„Kindliche Sexualität hat nichts mit den sexuellen Bildern in unseren erwachsenen Köpfen zu tun!“
Sexualpädagogin Bettina Weidinger erklärt, was Aufklärung mit der Wertehaltung der Eltern zu tun hat und wie Eltern sich verhalten sollten, wenn Kinder anfangen, sich sexuell zu entdecken.
Wie sagen wir unseren Kindern, wo die Kinder herkommen?
Weidinger: Das klassische Aufklärungsgespräch gibt es eigentlich nicht. Sexualerziehung ist ein Prozess, der mit der Geburt beginnt und im Wesentlichen dazu beiträgt, dass Kinder einen positiven Zugang zu ihrem (sexuellen) Körper bekommen. Will das fünfjährige Kind wissen, wie jetzt das Baby in den Bauch kommt, ist es wichtig, sehr reduziert, aber klar zu antworten.
Wie könnte die Antwort demnach lauten?
Kinder können dann entstehen, wenn eine erwachsene Frau und ein erwachsener Mann das machen, was man Geschlechtsverkehr nennt. Da nimmt die Vagina den Penis auf und der Penis dringt in die Vagina ein. Das machen Menschen, weil es sich sehr gut anfühlt. Manchmal können auf diese Weise Kinder entstehen. Es ist nicht sinnvoll Kindern von Eltern, die sich lieb haben, zu erzählen. Erstens haben sich nicht alle Eltern lieb und zweitens hat das Liebhaben mit dem Geschlechtsverkehr nicht zwingend etwas zu tun. Man kann sich ja auch sehr lieb haben ohne Sex miteinander zu wollen. Auch Begriffe wie „miteinander schlafen“ sind zu vermeiden, weil das Kind sonst glaubt, dass es schwanger werden kann, wenn es im Bett der Eltern schläft.
Was sollten Eltern über kindliche Sexualität wissen?
Für Eltern ist der Gedanke, dass ihr Kind genitale, sexuelle Erregung empfinden kann, oft sehr unangenehm, weil sie sofort die erwachsenen, sexuellen Bilder im Kopf haben. Kinder spüren genau so echt und intensiv wie Erwachsene, sie tun sexuell auch nicht wirklich so viel anderes – aber sie haben einen komplett anderen Zugang. Kindliche Sexualität ist etwas anderes als die der Erwachsenen und diese Grenze aufzuzeigen, ist Aufgabe der Erwachsenen. Indem zum Beispiel deutlich gemacht wird, dass es zwar kein Weltuntergang ist, wenn das dreijährige Kind das Geschlechtsorgan der Eltern berührt, dass es aber nicht passt. Da ist ein respektvolles und klares Nein von Elternseite notwendig.
Was tun, wenn Kinder sich selber lustvoll entdecken?
Einfach lassen. Das ist der Intimbereich der Kinder und den dürfen sie erforschen wann auch immer sie möchten. Allerdings ist es auch Job der Eltern, die Regeln klar zu machen: nicht beim gemeinsamen Fernsehen, nicht bei Tisch etc. – sondern alleine im Zimmer. Falls Eltern den Eindruck haben, dass ihr Kind sich schwer damit tut, Regeln im Kontext Sexualität einzuhalten, weil es sich etwa „dauerstimuliert“, wäre ein professionelles, sexualpädagogisches Gespräch angebracht.
Wie sagen wir überhaupt zu unseren Sexualorganen – Spatzi, Muschi oder doch Penis und Vulva?
Es ist gut, wenn Eltern die „offiziell gängigen“ Begriffe verwenden und da auch differenzieren. Vulva ist ein sehr schöner Begriff, bezeichnet aber nur das äußere Genital. Beim Wickeln und Waschen können Begriffe wie Labien, Scheideneingang, Harnröhrenausgang, Hoden, Eichel etc. vorkommen. Kinder sollen zu ihrem Genital so sagen dürfen, wie sie wollen – sie erfinden oft sehr liebevolle Kosenamen für ihr Geschlechtsorgan.
Wie funktioniert gute Sexualpädagogik – vor allem auch in der Schule?
Sexualpädagogik sollte idealerweise keine Wertevermittlung beinhalten, also nicht vorgeben, was „normal“ ist und was nicht. Vielmehr werden sehr basale Themen sehr differenziert dargestellt. Fragt etwa ein Dreizehnjähriger „wie viele Stellungen es gibt“, müsste zunächst besprochen werden, wie sexuelle Stellungen überhaupt entstehen. Nämlich aus der Lust heraus. Weil Sex nicht eine Abfolge von Stellungen ist, sondern eine bestimmte Art, sich oder eine andere Person zu berühren, weil man es als lustvoll empfindet. Gute Sexualpädagogik geht also den Fragen immer auf den Grund, berücksichtigt auch den möglichen Informationshintergrund der Kids und beachtet individuelle Empfindungen anhand unterschiedlicher Beispiele.
„Gute Sexualerziehung gibt nicht vor, was „normal“ ist und was nicht!“
Bettina Weidinger
Sexualpädagogin, Leitung Österreichisches Institut für Sexualpädagogik
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