindest 20 SchulkollegenInnen zu sehen. Das wären mindestens 100 Gesichter die Woche, welche man in Präsenz sieht, mit 50 wechselt man vielleicht mehrere Wörter, mit 20 ergeben sich Gespräche. Das macht Kinder und Jugendliche lebendig und sie spüren das Leben. Isolation zu Hause, planen zu müssen, wann rufe oder sehe ich 20 Personen in einem Chat-Room ist unnatürlich und anstrengend. Vielleicht war es am Anfang noch amüsant und spannend, Jugendliche vernetzen sich schnell online, jedoch nach einem Jahr wünschen sich die Kinder und Jugendlichen einfach Normalität und Sicherheit, Kontakte „in Präsenz“ zu spüren.
Das ermöglicht Schule. Die Freizeitaktivitäten bedeuten einen Ausgleich und eine Abwechslung, welcher im Homeschooling oft nicht möglich war und nicht gelebt wurde. „Jeder Tag ist gleich, ich sitze nur vor dem Computer, auch das Wochenende wird ähnlich, ich kann mich auf nichts freuen“. Solche und ähnliche Aussagen habe ich oft gehört.
Schlaflosigkeit und das Gefühl überwältigt zu sein
Die große Veränderung des Lockdowns führte dazu, dass sich sehr vieles und fast alles in den digitalen Raum verschoben hat. Dies kann überwältigend sein und Ängste auslösen. Neben all den Vorteilen, die das Internet generell und auch in der Corona-Zeit hat (Vernetzung!), erzählen mir viele Kinder und Jugendliche, dass es normal ist, dass sie täglich bis zu 20 Stunden am Handy und auf Plattformen verbringen. Der Schlaf-Wach-Rhythmus ändert sich dadurch. Konzentrationsstörungen und Müdigkeit sind die Folge, was sich auf die Schulleistungen negativ auswirkt. Eine generelle Angst betreffend der Situation, Ängste in der Schule nicht mitzukommen, Ängste bezüglich der Pandemie und die übertragenen Ängste der Familie könne auch zu Schlaflosigkeit und einem Gefühl, des Überwältigtsein führen.
Kommunikation, Rituale, Perspektivenwechsel
Meine Empfehlung ist daher mit den Kinder und Jugendlichen stets die Kommunikation zu suchen, um auf die Bedürfnisse näher eingehen zu können. Ein wie oben beschriebener Perspektivenwechsel hilft uns dabei. Rituale zu schaffen und den Tag zu strukturieren schafft Halt und Geborgenheit. Wenn dies nicht genug ist, Eltern oder Kinder und Jugendliche sich überfordert fühlen, dann sollen sie nicht scheuen, Hilfe von TherapeutenInnen in Anspruch zu nehmen. Scham hat hier keinen Platz und der Bedarf an Therapieplätzen wächst ständig. Es braucht daher mehr Angebote und Möglichkeiten, da ist die Politik gefragt.

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