Familienleben

Wenn am Nachmittag aus Mama die Frau Lehrer wird

Immer mehr Mütter (und auch Väter) drücken zusammen mit ihren schulpflichtigen Kindern noch mal die Schulbank. Da wird gemeinsam für Tests und Schularbeiten gebüffelt. Hausaufgaben werden Seite an Seite nach Strich und Faden abgearbeitet. Warum fühlen sich Eltern vermehrt für die schulische Lern- und Organisationsarbeit ihrer Kinder verantwortlich? Klappt Schule heutzutage nicht mehr ohne Mamas Hilfe?

 

Wir müssen am Wochenende leider noch Mathe üben, sonst schaffen wir die Schularbeit nächste Woche nicht. Morgen ist Biologie-Test, wir sollten heute Nachmittag den Stoff wiederholen. Wir knüpfen uns heute noch die Englisch Vokabeln vor, schließlich ist in drei Tagen Schularbeit. Die WIR-Form dieser Sätze sollten einem zu denken geben. Während die Eltern der heutigen Eltern-Generation vielfach wohl kaum Termine für Schularbeiten, Tests oder Referate ihrer Sprösslinge im Kopf hatten, weil Schule schlichtweg Sache der Kinder war, werden schulische Belange heutzutage mehr und mehr zur Familienaufgabe. Zahlreiche pflichtbewusste Eltern finden sich oft in der Rolle von „Hilfslehrer:innen“ wieder und bemühen sich tagt.glich darum, dass das Hausübungs-Pensum vollständig abgearbeitet sowie termingerecht für Prüfungen und Schularbeiten gelernt wird – das Ganze auf Kosten von Geduld, Zeit, Beziehungsqualität und oftmals auch weit über die Grenzen gesunder Belastbarkeit hinaus. Das Thema Schule hat Familien meist so sehr im Griff, dass es im Familienalltag oft ganze Nachmittage, Abende und Wochenenden nur ums Kontrollieren, Lernmotivieren und Assistieren geht.

Elternberaterin und familylab-Expertin Ines Berger sieht diese Entwicklung äußerst kritisch: „Ich erlebe in meiner Praxis mitunter äußerst belastete Eltern-Kind-Beziehungen aufgrund des schulischen Drucks. Den Kindern fehlt oft die Freude am Lernen, sie leiden häufig unter großer Prüfungsangst. Die Eltern sind gefangen im Stress und verfallen aus Sorge um die Zukunft ihres Kindes oft in eine Art Kontrollwahn“. Natürlich sei nicht die Rede von Eltern, deren Kinder gerade am Beginn ihrer Schulkarriere stehen und anfänglich klarerweise noch die elterliche Unterstützung brauchen. Gemeint seien Eltern, die nicht selten noch weit bis in die Oberstufe hinein ihr Kind in bester Absicht unterstützen und dabei jedoch völlig über das Ziel hinaus schießen.

 

 

Bildungspanik – was Bildung mit Elternglück zu tun hat

Eltern meinen oft, sich verstärkt involvieren zu müssen, aus Angst davor, dass aus ihrem Kind sonst nichts Gescheites wird. Die Soziologie hat hierfür den Begriff Bildungspanik geprägt. „Der Satz WIR haben Schularbeit steht symptomatisch für den Bildungsstress, unter dem gerade gut gebildete Eltern, die eine enge und gute Beziehung zu ihren Kindern haben, oft stehen. Eltern fiebern heutzutage mit den Kindern mit, leiden unter Misserfolgen und geben ihrem Kind damit unbewusst das Gefühl, dass ihr Elternglück von seinen Leistungen abhängt“, versichert Beraterin Ines Berger. Bildung als idealer Weg um gute Elternschaft zu beweisen, sei ein sehr starker Trigger. „Wie wir damit umgehen hat immer auch mit unseren eigenen Erfahrungen zu tun. Vielfach mischt zum Beispiel auch die Angst der Eltern vor einer Bestrafung seitens der Schule mit – vor allem wenn man selbst Schule etwa als eine zum Gehorsam verpflichtete Autorität wahrgenommen hat“, so Berger.

 

Unterricht unter Druck – Schulen als gesellschaftliche Drehscheibe

Der Druck auf der Elternseite, alles „richtig“ zu machen, sei das eine. Auf der anderen Seite geht die Schule heutzutage tatsächlich immer öfter davon aus, dass Eltern sozusagen ihr verlängerter Arm seien. So wird in vielen Schulen beim Elternabend verlangt, dass die Hausaufgaben kontrolliert werden und mit den Kindern für Schularbeiten gelernt werden soll. Manche Schulen bestehen darauf, dass Schulgespräche ausschließlich mit den Eltern und ohne Kind stattfinden. Längst ist es Usus, dass Eltern die Termine sowie den Lernstoff für Tests und Prüfungen ausgehändigt bekommen. Informationen zu Hausaufgaben & Co laufen über digitale, durchaus für die Eltern bestimmte „Mitteilungskanäle“, ebenso wie regelmäßige Unterrichts-Updates. Der Effekt, dass Eltern sich vermehrt in die Pflicht genommen sehen, wird dadurch weiter verstärkt. Auch der Erwartungsdruck an die Schulen ist immens gestiegen. Ob Kinderarmut oder soziale Spannungen zwischen Kulturen und Religionen – was eine Gesellschaft nicht in den Griff bekommt, wird bekanntlich auf die Schule übertragen. Der allgemeine Lehrpersonalmangel und ein mehr an Schulstoff mit immer neuen fachlichen, fächerübergreifenden und überfachlichen Kompetenzen und externen Kontrollmechanismen erhöhen den Druck enorm.

 

 

Geht es ohne Mamas Hilfe wirklich nicht?

„Wenn jedes zweite Kind an einer AHS Nachhilfe braucht, dann ist das ein Armutszeugnis für unser Schulsystem. Die Mehrheit der Eltern zahlt daher doppelt in unser Schulsystem: Einerseits Steuergelder für die öffentlichen Schulen und dann nochmals entweder Schulgeld für die Privatschule oder für den privaten Nachhilfeunterricht“, sagt Bildungsexperte Andreas Salcher. Neben dem oft schon obligaten Nachhilfeunterricht sind es im Übrigen vor allem die in Teilzeit arbeitenden Mütter, die zu „Hilfslehrerinnen“ mutieren, sobald der Nachwuchs von der Schule heim kommt. „Meine Buben sind beide im Gymnasium, einer noch in der Unterstufe. In den öffentlichen Debatten rund um Kind und Karriere wird meines Erachtens häufig übersehen, wie viel Zuwendung und Betreuung schulpflichtige Kinder auch im fortschreitenden Alter nach dem Unterricht benötigen“, meint Irene. Man müsse doch bei Hausübungen & Co „dahinter sein“ und könne die Kinder in der Schule nicht einfach „anrennen lassen“, meint die Ordinationsgehilfin. Selbständige Kinder, gelassene Eltern Da zu sein, wenn die Kinder einen brauchen, statt ständig proaktiv zu pushen – das wünschen sich vermutlich viele Eltern. Doch solange beim Thema Schule Ängste und Ansprüche mitmischen, es bestmöglich zu machen, wird es schwierig sein, Verantwortung abzugeben. „Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht wissen können, was das Beste für unsere Kinder ist. Unsere Kinder sind keinesfalls auf dieser Welt, damit WIR uns verwirklichen, damit sie den Weg gehen, den WIR so gerne gegangen wären oder den, den WIR für richtig halten. Wir müssen uns also fragen: Geht es um mich und meine Erwartungen oder um das Wohl des Kindes?“, ist Ines Berger überzeugt. Kinder müssten die Chance bekommen, Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung zu lernen. Insofern hätten sie ein Recht auf ihre eigene schulische Performance, ohne dass Mama und Papa ihnen ständig über die Schulter blicken. „Kinder müssen selbstwirksam agieren und selber Probleme lösen können. Dabei dürfen sie auch Fehler machen, um sich weiterzuentwickeln“, erklärt Berger. Eltern müssten den Mut aufbringen, mehr Distanz zur Schule einzunehmen, den Kindern mehr Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen entgegenbringen und gegebenenfalls auch offen sein für eine Kursänderung. Und zwar möglicherweise dann, wenn das stundenlange Lernen und üben nur noch zur Qual für alle wird oder sich ein Kind an einer AHS nur mit größter Anstrengung über Wasser halten kann – nämlich mit Überlegungen zu alternativen Lernsettings oder auch der Option für eine andere Schule. Anstatt ständig zu kontrollieren, ob das Kind für die Schule wohl alles vollständig erledigt hat, würden Eltern gut daran tun, für sich selber folgende Überlegungen anzustellen:

„Identifiziere ich mich mit den Noten meiner Kinder? Versage ich als Mutter, wenn mein Kind einen Fünfer nach Hause bringt? Halte ich es aus, wenn etwa für die Mathe-Schularbeit zu wenig gelernt wird oder es negative Konsequenzen für mein Kind gibt, wenn die Hausübungen einmal nicht erledigt sind?“ Kinder zur (schulischen) Selbständigkeit zu erziehen, ist ein riesen Herausforderung. Da brauche es laut Ines Berger ganz viel Vertrauen, um aus dem Hamsterrad des täglichen Schulstrudels herauszutreten – und letztendlich den Mut zum Loslassen.

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