Keine Angst, Mama!
Loslassen, selbstbewusst erziehen und die eigenen Ängste und Fehler nicht an die Kinder weitergeben – das wünschen sich viele Eltern im Erziehungsalltag. Doch wie überwindet man diese Ängste und Sorgen? Wie geht angstbefreite Erziehung? So begegnen wir unseren Kindern mit mehr Vertrauen und natürlichem Instinkt.
Angst vor der Zukunft. Angst vor Fehlern. Angst davor, dass aus dem Kind nichts Gescheites wird. Dass es sich weh tut, dass es unangenehm auffällt, dass es Schaden erleidet, auf der Strecke bleibt. Eltern fürchten sich freilich vor Unfällen, Krankheiten, Drogen, Sucht. Wälzen sich oft in zermürbenden Gedanken an Horrorszenarien oder rechnen vielfach mit dem Schlimmsten. Viele Eltern wissen gleichzeitig – nicht erst seit Corona – wie belastend Gedanken an eine unsichere Zukunft sein können. Alltagssorgen können schließlich enorm einschränken, ängstigen und sich negativ auf unser Wohlbefinden und den Famlienalltag auswirken. Dabei ist klar: Während wir unsere Kinder erziehen, prägen wir sie.
Und klar ist auch: Kinder brauchen differenzierte, aufrichtige Menschen, reflektierte und selbstbewusste Vorbilder – besonders dann, wenn die Zeiten stressig und herausfordernd sind. Allzu oft werden allerdings negative und angstbezogene Erziehungsmuster blind an die nächste Generation weitergegeben. Und um genau das zu vermeiden, brauchen Eltern laut Erziehungsexperten unbedingt die Konfrontation mit sich selbst – mit der ganz persönlichen Einschätzung, inwieweit die Erziehung der eigenen Kinder „besser“ sein sollte als das, was man allenfalls selbst erfahren hat.
Eltern als Lernende: Erziehen als Teil der Schule des Lebens
„Alle Eltern, die in meine Praxis kommen, wollen es einfach gut machen. Mitunter auch dezidiert anders als ihre eigenen Eltern“, bestätigt Familienberaterin Sandra Teml-Jetter. Doch allein dieses Gegenteildenken würde die Eltern auch nicht weiterbringen. Was es laut Teml-Jetter grundsätzlich braucht, sind maßgeschneiderte Wege für jeden einzelnen – und zwar möglichst frei von Angst, Fehler zu machen. „Wenn wir etwas noch nicht können, dann müssen wir es lernen. Punkt. Und Fehler gehören zu einem Lernprozess dazu. Wir werden gute Eltern, indem wir den Weg der Elternschaft gehen. Ich habe selbst viele Fehler bei meinen Kindern gemacht und sie werden wieder Fehler machen bei ihren Kindern“, sagt Elterncoach Teml-Jetter. Schließlich komme kein Mensch aus seiner Kindheit ohne Schrammen und Kratzer raus.
Die Frage sei vielmehr: wie mit Fehlern umgegangen wird. Ob Eltern also bereit sind, ihren Kurs zu korrigieren, wenn sie sehen, dass das, was sie tun, mehr schadet als nutzt. Ob sie bereit sind, Erziehung selber als Lernende zu erleben. Soll vor allem heißen: Elternschaft als Teil der Schule des Lebens anzunehmen. Aus ihrer langjährigen, therapeutischen Arbeit mit Familien und auch aus eigener Erfahrung weiß Teml-Jetter nur zu gut, was Ängste mit uns als Erziehende machen: „Unsere Ängste stehen unseren Beziehungen, die wir gerne haben wollen, im Weg. Sie stehen uns selbst im Weg, die Mutter oder der Vater sein zu können, die bzw. der wir sein wollen.“
Die Angst, sozusagen als permanente und mitunter äußerst lästige Begleiterin und Einflüsterin, deren Stimme uns klein und brav halten möchte, um nicht aufzufallen, um möglichst gut „ins System“ zu passen. Mit der Folge: Man vertraut immer weniger der eigenen Stimme, sondern hört vermehrt auf das, was von außen kommt: gesellschaftliche Erwartungen, es bloß allen recht machen und nicht aus der Reihe tanzen. Nicht umsonst schrieb der renommierte Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch „Das Kind in mir ist immer da“: „Wenn du mit deinem Leben nicht zufrieden bist, dann verändere es. Denn wenn du es nicht machst, dann wirst du deine eigene Familie damit kontaminieren“. Insofern sollte erkennbar sein, wie sehr Ängste echte Begegnungen lähmen, ja einen sogar handlungsunfähig machen oder uns in vorschnelle Lösungen treiben, weil wir die mit den Sorgen verbundenen, unangenehmen Gefühle in uns beseitigen wollen. Kurzum: Alltagsangst hindert einen daran, sich selbst gut zu spüren, eigene Grenzen zu wahren und so zu leben und Familie so zu gestalten, wie man es wirklich will.
Typische Elternängste – reale Angst ohne reale Gefahr
Tatsache ist, dass wohl alle im Laufe ihres Lebens Bekanntschaft mit der Angst machen. Die meisten von uns sind nicht unbedingt mit Vorbildern groß geworden, die einen besonders guten Umgang mit ihren Gefühlen, speziell nicht den negativen, hatten. Die Rede ist von einer Erwachsenengeneration, die stattdessen oftmals lieber alles „runterschluckte“, verdrängte und überspielte. Nicht von ungefähr ist das Thema Angst nach wie vor Tabu und schambesetzt. „Angst wird als Schwäche gesehen, infolgedessen weiterhin unterdrückt und weggeschoben, man lenkt sich ab oder lebt sie in Form von überschäumenden Aggressionen aus“, weiß Teml-Jetter. Die Rede ist im Übrigen hierbei stets von der chronischen Angst und nicht jener vor akuten Bedrohungen. „Die chronische Angst nährt sich aus der Furcht vor dem, was sein könnte. Es ist Angst, die scheinbar grundlos aus dem Nichts kommt“, erklärt Teml-Jetter. Deshalb würde die Angst, wenn sie aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft kommt, auch von dem ablenken, was jetzt gerade ist. Man hat also Angst, obwohl eigentlich alles gut ist. Und der Körper reagiert entsprechend: Mit Herzklopfen, Anspannung, dem berühmte Kloß im Hals sowie flacher Atmung. Dabei nicht zu unterschätzen: Der Körper habe einen weitaus größeren Einfluss auf die Psyche, als viele ihm zuschreiben. Er unterscheidet nicht zwischen alten, vergangenen Ängsten, etwa einer traumatischen Erfahrung aus der eigenen Kindheit, und dem Hier und Jetzt.
Gerade deshalb könne es laut Teml-Jetter helfen, besser mit Ängsten umzugehen und stressige Situationen besser zu regulieren, in dem man versteht und weiß, woher die Angst rührt. Welches sind denn nun typische angsterfüllte Erziehungsmuster, die Eltern aus ihrer Ursprungsfamilie mitnehmen und in weiterer Folge bei den eigenen Kindern zum Tragen kommen? Woher kommen sie? „Bist du in einem ‚Angstklima‘ aufgewachsen, oder hast du durch deine Eltern nicht die Sicherheit erfahren, die du gebraucht hättest, kann es sein, dass es dir auch als Erwachsene sehr schwerfällt, anderen Menschen nahe zu sein, Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln“, bringt es Sandra Teml-Jetter auf den Punkt.
Selbstbewusst und vertrauensvoll erziehen
Das Gegenteil also von dem, was in der modernen Bindungsforschung als Koregulation zwischen Eltern und Kind bezeichnet wird. Mit dem Ziel nämlich, das immer größer werdende Kind in die Eigenständigkeit zu entlassen. Das nämlich gehe nur, in dem Eltern zuversichtlich sind, dass sich die Kinder auch selbst regulieren können, also selber hoch und runter fahren und die Herausforderungen des Alltags meistern. Indem etwa akzeptiert wird, dass das Kind eigenständige Entscheidungen trifft, zum Beispiel ohne Papas Hand zu gehen oder auf ein Fahrrad umzusteigen, am Baum ein paar Äste weiter klettern, weil es sich das plötzlich selbst zutraut. Im Alltag schaue es laut Teml-Jetter leider oft anders aus: „Mein Kind muss etwas tun oder lassen, damit ICH mich nicht fürchte. Eltern zwingen so ihr Kind in deren Komfortzone zu leben, verbieten zum Beispiel das Übernachten bei einem Freund oder das Ausgehen.
So gewinnen Eltern mit Hilfe von Ausübung ihrer Macht, durch Androhen von Strafen oder durch Belohnungen einen angstfreien Abend – verlieren aber sowohl eine gute Beziehung zu ihrem Kind als auch die Kontrolle über ihre Emotionen. Plötzlich haben die Kinder die Macht darüber, wie Eltern sich fühlen. Eltern regulieren sich und ihre Ängste so nicht selbst, sondern über ihre Kinder.“ Zuversicht schenken und quasi „das Gute halten“ (und nicht am Negativen festhalten), bedeute hingegen den Mut zu haben, die Auseinandersetzung mit sich selbst zu wagen. Bei sich selbst zu bleiben und die eigene Angst nicht auf die Kinder beziehen. Innezuhalten und zu forschen, Neues zu probieren und sich neu zu erfinden. Dazu gehöre vor allem auch der Mut, Fehler zu machen, daraus zu lernen, den eigenen Kurs zu korrigieren. Mut, über Altes hinaus zu wachsen und sich seinen Nächsten als die oder der zu zeigen, der man tatsächlich ist.
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