Zeitgenössische Kunst für Kinder: Unbedingt!
Erwachsene tun sich mit zeitgenössischer Kunst häufig schwer, Kinder hingegen haben meist wenig Berührungsängste. Also: Auf ins Museum!
Grün. Auf jeden Fall viel Grün. Die Kinder, die vor Maria Lassnigs Gemälde‚ Doppelselbstporträt mit Kamera‘ sitzen, sehen im ersten Moment vor allem diese eine Farbe: Grün. Nach und nach nehmen sie weitere Farbnuancen des Bildes wahr, schauen sich die Kamera genauer an, die eine der beiden Figuren auf dem Gemälde in der Hand hält. Rätseln, warum der Kopf der anderen Figur so seltsam aussieht. Und entdecken irgendwann das Bild im Bild: Die beiden Figuren stehen gar nicht hintereinander, eine blickt die Betrachter von einer Leinwand aus an! „Ein Bild wie das der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig kann ein guter Ausgangspunkt für Kunstvermittlung an Kinder sein“, sagt Eva Mühlbacher. Mühlbacher ist Kunstvermittlerin im Belvedere in Wien, sie konzipiert Führungen und Workshops für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und die gesamte Familie. „Kinder sind meist sehr offen und interessiert, manchmal aber auch ein bisschen frustriert, weil sie das Bild nicht angreifen dürfen.“
Schöpferisch durch Freiraum
Zum Angreifen gibt es bei in den Kunstvermittlungsprogrammen für Kinder normalerweise aber immer irgendetwas. Eine Polaroidkamera zum Beispiel. „In einem der Familienprogramme arbeiten wir mit solchen Kameras“, erzählt Eva Mühlbacher. „Ich liebe es, den Kindern einfach eine Kamera hinzulegen und sie zuerst einmal herausfinden zu lassen, worum es sich handelt.“ Ein Drucker? Ein Rasenmäher? Die Antworten der Kinder fallen überraschend aus. „Wenn sie wissen, dass es sich um eine Kamera handelt, probieren sie aus, wie sie funktioniert.“ Mühlbacher lässt den Kindern Zeit und gibt ihnen Raum. Das sei wichtig, sagt sie, damit Kreativität entstehen kann. „Das Schöpferische fängt dort an, wo es Freiraum gibt.“
Dreihundert Kilometer entfernt in der Salzburger Altstadt verfolgt Cristina Struber einen ähnlichen Ansatz. „Man muss zuerst einmal viel Raum schaf- fen, damit Kinder einen Zugang zu Kunst finden“, sagt die Kunstvermittlerin im Museum der Moderne Salzburg. Das Museum bietet Ateliers für Kinder ab drei Jahren, Workshops für Schulklassen und Jugendliche und Ausstellungsbesuche für Familien an.
Weniger Wissen, mehr Erfahren
Die großen Hallen des Museums, in denen normalerweise kaum mehr als gedämpftes Murmeln zu hören ist, füllen sich mit Gelächter und angeregtem Plaudern, wenn Kinder da sind. Und das sei gut so. „Kinder und ihre Bedürfnisse dürfen im Museum sichtbar sein. Wir stellen ihnen dafür den Raum und die Zeit zur Verfügung und durch gute Vorarbeit ein Setting, in dem sie Kunst erfahren können.“ Das eigene Erleben steht dabei im Vordergrund, auf umfangreiche Erklärungen wird verzichtet. „Natürlich könnte ich den Kindern viel Objektives über ein Kunstwerk erzählen, ich weiß ja einiges darüber. Es geht aber weniger ums Wissen, sondern ums Erfahren.“ Was sehe und empfinde ich? Was löst das Kunstwerk in mir aus? Fragen wie diese poppen auf und werden von jedem Menschen – ob Kind oder erwachsen – subjektiv beantwortet. Gerade zeitgenössische Kunst bietet eine gute Möglichkeit, sich herausfordern zu lassen. Sie ist für Kinder auch deshalb ideal für die Auseinandersetzung, weil zeitgenössische Kunstwerke wie Bilder, Skulpturen, Installationen oder Performances oft nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen, zu hören und auch anzufassen ist.
Barrierefreier Zugang
Während sich viele Erwachsene mit zeitgenössischer Kunst oft schwertun, nimmt Cristina Struber bei Kindern wenig Berührungsängste wahr. „Mich fasziniert die Neugierde bei Kindern, dass sie nicht gehemmt sind und viele Fragen stellen. Erwachsene sind da häufig viel zögerlicher und äußern sich seltener.“ Gleichzeitig ist Struber überrascht von der sachlichen Analyse, die Kinder in Bezug auf ein Kunstwerk äußern und von ihrem genauen Blick. „Sie sehen außerdem häufig ganz andere Dinge, die ich nicht sehe.“ Sowohl Cristina Struber als auch Eva Mühlbacher ist es ein Anliegen, den Zugang zu Kunst möglichst barrierefrei zu gestalten. Vom Nimbus des Museums als elitäre Einrichtung, die nur gebildeten Menschen bestimmter gesellschaftlicher Schichten offen steht, möchten sie wegkommen. Struber sieht hier vor allem die Kultureinrichtungen selbst in der Pflicht: „Wir müssen alles tun, um einladend zu wirken und auch jene zu erreichen, die nicht von selbst kommen.“ Eltern ermutigt sie, bei Interesse einfach vorbei zu schauen und Angebote auszuprobieren. Niemand müsse Angst haben, im Museum etwas falsch zu machen.
Unterschiedliche Bedürfnisse
Für Eva Mühlbacher ist die Idee, man müsse viel wissen, um mit Kunst etwas anfangen zu können, eine verzichtbare Einstellung aus der Vergangenheit. Gerade Kinder würden das Gegenteil beweisen: Sie lassen sich von Kunst auch ohne große Erklärungen anspre- chen. Manchmal benötige sie dafür besonders viel Einfühlungsvermögen, sagt Mühlbacher. Die Bedürfnisse und Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen in ihren Programmen seien unterschiedlich – darauf möchte sie eingehen. Manche sind überfordert und brauchen mehr Zeit, um sich einlassen zu können, nicht jeder ist sofort bereit, sich vor der Gruppe verbal zu äußern. Als Kunstvermittlerin weiß sie, dass Kunst auch irritieren kann. „In der Kunst geht es nicht nur um Wohlgefallen und Konsum“, sagt Mühlbacher. „Sie kann aber auf jeden Fall einen Mehrwert für das Leben bringen. Kunst bereichert, inspiriert und liefert neue Denkansätze.“
Bald geöffnet:
Das Kinderkunstlabor in St. Pölten
Das Kinderkunstlabor, das im Juni 2024 in St. Pölten seine Pforten öffnet, ist ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst für Kinder und noch einiges mehr.
Kinder sind nicht bloß eingeladen, das Haus zu besuchen und Kunst anzusehen, sondern die Räume, das Programm und die Themen aktiv mitzugestalten. Die beteiligen Kinderbeiratsgruppen umfassen ganze Kindergartengruppen und Schulklassen und ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit Kunst durch Projekte und Workshops über einen längeren Zeitraum. Die Ergebnisse und daraus entstehende Anliegen fließen in die Entscheidungsprozesse und die Programmgestaltung des Kinderkunstlabors mit ein. Darüber hinaus gibt es die Kunstideenwerkstatt, ein Mitgestaltungsgremium, das allen Kindern außerhalb des schulischen Kontextes offen steht mitzumachen.
Bereits im Vorfeld der Eröffnung des Hauses wurden der Kinderbeirat und die Kunstideenwerkstatt maßgeblich in die Planung miteinbezogen. 75 Kinder beteiligten sich am Auswahlprozess für zwei Kunstwerke in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich für den Altoonapark, der das Kinderkunstlabor umgibt. Sechs von ihnen waren Teil der Jury, die die Letztentscheidung für zwei der insgesamt vier dauerhaften Installationen im Parktraf. Auch die anderen zwei Installationen sind in Workshops mit den Kindern entstanden. Bildende Kunst, Medien, Installation, Design und Architektur: Das Kinderkunstlabor lädt Kinder (und interessierte Erwachsene) zu einem Dialog mit Künstlern und mit Kunst ein. Das große Ziel: Kindern in ihrem Recht auf Teilhabe an Kunst und Kultur zu bestärken.
Hauseröffnung Räume für Träume:
29. & 30. Juni 2024
Ausstellungseröffnung Rivane Neuenschwander:
14. & 15. September 2024
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