Hände hoch oder ich schieße!
Viele Erwachsene stehen dem Spielen mit Spielzeugwaffen skeptisch gegenüber. Dabei kann es Kindern helfen, Gefühle zu verarbeiten. Wichtig ist, gemeinsam Regeln dafür festzulegen.
Ein Ast ist ein Ast. Oder doch ein Schwert oder eine Pistole? Vielleicht ein Gewehr? In der kindlichen Fantasie kann das Stück Holz, gefunden am Wegrand, augenblicklich zur Waffe werden. Peng! Peng! Schon ist ein imaginärer Gegner getroffen. Der große Bruder wird bedroht oder die Räuberbande am Spielplatz gejagt. Solche Kämpfe sind heftig und schweißtreibend. Und für die Kinder ein Mordsspaß. Nur die Erwachsenen sind sich nicht sicher, was sie davon halten sollen. Wird es ihnen zu bunt, konfiszieren sie die Waffen und schimp- fen: Nicht so wild! Kein Kämpfen!
Spielt lieber etwas anderes! Im Spiel zu kämpfen, harmlose Gegenstände zu Waffen umzufunktionieren oder sich Spielzeugwaffen zu wünschen, ist für manche Erwachsene nicht akzeptabel. Andere fragen sie sich, wie kindgerecht diese Form des Spiels ist. „Dass Kinder gern mit Waffen spielen, ist völlig normal und entwicklungskonform“, beruhigt die Elementarpädagogin Anna Ruschka. „Ich habe bei meiner Arbeit mit Kindern oft erlebt, wie groß dieser Drang ist.“
Kinder fühlen sich stark
Anna Ruschka, die in der Ausbildung zukünftiger Pädagoginnen und Pädagogen tätig ist, hat Spielzeugwaffen lange Zeit selbst sehr skeptisch betrachtet. Aus eigener Erfahrung und durch pädagogische Fortbildung hat sie aber gelernt, dass diese in der kindlichen Entwicklung eine wichtige Funktion erfüllen. „Tiefenpsychologen nehmen an, dass sich Kinder beim Spielen mit Kampf und Waffen mit ihrer eigenen Schwachheit den Erwachsenen gegenüber auseinandersetzen.“ Denn selbst wenn Erwachsene auf eine gleichwürdige Beziehung mit Kindern Wert legen, aus kindlicher Perspektive sind sie diejenigen, die bestimmen und wichtige Entscheidungen treffen. Im Spiel können Kinder den Spieß umdrehen. Sie fühlen sich stark und mächtig. Das Bedürfnis mit Waffen zu spielen könnte auch evolutionsbiologisch gedeutet werden. Jahrtausende lang war das menschliche Leben von der Notwendigkeit geprägt zu kämpfen, um zu überleben. Möglicherweise zeigen sich im Kindesalter die Spuren dieser Prägung, wenn wieder einmal ein Stock zum Schwert umfunktioniert wird.
Gefühle ausdrücken
„Bei dieser Art des Spielens können Kinder Gefühle wie Wut oder Zorn ausdrücken. Das ist etwas sehr Wertvolles“, sagt Anna Ruschka. „Sie arbeiten das auf, was sie bewegt.“ Das kann der Ärger mit dem Kindergartenfreund sein, ein Konflikt in der Familie oder die omnipräsenten Nachrichten über die Kriege in der Ukraine und in Israel. Schon kleine Kinder bekommen über Bilder in der Zeitung, im Fernsehen oder durch die Gespräche Erwachsener vieles mit, das sie beunruhigt. Das lässt sich zwar nicht ganz vermeiden, „trotzdem müssen Eltern darauf achten, dass das Kind nichts sieht oder hört, das es überfordert.“ Spielen wird zum Ventil, für das, was Kinder beschäftigt, sagt Anna Ruschka. Zu einer Art ‚Seelen- reinigung‘. Die von außen betrachtet durchaus brutale Züge haben kann, bei näherem Hinsehen aber meist ziemlich geregelt abläuft. Zumindest bei den etwas älteren Kindern. „Ab vier Jahren wissen die Kinder ganz genau, dass sie nur so tun dürfen, als würden sie den anderen verletzen. Sie schlagen nicht wirklich hin. Sie wissen auch, dass niemand wirklich tot wird, auch wenn sie das spielen.“
Regeln festlegen
Für die Kinder besteht kein Zweifel daran, dass es sich nicht um Wirklichkeit, sondern um ein Spiel handelt. Eingreifen müssen Erwachsene dann, wenn dieses zu ausgelassen und damit die Verletzungsgefahr zu groß wird. Stöcke und Steine dürfen abgenommen, Spielzeuge, die wirklich verletzen können – wie Gewehre, aus denen echte Geschoße fliegen – untersagt werden. „Am besten legt man vor dem Spiel Regeln fest, an die sich alle halten müssen.“ Auch wenn es paradox erscheint: Für Anna Ruschka ist das kämpferische Spiel der perfekte Ort, um Interaktion, das Einhalten von Regeln und ein gutes Miteinander zu lernen. Von grundsätzlichen Verboten in Kindergärten mit Spielzeugwaffen zu spielen, hält die Pädagogin wenig. „Die führt man meist aus einer falsch verstandenen Erziehung zu demokratischem Verhalten ein, ohne sich zu überlegen, wie es pädagogisch sinnvoller wäre.“ Viele Erwachsene, in erster Linie Frauen, würden in konfliktiven Situationen zu früh mit der Friedensfahne winken. Männer hätten meist weniger Probleme damit, wenn Kinder kämpferisch spielen. „Man darf nicht vergessen, dass es zur Friedenserziehung auch gehört, Gefühle auszudrücken. Und das geht im Spiel mit Waffen und Kämpfen hervorragend.“
Anna Ruschka, Elementarpädagogin
Kampf gegen das Böse
Was Erwachsene, die das Spielen mit Waffen ablehnen, darüber hinaus übersehen würden: „Meist geht es dabei um ethisch sehr hochstehende Werte, nämlich um den Kampf gegen das Böse oder die Rettung der Welt.“ Dass es auch Böses in der Welt gibt, gehe auch an den Kindern nicht spurlos vorüber. Umso besser, wenn sie sich dabei auf die Seite der Guten stellen. Und sei es mit einem Schwert aus Pappe, einer Pistole aus einem gebogenen Aststück oder einer Waffe aus dem Spielzeughandel. Die Sorge, Kinder würden deshalb verstärkt zu gewalttätigem Verhalten neigen, sei unbegründet, betont Anna Ruschka. „Kindern, denen es möglich ist, all ihre Gefühle, ihre Schwierigkeiten vor allem im Rollenspiel mit anderen zu bearbeiten, haben es als Erwachsene nicht notwendig, ihre Probleme mit Gewalt zu lösen. Sie entwickeln dadurch die Fähigkeit die Sprache zur Lösung von Problemen einzusetzen.“
Wichtige Spielregeln für das wilde Spielen
Am besten bespricht man mit Kindern im Vorhinein, welche Regeln beim kämpferischen Spielen mit Waffen zu beachten sind.
- Jeder darf selbst entscheiden, ob er mitspielen mag. Im Sommer kann das bedeuten: Mit den Wasserspritzpistolen werden nur die angespritzt, die dem von vornherein zugestimmt haben.
- Jedes Kind hat jederzeit das Recht zu sagen „Stopp, ich mag das nicht!“. Das darf von den anderen nicht ignoriert werden.
- Waffen und Gegenstände, die wirklich verletzten können, kommen nicht zum Einsatz bzw. können jederzeit von Erwachsenen konfisziert werden.
- Am Gesicht der Mitspielende erkennt man gut, ob sie sich wohlfühlen oder nicht. Merkt man, dass es einem Kind zu viel wird, hört man auf.
- Erwachsene können das Spiel jederzeit unterbrechen, wenn es zu wild wird.
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