Ich geh’ nicht mit Fremden mit!
Wie können wir Kinder vor Fremden warnen ohne sie zu verängstigen? Was hat ein sicherer Umgang mit Fremden mit der Selbstwahrnehmung des Kindes zu tun? Und macht es überhaupt Sinn, Kinder auf den Ernstfall vorzubereiten?
Es ist der Alptraum aller Eltern. Das eigene Kind wird am Heimweg oder im Park von einer fremden Person angesprochen. Die Person verspricht Süßigkeiten oder niedliche Haustiere zum Streicheln. Denken sich Kinder nichts dabei und gehen mit der Person mit, kann es zum Schlimmsten kommen: nämlich, dass man sein Kind nie wieder sieht.
Damit es niemals zu so einer fürchterlichen Realität kommt, sollten wir unseren Kindern schon frühzeitig vermitteln, wer als enge Vertrauensperson gilt und was dies bedeutet. Nur die sind es nämlich, die spontan einspringen, wenn es zum Beispiel ums Nachhausebringen geht – alle anderen nicht. Gleichzeitig muss auch klar sein, dass „alle anderen“ nicht „böse“ sind. Sie erfüllen schlichtweg diese Rolle der Vertrauensperson nicht. Auch muss klar sein, dass Männer und Frauen, die man nur vom Einkaufen oder Spazierengehen kennt, de facto „Fremde“ sind. Eine zusätzliche, generelle Regel kann lauten: Geh’ nie mit fremden Personen mit, wenn sie dich dazu auffordern. Und zwar auch dann nicht, wenn sie um Hilfe bitten. Denn es sollte ebenfalls klar sein, dass nur Erwachsene fremden Erwachsenen helfen.
Selbstwahrnehmung als Basisschutz
„Eine Sensibilisierung im Sinne einer differenzierten Fähigkeit einen Menschen einzuschätzen, ist im Grunde ein lebenslanger Prozess“, sagt Sexualpädagogin Bettina Weidinger. Von Kindern unter zehn Jahren könne man eine „richtige“ Einschätzung von derlei Gefahrensituationen nicht wirklich erwarten. Schließlich sei es selbst Erwachsenen nicht immer möglich, eine Situation „richtig“ einzustufen. Insofern sei es zu kurz gedacht, Kinder mit ein paar guten Gesprächen auf mögliche, ernste Situationen vorzubereiten. Vielmehr komme es laut Weidinger darauf an, dass Kinder langfristig auf eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Bezugspersonen setzen können. Das kann für Eltern auch bedeuten, ihren Erziehungsstil immer wieder zu hinterfragen. „Erwachsene sollten jede Form emotionaler Erpressung vermeiden und vor allem auf ablehnendes Verhalten durch das Kind nicht strafend reagieren“, erklärt Bettina Weidinger. Bezugspersonen, die keine Form der Ablehnung ihres Kindes aushalten, vermitteln nämlich, dass man Erwachsene niemals kränken, beleidigen oder ablehnen darf, weil man sonst nicht geliebt wird. „Erwachsene, die mit den Kindern ständig über Grenzen reden und darüber, was man will und nicht will, übersehen oft völlig, dass das Bedürfnis, kognitiv zu reflektieren etwas Erwachsenes ist“, weiß Weidinger. Eltern tun gut daran, ihren Kindern beizubringen, dass Erwachsene auch Fehler machen und man ruhig sagen darf, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. Nein sagen also. Empfindungen äußern dürfen, Emotionen wie Zorn und Trauer zeigen, auch wenn es den Eltern zuwider ist. Über den eigenen Körper entscheiden: zum Beispiel nicht kuscheln müssen, selbst wenn die Oma beleidigt ist.
Ein bisserl brav sein – muss das sein?
„Kinder, die ihren Körper und ihre Gefühle wahrnehmen können, die sich sicher fühlen, die altersadäquate Selbstbestimmung leben dürfen, die Respekt erfahren, können ihre inneren, wie auch ihre Körpergrenzen spüren“, sagt Weidinger. Denn die eigene Wahrnehmungsfähigkeit sei die Vorrausetzung dafür, dass Kinder auch spüren, wenn Grenzen überschritten werden oder etwas nicht stimmt. Besonders schlimm sei es laut Weidinger, wenn Kindern von klein auf das „Bravsein“ gelernt wird. „Brave“ Kinder spüren nämlich selbst weniger was sie wollen, weil sie meist so agieren, um eben brav zu sein – also sozusagen fremdgesteuert. Die Sexualpädagogin bringt es auf den Punkt: „Geht es um Gefahreneinschätzung sowie die Prävention sexueller Gewalt, so ist es unabdingbar, dass Kinder gelernt haben, dass die eigenen Bedürfnisse und Grenzen wahrgenommen werden und dass man Erwachsenen widersprechen darf – und dennoch geliebt bzw. geachtet wird.“
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