Die Kunst des Schenkens
Alle Jahre wieder türmen sich die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Dabei weiß man längst, dass zu viele Geschenke Kinder nicht glücklicher machen – sondern unzufrieden
Selten ist so offensichtlich, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben wie zu Weihnachten. In vielen Familien türmen sich unter dem aufgeputzten Baum dermaßen viele Geschenke, dass es vorkommen soll, dass die untersten Astreihen abgeschnitten werden, um Platz für all die Packerln und Sackerln zu schaffen. An den Tagen danach – bei Oma, Opa, anderen Verwandten oder in den Weiten des Patchwork-Universums – gibt es abermals reichlich Gaben und Geschenke. Dabei waren bereits die Wochen vor dem Fest zumeist Zeiten des Überflusses. Noch sind die Naschereien von den Halloween-Raubzügen nicht verputzt, gibt es jeden Tag Ramsch oder Süßigkeiten im Adventkalender. Auch der Nikolaus bringt Geschenke. Der besondere Reiz dessen, was Weihnachten vielleicht einmal ausgemacht haben könnte – das Besondere, das nicht Alltägliche – ist so oft bereits in der Vorweihnachtszeit unvorstellbar oder verflogen. Viele Eltern versuchen ihn mit besonders vielen, großen, wertvollen Geschenken wiederherzustellen. Smartphone und Spielekonsole, eine Drohne oder eine Alexa fürs Kinderzimmer – alles gängige Geschenke und auf vielen Briefen ans Christkind zu finden. Wünsche haben allerdings nur dann Bedeutung, wenn sie nicht automatisch in Erfüllung gehen. Dies ist deshalb als Aufruf zur Besinnung und Mäßigung zu verstehen; denn auf den Konsum- rausch und das exzessive Packerlaufreißen am Heiligen Abend folgt der Kater wie das Amen im Gebet. Kinder, die überhäuft werden, entwickeln Unzufriedenheit und verlangen stets mehr. Vielleicht haben sie schon einmal erlebt, wie ein Kind nach dem Auspacken unzähliger Geschenke fast schon enttäuscht mit einem „Und das war’s jetzt wirklich schon?“ reagiert hat. Immer wieder wird auch eine Studie der Universität Missouri zitiert, die herausgefunden hat, dass dieses Mehr-Mehr im Erwachsenenalter zu Kaufsucht, einer Hingezogenheit zu Glücksspielen und zu häufigerer Verschuldung führt.
Im Kindergartenalter maximal drei Geschenke
Eltern tun ihren Kindern also nichts Gutes, wenn sie den Nachwuchs mit Geschenken überhäufen. Im schlimmsten Falle fördern sie damit Suchtverhalten. Das gilt genauso für Großeltern, Tanten und Taufpaten, Onkels und Bonuseltern. Auch wenn leuchtende Kinderaugen noch so entzückend sind: Je kleiner Kinder, desto wichtiger ist, dass die weihnachtlichen Gaben maßvoll ausfallen. „Mehr als drei Geschenke können Kindergartenkinder an einem Abend nur schwer verarbeiten“, weiß Alexandra Fuchs, Elementarpädagogin aus Niederösterreich. Erst eine Limitierung ermöglicht Hingabe: „Dann kann man sich auch noch darauf einlassen und sich gemeinsam vertiefen.“ Gemeinsam Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenzusuchen, mit der Kugelbahn kreative Kunstwerke durchs Wohnzimmer zu bauen, den neuen Tischkicker von Lego zusammenzustecken oder die Regeln für ein neues Brettspiel zu studieren –das macht das Weihnachtsfest auch für die Großen zu einem unvergesslichen Erlebnis. Es ist ohnehin das größte Missverständnis überhaupt, dass die Größe eines Geschenks etwas über dessen Wertigkeit aussagt. Das kostbarste Geschenk überhaupt bleibt bewusst gemeinsam erlebte Zeit. Ganz generell empfiehlt die Elementarpädagogin Alexandra Fuchs Spielmaterial, das erweitert werden kann und der Fantasie freien Raum lässt: „Konstruktionsmaterial fördert das mathematische Verständnis spielerisch.“ Lego, Kugelbahnen, die Brio-Eisenbahn, Bioblo Bausteine. Orientieren könne man sich auch am Spielgut-Siegel. Nie verkehrt sei es auch, Bücher zu schenken. „Bevorzugt lässt man sich beim Einkauf vom Buchladen des Vertrauens beraten“, sagt Fuchs. Dort könne individuell auf Vorlieben eingegangen oder besondere Entdeckungen hergezeigt werden. Online-Shops empfehlen oft nur die gefälligsten Titel – oder Neuheiten und Buchtitel, für deren Platzierung die Buchverlage bezahlen. „Was beim Schenken oft vergessen wird, ist alles, was zur Bewegung anregt und die Motorik fördert“, bedauert die Pädagogin. Dabei handelt es sich bei einem Trampolin, einem Klettergerüst, einer Zimmerschaukel oder einem Gutschein für den Hochseilklettergarten durchaus um sinnvolle Geschenke. In der kalten Jahreszeit können sie außerdem Zeit an der frischen Luft anregen.
Geld aufs Sparbuch legen
Dabei brauchen die meisten Kinder nicht viele Geschenke. Glücklich sind sie, wenn man sich auf sie einlässt, mit ihnen spielt. Oft fällt es Großeltern, Paten oder Verwandten besonders schwer, nichts oder nur wirkliche Kleinigkeiten zu schenken. Alexandra Fuchs rät Eltern, jedenfalls zu bestimmen, was diese schenken dürfen. „Immerhin geht es um das eigene Kind!“ Sollten sich die Großeltern nicht damit zufrieden geben, wenig zu schenken, empfiehlt sie, das Geschenk
zu kanalisieren. „Man kann gemeinsame Zeit schenken“, sagt sie. Und ein Nachmittag bei Oma, ein Ausflug mit Opa oder gar ein gemeinsames Wochenende mit Oma und Opa freut und entlastet auch die Eltern. „Alternativ kann man auch einfach den Betrag, den man für das Enkel- oder das Patenkind ausgegeben hätte, auf ein Sparbuch legen.“ Mitunter ist die Freude darüber in einigen Jahren umso größer – zu einem Zeitpunkt, an dem das x-te Spielzeugset längst uninteressant und ausgemustert wäre.
#TeamChristkind für bedürftige Familien
Wer viel schenkt, ist sich manchmal nicht bewusst, dass er oder sie vor allem egoistisch handelt. Denn schon vor Jahren hat die Forschung herausgefunden, dass Schenken glücklich macht; mitunter glücklicher als zu viel geschenkt zu bekommen. Besonders unglücklich macht es allerdings, kein Geld und keinen Spielraum für Geschenke zu haben. „Ein Päckchen unter dem Baum gibt es dann nicht“, weiß Hanna Lichtenberger, Sozialwissenschafterin der Volkshilfe. „Viele armutsbetroffene Kinder und Jugendliche wissen sehr genau um die finanzielle Situation ihrer Familien und äußern deshalb Weihnachtswünsche nicht.“ 368.000 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 17 Jahren sind laut Volkshilfe von Armut und materieller und sozialer Ausgrenzung bedroht. In Zeiten von Inflation und gestiegenen Energiepreisen ist diese Zahl vermutlich noch einmal größer. Im Projekt „Existenzsicherung 2021/22“ unterstützte die Volkshilfe deshalb Familien mit monatlichen 100 Euro pro Kind (Spenden sind via www.volkshilfe.at möglich).
Wer ganz konkret Weihnachtsgeschenke geben möchte, kann sich an der ebenfalls bereits bewährten gemeinsamen Aktion des Samariterbundes und der Post AG beteiligen. Ihr Motto: „Spielen Sie Christkind“. Bis kurz vor Weihnachten werden unter dem Hashtag #TeamChristkind Geschenke im Wert von 20 bis 40 Euro entgegengenommen. Kleidung, Stofftiere und gebrauchte Spielwaren sind ausgenommen (Darüber freuen sich aber beispielsweise die Henry-Läden des Roten Kreuzes). „Legen Sie das Geschenk unverpackt in einen Karton. Versehen Sie diesen mit dem Hashtag #TeamChristkind und geben Sie ihn bis 19. Dezember gratis bei der Post ab“, bittet der Samariterbund. Rund um Weihnachten werden die Geschenke dann von der Samariterjugend sowie von haupt- und ehrenamtlichen Samariter*innen an bedürftige Familien übergeben. Besonders gefragt sind Kleinkinderspielzeug (Duplo, Motorikspiele), Autos, Puppen, Lego, Playmobil und Barbiepuppen sowie Gesellschaftsspiele und Instrumente. Wer derart Christkind spielt, schenkt gleich dreifach. Einerseits beglückt man sich selbst. Andererseits vermeidet man Überfluss, wo er ohnehin nicht wertgeschätzt werden kann – und sorgt für ein Packerl und Freude, wo sonst unter dem Baum vermutlich Flaute herrschen würde.
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