Impfen für Klein und Groß
Impfungen haben in den letzten rund 225 Jahren viele Leben gerettet. Dennoch fehlt es mitunter an Bewusstsein, welche Impfungen Kinder benötigen.
61 Masernfälle wurden in den vergangen Wochen in Österreich gemeldet, die meisten davon in der Steiermark, wo es ein Cluster gab, das auf eine Hochzeit zurückzuführen ist. Die Masern-Durchimpfungsrate ist mit rund 85 Prozent (bei der 2. MMR-Impfung) in Österreich insgesamt zu niedrig, nötig wären 95 Prozent Viele der infizierten Personen hatten keinen oder nur einen unvollständigen Schutz. Expert*innen raten, den eigenen Impfschutz bzw. den der Kinder zu kontrollieren.
Zuletzt wurden Impfungen primär im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie diskutiert, doch auch darüber hinaus sind sie wichtig – auch für Eltern. Die Übersicht über die nötigen Impfungen zu behalten, ist nicht leicht: Der Österreichische Impfplan hat 227 Seiten, im Netz gibt es auch viele Falschmeldungen.
Durchblick
Eltern, die zum/zur Ärzt*in gehen, können Fragen stellen und gemeinsam ein Impfkonzept erstellen, sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie und Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie & Immunologie der MedUni Wien. Problematisch werde es, wenn nur Dr. Google um Rat befragt wird, meint die Expertin. Häufig werde bei Impfungen, die eigentlich aus mehreren Teilimpfungen bestehen, nach der ersten Impfung auf weitere vergessen – was zu mangelhaftem Schutz führt. Die Ärztin sieht die Politik und die öffentliche Gesundheit in der Verantwortung: Der Zugang zu medizinischen Infos und zum Impfangebot müsse niederschwelliger organisiert sein als derzeit, so Wiedermann-Schmidt. Dafür erachtet sie den Einsatz neuer Kommunikationsmöglichkeiten, von Social Media, Avataren bis Chatbots, als notwendig – ebenso aber eine Kontrolle der Inhalte durch medizinische Expert*innen.
Fehlender Impfschutz
Nicht nur bei Masern ist die Durchimpfungsrate ungenügend. Auch andere Krankheiten kehren deshalb zurück – Keuchhusten oder Diphtherie, eine schwere, über Tröpfcheninfektion übertragene Krankheit, die in unseren Breiten ausgerottet schien. Laut einer aktuellen Studie der MedUni Wien haben in Österreich 40 Prozent der Menschen keinen ausreichenden Schutz gegen Diphtherie. Ein weiteres Problem sind Impfgegner*innen: Vor der Pandemie vermutete man, dass fünf bis sechs Prozent der Bevölkerung nicht von Impfungen zu überzeugen sind; nun geht man von 20 Prozent aus, die impfskeptisch sind. Auch deswegen braucht es eine bessere und v.a. sachliche Aufklärung.
Medizinischer Durchbruch
Unser Immunsystem ist fantastisch. Es lernt mit Erregern umzugehen und sie abzuwehren, erinnert Wiedermann-Schmidt. Es gibt aber viele Erreger, die so aggressiv sind und sich so schnell vermehren, dass das Immunsystem nicht genug Zeit hat, um rechtzeitig Schutz aufzubauen. Daher entwickelte die Wissenschaft Impfungen – denn durch diese erfolgt ein Lernprozess im Körper. „Ich gebe dem Immunsystem in abgeschwächter Form den Erreger und der Körper hat Zeit, einen Schutz aufzubauen, bevor es zum Kontakt mit dem natürlichen Erreger kommt“, erklärt Wiedermann-Schmidt die Grundidee. Bereits im 18. Jahrhundert gab es erste Impferfolge: Der Arzt Edward Jenner übertrug 1796 den Inhalt einer Kuhpockenblase durch einen Schnitt im Oberarm auf einen Jungen – und schützte ihn damit gegen die menschlichen Pocken. Basierend auf Jenners Erkenntnissen wurden Impfstoffe gegen verschiedene Erreger entwickelt und so gelang es schließlich 1880 dem französischen Chemiker Louis Pasteur, einen Impfstoff gegen Cholera herzustellen. Von da an wurden laufend neue Impfstoffe entwickelt. Die Bilanz ist eindeutig positiv. „Heute verfügen wir über 27 Impfstoffe gegen die schwersten Infektionserkrankungen mit denen pro Jahr weltweit mehr als 3 Millionen Todesfälle (abgesehen von Covid) durch Infektionskrankheiten verhindert werden können“, so Wiedermann-Schmidt: „Impfungen sind eine der größten medizinischen Errungenschaften, umso mehr schmerzt es mich als Wissenschafterin und Ärztin, dass viele Leute in unseren Breiten nicht erkennen, wie großartig und wichtig diese Errungenschaft der Impfprävention ist.“
Aktive und passive Impfung
Man unterscheidet bei einer Impfung zwischen einer aktiven und einer passiven Immunisierung, erläutert Herbert Kurz, Vorstand der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde in der Klinik Donaustadt. Bei der aktiven Impfung werden abgetötete oder Bruchstücke der Erreger bzw. der abgeschwächten Krankheitserreger verabreicht und diese rufen eine Immunantwort hervor. Dem Körper wird eine Infektion vorgetäuscht und er reagiert mit der Bildung von Antikörpern.
Für den Aufbau dieses Impfschutzes benötigt es meist mehrere Teilimpfungen. Bei manchen Impfungen hält der Schutz ein Leben lang an, andere müssen regelmäßig aufgefrischt werden. „Bei einer passiven Impfung erhält man bereits fertige Antikörper gegen einen Krankheitserreger. Das eigene Immunsystem ist hier also nicht an der Immunisierung beteiligt, es bildet selber keine Antikörper, bleibt also passiv. Im Unterschied zur aktiven Impfung bietet die passive Impfung einen sofortigen Schutz, der jedoch nur für kurze Zeit – ungefähr drei Monate – anhält“, so Kurz.
Impfstoffentwicklung
Heutzutage stehen uns viele Impfungen zur Verfügung, die vor ihrer Zulassung in Phasen erprobt werden. In der präklinischen Phase wird ein Impfstoff im Labor entwickelt, danach wird in klinischen Studien untersucht, ob dieser die gewünschte Immunantwort auslöst. Dies erfolgt in drei Phasen. So wird etwa die Dosis optimiert und die Qualität der Immunantworten werden registriert. Früher dauerte es bis zu zehn Jahren zur Zulassung eines Impfstoffes. Dann kam die Corona-Pandemie. Schnell wurde klar, was es braucht, um möglichst rasch eine Impfung zu finden, wie Wiedermann-Schmidt ausführt: verbesserte Prozesse, optimierte Prüfverfahren und mehr Geld. Dies alles gelang – und am 21.12.2020 erteilte die Europäische Kommission eine bedingte Zulassung für den von BioNTech und Pfizer entwickelten Covid-19-Impfstoff. Durch die zeitlich beschränkte Zulassung – diese erfolgt bei jedem medizinischen Produkt – müssen die Pharmaunternehmen den Impfstoff laufend prüfen. „Die Firmen müssen weiterhin Daten zur Verträglichkeit und Wirksamkeit liefern“, erklärt Wiedermann-Schmidt, die am 27.12.2020 die allerersten Covid-19-Impfungen in Österreich verabreichte.
Impfempfehlungen
Im Österreichischen Impfplan werden einige Krankheiten dem Punkt „Allgemein empfohlene Impfungen“ zugeordnet, zusätzlich gibt es noch Reise-/ Indikationsimpfungen, also Impfungen, die nur in bestimmten Fällen vorgesehen sind. Zu den allgemein empfohlenen Impfungen zählen: Diphtherie, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Haemophilus influenzae Typ B, Hepatitis A, Hepatitis B, Humane Papillomaviren (HPV), Influenza (Virusgrippe), Masern, Mumps, Röteln (MMR), Meningokokken, Pertussis, Pneumokokken, Poliomyelitis, Rotavirus, Tetanus, Varizellen (Windpocken, Feuchtblattern) und Herpes Zoster.
In die Kategorie Reise-/Indikationsimpfungen fallen Impfungen gegen diese Krankheiten: Affenpocken, Cholera, Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Tollwut und Typhus abdominalis.
Impfungen und Kinder
Was sollten Eltern bedenken? „Leider geistern in den Medien und im Inter- net viele Falschaussagen herum. Es ist daher unsere Aufgabe als Kinderärzt*innen wissenschaftlich fundierte Infos zu geben und gleichzeitig auch emotional zu überzeugen, dass Impfungen ein ganz wichtiger Schutz für unsere Kinder sind“, so Herbert Kurz. Ärzt*innen sollten gemeinsam mit ihren Patient*innen Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen ansprechen und mit den Eltern und den Kindern Entscheidungen treffen. Kinder dürfen laut der österreichischen Rechtsordnung ab 14 Jahren selbst entscheiden, ob sie sich impfen lassen.
Wie Ärzt*innen mit Kindern umgehen, die Angst vor einer Impfung haben, variiert: „Das ist sehr altersspezifisch – bei Säuglingen haben wir es eher mit den Ängsten der Betreuungspersonen zu tun, später gilt es mit allen Tricks zu arbeiten, um Kinder möglichst wenig zu traumatisieren. Das ist sehr individuell – bei manchen muss man lange zureden, anderen ist ein schnelles ‚Erledigen‘ lieber. Und ich versuche bei den Älteren ehrlich zu sein – ja, es tut kurz weh. Danach gibt es auf jeden Fall eine Belohnung oder Anerkennung.“ Eine Impfpflicht sieht Herbert Kurz kritisch: Die „gesellschaftspolitischen Nebenwirkungen“ seien zu hoch und die Überzeugungsarbeit zu schwer. Zum Schluss appelliert der Mediziner an alle Menschen, die in den letzten Jahren eventuell verabsäumten Impfungen nachzuholen.
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