Gesundheit

Gefahr „gesundes“ Essen?

Immer mehr Eltern servieren ihren Kids Allergikerprodukte – und das, obwohl nachweislich keine Unverträglichkeiten bestehen. Woher kommt dieser Diät-Hype? Mit welchen gesundheitlichen Folgen für die Kinder?

Dass Kinder sich möglichst gesund und vollwertig ernähren sollen, um mit allen essenziellen Nährstoffen versorgt zu werden, darüber sind sich Expert:innen einig. Und wohl auch die meisten Eltern und Erziehungsberechtigten. Was genau unter „gesundem“ Essen zu verstehen ist, darüber scheiden sich allerdings oft die Geister. Für die einen sind Cornflakes, Milchschnitten & Co ein gesundes Frühstück, obwohl Ernährungsexpert:innen regelmäßig auf den teils sehr hohen Zuckergehalt verweisen. Andere schwören auf Fruchtquetschis und akzeptieren püriertes Obst aus Plastik-Trinkbeuteln als Ersatz für frische Äpfel, Birnen oder Beeren. Wieder andere suchen ihr Heil im Weglassen: weniger Obst aus Sorge vor zu viel Fruktose, Rohkost statt gekochter Speisen wegen der verbratenen Vitamine, Veganismus wegen dem Verzicht von tierischen Produkten. Und dann ist da noch jener nicht ganz unbeträchtliche Teil von Familien, bei denen schlichtwegs „gesunde Sachen“ auf den Tisch kommen. Zuckerersatzprodukte, alternative Getreidesorten, gluten- und laktosefreie Lebensmittel, keine Kuhmilchprodukte, kein Weizen. Die Rede ist von selbst auferlegten Diäten – weil vermeintlich besser für die Gesundheit, obwohl es dafür keine medizinischen Gründe gibt.

Essen als Lifestyle

Dass Essens- und Ernährungskonzepte sehr
viel mit unserem individuellen Lebensstil zu tun haben und demnach auch, wie wir uns von anderen Menschen unterscheiden, zeigt sich nicht nur durch die unzähligen Lifestyle- und Foodtrends, sondern auch in den Regalen der Supermärkte. Für jeden medial gespushten Trend liefert die Lebensmittelindustrie massenhaft passende Produkte. Low-Carb hier, vegan dort, zuckerfrei da. In der Regel mit gesalzenen Preisen im Vergleich zu herkömmlichen Produkten. Per se ist es freilich höchst erfreulich, dass sich immer mehr Menschen bewusst mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen. Experten warnen jedoch vor Marketing gesteuerter Manipulation und letztendlich davor, dass die Kinder in den Haushalten oft als Projektionsfläche für die verschiedenen Essenskonzepte ihrer Eltern herhalten müssen. Es bestehe oftmals die Gefahr der Übertreibung, zumal die Beschäftigung mit der Ernährung schnell zum Mittelpunkt des Lifestyles werden kann, bei dem alles bisherige oft zu Unrecht auf den Prüfstand kommt.

Vorsicht vor Diäten in Eigenregie

Immer mehr Ärzte berichten davon, dass die Zahl der Kinder in den Praxen zugenommen habe, deren Eltern sich selbst so genannte „Weglass-Diäten“ verordnet haben. Eltern würden ihrem Nachwuchs also typische Allergikerprodukte servieren – im Glauben, diese seien besonders gesund. Man wolle den Kindern damit grundsätzlich etwas Gutes tun – allerdings ohne sich der möglichen Folgen bewusst zu sein. Diese können laut Expert:innen mitunter durchaus schädlich sein. So berge der vollständige Verzicht auf Fleisch ohne notwendige Aufklärung das Risiko hin zu körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen, sowie einen Mangel an Vitamin B12 und Vitamin D. Auch so genannte kalorienreduzierte „Magermenüs“, die manche Eltern ihren Kindern zubereiten, aus Sorge, dass sie zu dick werden, seien bedenklich. „Ich beobachte durchaus vermehrt, dass Diäten mit gluten- und laktosefreier Nahrung angewandt werden, ohne medizinische Abklärung“, sagt Diätologin Alexandra Maydell. Gegenwärtig besonders auffällig: Viele Familien verzichten bewusst auf Kuhmilch. „Ich verstehe nicht, warum viele Eltern auf Hafermilch & Co ausweichen, die weder mit ihrem Nährstoff- noch Fettgehalt punkten. Noch dazu sind das chemisch verarbeitete Produkte, die nicht besonders gut verdaulich sind“, weiß die Diätologin. Milch hingegen liefere nicht nur essentielle Nährstoffe wie Vitamine und Kalzium, sondern habe mit ihrem relativ hohen Fettgehalt auch einen sehr guten Sättigungswert. Wobei klar sein müsse: „Wir reden von Vollmilch oder Naturjoghurt und nicht von zuckerhaltiger Kakao- oder Erdbeermilch.“

Was mein Kind alles nicht verträgt

Bestimmte Sensibilisierungen und Unverträglichkeiten seien inzwischen häufig darauf zurückzuführen, dass immer mehr Kinder damit aufwachsen, dass viele vermeintlich nicht gut vertragenene Lebensmittel weggelassen oder ersetzt werden. Wobei die Sorge, dass ein Kind auf „etwas aller- gisch“ ist, in der Regel unbegründet sei. „Dass Eltern ihren Kinder, die unter Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall leiden, helfen wollen, ist verständlich“, sagt Maydell. Doch das unbegründete und ohne fundierte Diagnose betriebene Weglassen von beispielsweise Kuhmilch oder Weizen sei der falsche Ansatz. Dabei bestehe nämlich die Gefahr, dass gerade durch Weglassen von Laktose oder Gluten eine Untersensibilisierung entstehe. Infolgedessen der Körper sogar eine Intoleranz entwickeln könne. Laut Studien und Ärzteberichten nehmen Mangelerscheinungen, die auf selbst gewählte Diäten zurückzuführen sind, inzwischen zu. Deshalb lautet der Tenor unter Fachleuten: Nahrungsmittelunverträglichkeiten müssen gezielt medizinisch abgeklärt werden. In den meisten Fällen mit einer erlösenden Botschaft für besorgte Eltern: Die überwiegende Zahl von Verdauungsleiden bei Kindern und Jugendlichen haben erwiesenermaßen keine organischen Ursachen. Soll heißen: keine Spezialprodukte und auch keine, mitunter alltagsbelastende, Ernährungsumstellung für die ganze Familie.

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