Impftag 2023: COVID-19 bleibt, andere Krankheiten kehren zurück
Der Österreichische Impftag 2023 widmet sich nicht nur den aktuellen COVID-19-Impfstoffen und den medizinischen Herausforderungen durch Long Covid, sondern auch jenen Krankheiten, die wegen mangelnder Durchimpfungsraten in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren.
Unter dem Titel „The good, the bad & the ugly – Neues aus der Vakzinologie“ werden am 21. Jänner unter dem medizinisch-wissenschaftlichen Vorsitz von Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien, von zahlreichen Top-Expert:innen alle Facetten rund um den aktuellen Wissensstand zu Corona-Impfstoffen und deren Wirkung beleuchtet. So wird auch die schwierige Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Bevölkerung rund um die Corona-Impfung seit Beginn der Pandemie analysiert. Weiters gibt es einen Überblick über die vielfältigen Erscheinungsformen von Long Covid und deren Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich. Einen wichtigen Punkt nehmen auch Krankheiten wie Masern, Polio oder Diphtherie ein, die schon unter Kontrolle galten und nun wieder in Erscheinung treten.
Bei einer Pressekonferenz am heutigen Donnerstag, 1. Dezember 2022, beschrieben Ursula Wiedermann-Schmidt, Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates der Österreichischen Ärztekammer, Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer, und Maria Paulke-Korinek vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, was die aktuell verfügbaren Impfstoffe gegen das Corona-Virus leisten können und was nicht. „Die Impfstoffe gegen Corona verhindern vor allem schwere Verläufe, Hospitalisierungen und daraus resultierende Todesfälle“, erklärt Wiedermann-Schmidt, „auch die Wahrscheinlichkeit, an Long Covid zu erkranken ist deutlich reduziert.“ Dennoch seien die Impfstoffe keine Wunderwaffe, man könne dennoch erkranken, besonders, weil immer wieder neue Subvarianten des Virus auftreten. „Beim Impfen gegen Corona – so wissen wir heute – steht der Selbstschutz und der Schutz vor einem schweren Verlauf im Vordergrund. Die ursprüngliche Erwartungshaltung eines Herdenschutzeffekts war falsch, denn die Impfung kann eine Infektion und damit auch Weitergabe des Erregers nicht oder nur kurzfristig verhindern.“
Dennoch sei Impfen weiterhin zu empfehlen, hier besonders für Risikogruppen. „Bei der Aufklärung um mögliche Nebenwirkungen durch die Impfung geht es immer um die Nutzen/Risiko-Bewertung im Vergleich zu einer Infektion. Die Datenlage zeigt mittlerweile klar, dass dieses Verhältnis in den meisten Fällen – und ganz besonders für alle Risikopersonen – klar zugunsten der Impfung liegt.“ Für die Zukunft geht die Vakzinologin der MedUni Wien davon aus, dass es – ähnlich der Influenza – jährlich an die jeweils dominierende Variante angepasste Auffrischungsimpfungen geben wird.
Long Covid als Herausforderung
Mittlerweile ist Long Covid als mögliche Folge einer Corona-Infektion ein anerkanntes Syndrom. Dieses zeigt sich einerseits als Post-Akut-Corona-Syndrom für vier bis 12 Wochen nach der Erkrankung in Form von diversen kardiovaskulären Problemen. Oder es geht darüber hinaus als Post-Covid-Syndrom und verursacht neben dauerhaften kardialen oder pulmonalen Symptomen besonders neurologische Beschweren mit Konzentrationsschwierigkeiten, Dauererschöpfung mit Depressionen, die Menschen aus der Arbeitsfähigkeit reißen können. „Die genauen Ursachen für das komplexe Post-Covid-Syndrom sind immer noch nicht klar“, erklärt Wiedermann-Schmidt, „derzeit geht man von verschiedenen Faktoren, wie Viruspersistenz, Entzündungsreaktionen mit Autoimmunitätsentwicklung, Dysregulationen im Mikrobiom oder Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-Infektion aus. Es handelt sich offenbar um ein dauerhaftes oder schubweises Entzündungsphänomen. Jedenfalls kann bislang kein einzelner Pathomechanismus dingfestgemacht werden, was ein spezifisches therapeutisches Vorgehen unmöglich macht und bislang nur symptomatisch vorgegangen wird.“ Post-Covid-Ambulanzen seien stark nachgefragt und übersteigen die bestehenden Ressourcen des Gesundheitssystems. Es handelt sich hier um ein Krankheitsbild, das uns noch lange begleiten wird und daher dringend einen Ausbau der Versorgung benötigt.
Vergessene Impfungen
In den vergangenen zwei Jahren stand vor allem COVID-19 im Vordergrund, andere Infektionserkrankungen gerieten in den Hintergrund. Was aber nicht heißt, dass sie deswegen nicht mehr existieren. „Leider haben wir bei vielen wesentlichen Impfungen einen extremen Nachholbedarf“, sagt Rudolf Schmitzberger, Leiter des Referats für Impfangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer. So hat die Analyse der Masern-Durchimpfungsraten für 2021 gezeigt, dass nur mehr 74 Prozent der Zweijährigen mit zwei Dosen gegen Masern geschützt sind. Um den Gemeinschaftsschutz zu erreichen, ist eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent notwendig: „Masern ist eine hochansteckende Infektionskrankheit, die bei Komplikationen sehr schwer verläuft“, betont Schmitzberger: „Die vorbeugende Impfung ist sehr wirkungsvoll und wir raten dringend, die MMR-Impfung bei einer Impflücke so schnell wie möglich nachzuholen“.
Auch bei der Kombinationsimpfung Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Polio-Haemophilus influenzae B-Hepatitis B gibt es Impflücken. Bei den Einjährigen Kindern wurden 2021 bei Polio Durchimpfungsraten von nur 90 Prozent für die erste und 83 Prozent für die zweite Teilimpfung beobachtet. Bei den zehn bis 16jährigen sind rund 75.000 nicht ausreichend gegen Polio, und somit auch gegen Diphtherie, immunisiert. Für letzteres seien einige Fälle in Österreich dokumentiert: Im Frühsommer 2022 wurde erstmals seit über 20 Jahren eine tödlich verlaufende respiratorische Diphtherie gemeldet, seitdem wurden in Österreich mindestens 17 Fälle von Diphterie gemeldet. Auch bei Polio, wo der letzte Fall in Österreich 1980 gemeldet wurde, zeigen rezente Fälle in London und New York, dass der Import von Polioviren bei unzureichender Durchimpfungsraten rasch zu einem Infektionsgeschehen führt. Und auch bei FSME wurden in Österreich bereits mehr als 180 Fälle dokumentiert, mit weiteren Fällen ist zu rechnen: „Diese Zahlen zeigen alle eindrucksvoll, dass wir dringenden Nachholbedarf bei Routineimpfungen haben“, resümiert Schmitzberger und warnt: „Sinkende Durchimpfungsraten bei längst vergessenen Erkrankungen sind gefährlich, denn das begünstigt ein Wiederaufflammen dieser impfbaren Erkrankungen.“
Vertrauensärzt:in fragen
Um keine Impflücken zu übersehen sei es ratsam, den Impfpass von dem:der Vertrauensärzt:in prüfen zu lassen: „Nur der Arzt des Vertrauens kennt die Krankengeschichte und kann beurteilen, welche Impfungen individuell sinnvoll und notwendig sind“, sagt Schmitzberger. Das Aufklärungsgespräch diene dazu, die Impftauglichkeit festzustellen und mögliche Kontraindikationen zu erkennen. Dass das persönliche Gespräch mit dem:der Ärzt:in des Vertrauens auch zielführender ist als groß angelegte Impfkampagnen, hat zuletzt eine Studie bestätigt. Es wurde untersucht, inwiefern wissenschaftsbezogener Populismus Einfluss auf die Impfentscheidung hat. Die Studie hat gezeigt, dass die Rolle der Medien entscheidend ist: Während sich Populismus kaum auf medial wenig diskutierte Impfungen wie gegen Grippe oder HPV auswirkt, sei der mediale Einfluss bei den vieldiskutierten COVID-19- oder Masern-Impfungen hingegen hoch. Die Studienleiterinnen ziehen aus den Ergebnissen den Schluss, dass Informationskampagnen zu Impfungen mit großem Bedacht geplant werden müssen und im Zweifel das persönliche Gespräch mit Expert:innen, wie den Ärzt:innen, erfolgreicher sei als Impfinserate oder -plakate.
Neue Studien und Erkenntnisse werden in Sachen Impfkommunikation präsentiert: Dabei sollen Virtual reality und Artificial Intelligence in Zukunft als wichtige Methoden der Unterstützung eingesetzt werden. So könnte die Gesundheitsinformation nach dem „Gießkannenprinzip“ durch personalisierte und für einzelne Gruppen der Bevölkerung attraktive Kommunikationsmaßnahmen ergänzt bzw. ersetzt werden.
Gratis-HPV-Impfprogramm wird erweitert
Eine der erfolgreichsten Impfungen sei, so Schmitzberger, die HPV-Impfung. 80 Prozent aller Männer und Frauen infizieren sich zumindest einmal im Jahr mit Humane Papillomaviren, ein Großteil der Krebserkrankungen von Frauen und Männern im mittleren Rachenraum und an den Geschlechtsorganen ist HPV-induziert. Erst kürzlich hat das Gesundheitsministerium verkündet, dass die HPV-Impfung ab Februar 2023 bis zum 21. Lebensjahr kostenlos sein wird. Das sei erfreulich und sehr zu begrüßen. Ob Gynäkologie, Urologie, Innere Medizin, Allgemeinmedizin oder Kinder- und Jugendmedizin: „Die HPV-Impfung soll bei Ihrem Arzt des Vertrauens durchgeführt werden“, betont Schmitzberger. Die Ausweitung des kostenlosen Impfprogramms sie eine wichtige Säule für die Gesundheitsvorsorge. „Hier ist es umso wichtiger, dass wir Ärztinnen und Ärzte von Anfang an mit eingebunden sind“, sagt er. Die Erweiterung des Gratis-HPV-Impfprogramms könne dazu beitragen, die Durchimpfungsrate zu erhöhen, denn bislang sei die HPV-Impfung für Erwachsene auch eine Kostenfrage gewesen.
Impfungen im Erwachsenenalter nicht vernachlässigen
„Auch im Erwachsenenalter darf man Auffrischungsimpfungen und Impfungen im Allgemeinen nicht aus den Augen verlieren“, appelliert Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer, an die Bevölkerung. Er weist darauf hin, dass gerade mit zunehmendem Alter – etwa ab dem 60. Lebensjahr – die Dauer des Impfschutzes abnimmt. Aus diesem Grund werden die empfohlenen Impfintervalle bei vielen Auffrischungsimpfungen für Menschen ab 60 Jahre deutlich kürzer – wie z.B. bei der FSME-Impfung oder der Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Polio. „Viele Menschen, die in die Apotheke kommen, um sich persönlich beraten zu lassen, haben ihre Auffrischungsintervalle zum Teil weit überschritten. Sie sind oft überrascht und auch erschrocken, dass sie keinen ausreichenden Impfschutz mehr haben. Ich appelliere daher an alle: Informieren Sie sich rechtzeitig. Vernachlässigen Sie die Schutzimpfungen bitte nicht! Sie können schwere Erkrankungen verhindern und zum Teil Leben retten“, so Kobinger.
Herpes Zoster und Pneumokokken nicht unterschätzen
Einige Impfungen werden – abgesehen von Risikogruppen – überhaupt erst mit zunehmendem Alter empfohlen, wie Impfungen gegen Herpes Zoster oder Pneumokokken. „Eine Impfung gegen Herpes Zoster ist für Personen ab dem vollendeten 50. Lebensjahr ratsam. Sie schützt gegen Gürtelrose, eine extrem schmerzhafte Nervenentzündung mit oft stark schmerzenden Bläschen“, erklärt der Apotheker. Die Wahrscheinlichkeit, an Gürtelrose zu erkranken, nimmt im Alter beträchtlich zu: Die Hälfte der Herpes Zoster-Erkrankungen treten ab dem 50 Lebensjahr auf, jeder dritte Mensch entwickelt im Laufe des Lebens eine Gürtelrose. Der neue Impfstoff gegen Herpes Zoster wird im ersten Halbjahr 2023 in den Apotheken deutlich verbilligt angeboten.
Pneumokokken sind ebenfalls für Menschen mit zunehmendem Alter gefährlich. Hierbei handelt es sich um Bakterien, die massive Entzündungen von Lunge, Mittelohr und Gehirnhaut sowie weitere schwere Erkrankungen hervorrufen können. Betroffen sind neben Kleinkindern, chronisch Kranken sowie Personen mit einem geschwächten Immunsystem, ältere Menschen ab 60 Jahren. „Zum Glück gibt es auch gegen diese Krankheitserreger einen wirksamen Impfschutz, der ab dem 60. Lebensjahr empfohlen wird. In den Österreichischen Apotheken findet noch bis zum 31. März 2023 eine Impfaktion statt. In diesem Aktionszeitraum können die Pneumokokken-Impfstoffe vergünstigt bezogen werden,“ so Apothekerkammer-Präsidiumsmitglied Kobinger.
Jetzt gegen Influenza impfen lassen
Eine weitere Schutzimpfung, die besonders auch älteren Personen empfohlen wird, ist jene gegen die echte Grippe. In den letzten beiden Grippesaisonen blieb die große Welle aufgrund der strengen Hygienemaßnahmen aus. Heuer wird allerdings eine höhere Influenza-Aktivität erwartet. Dazu Kobinger: „Gehen Sie dabei bitte gerade in dieser Winter-Saison auf Nummer sicher. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, sich gegen Influenza impfen zu lassen!“
Allerdings unterschätzen viele Menschen die Grippe. Nach einem Influenza-Impfrekord während der Grippesaison 2020/21 mit der bisher höchsten Durchimpfungsrate von 21,3 %, ist die Impfbereitschaft bereits letztes Jahr wieder auf 16,9 % gesunken.
Impflücken in der Bevölkerung schließen
„In den Impfplan Österreich 2023 werden zwei neue Kapitel aufgenommen, welche sich mit Affenpocken und COVID-19 beschäftigen. Auf Grundlage rezenter wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Verfügbarkeit neuer Daten, etwa zu Durchimpfungsraten oder Epidemiologie, wurden viele Kapitel erneuert bzw. ergänzt. Ein ganz besonderer Meilenstein ist die Ausweitung der kostenlosen Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV). Sie steht ab 1. Februar 2023 bis zum vollendeten 21. Lebensjahr im Kinderimpfprogramm des Bundes, der Bundesländer und der Sozialversicherungsträger gratis zur Verfügung. Im Zuge dessen wurde die Empfehlung der HPV-Impfung im 1+1 Impfschema bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ausgeweitet. Diese Maßnahme stellt einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung von Gebärmutterhalskrebs und weiteren HPV-assoziierten Erkrankungen dar. Vor dem Hintergrund der COVID-19 Pandemie ist zudem davon auszugehen, dass es zu vermehrten Impflücken gekommen ist, weil empfohlene Impfungen nicht wahrgenommen wurden. Es ist daher von größter Wichtigkeit auf die Impflücken in der Bevölkerung hinzuweisen und deren Schließung voranzutreiben. Aus medizinisch-fachlicher Sicht ist anzumerken, dass die Durchimpfungsraten gegen impfpräventable Erkrankungen in Österreich derzeit nach wie vor deutlich unter den für einen Gemeinschaftsschutz notwendigen Werten liegen“, betont Maria Paulke-Korinek vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
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