AUSGEBRANNT: Wenn Mama nicht mehr kann
Wenn Mütter – oft mehrfach belastet durch Job, Familie und Haushalt – es nicht mehr schaffen, zu entspannen, kann das ein Anzeichen f ür ein beginnendes Burnout sein.
Zehn Minuten. Eine lächerlich kurze Zeitspanne. Kann es tatsächlich sein, dass man diese paar Minuten nirgendwo im Alltag – und sei dieser noch so dicht – unterbringen kann? Auch dann nicht, wenn es um die eigene Gesundheit geht? Zehn Minuten vor einer Infrarotlampe, um Ohrenschmerzen zu lindern: Die Frau, von der Helen Heinemann, Burnout-Expertin und Autorin, erzählt, hat das nicht hingekriegt. Sie konnte sich die Pause nicht abringen. Hatte viel zu viel zu tun. Die Kinder. Der Job. Die piepende Waschmaschine. Sie warf sich möglicherweise schnell eine Schmerztablette ein, anstatt im Infrarotlicht kurz auszuruhen. Für Helen Heinemann ist diese kleine Geschichte mitten aus dem Leben ein Sinnbild für das, was viele Frauen, die Mütter sind, heutzutage erleben. Ihr Alltag ist voll. Sie sind erwerbstätig, hetzen nach der Arbeit in den Supermarkt, stellen das Nudelwasser auf den Herd und werfen die nasse Wäsche in den Trockner. Sie messen die Fü.e ihrer Kinder für den anstehenden Schuhkauf, überweisen den Elternvereinsbeitrag und prüfen die Vokabeln ab. Sie ärgern sich, dass sie aufs Wechselgewand für den Kindergarten vergessen haben und dass es wieder mal nur Nudeln mit Fertigsugo zum Abendessen gibt.
Wertschätzung fehlt
Abends reicht die Energie kaum dafür, die Arbeitsflächen in der Küche abzuwischen. Dabei gebe es einen Haufen organisatorische Dinge mit dem Partner zu besprechen. Von Zweisamkeit gar nicht erst zu reden. „Es ist ein Wahnsinn, was Frauen heutzutage alles stemmen müssen“, sagt Helen Heinemann. Anders als manche gerne behaupten, glaubt die Burnout-Expertin nicht, dass es Müttern heutzutage viel leichter hätten als deren Mütter und Großmütter. Die Ansprüche, die gesellschaftlich und politisch an sie herangetragen werden, sind heute höher denn je. Der Druck, den sie sich oft selbst machen, ist es ebenso. Frauen sollen so schnell wie möglich wieder ins Erwerbsleben einsteigen, am besten zu hundert Prozent. Gleichzeitig sollen und wollen sie sich mit Hingabe der Erziehung ihrer Kinder widmen. Morgens die kreativsten Jausenboxen herrichten und abends geduldig tobende Zahnputzverweigerer begleiten. Die Wertschätzung dafür fehlt oft. Denn Fürsorgearbeit, die in den meisten Familien zu einem überwiegenden Teil an den Frauen hängt, bleibt meistens unsichtbar. Sie fällt erst auf, wenn sie nicht mehr geschieht.
Verlust der Erholungsfähigkeit
Dass viele Frauen – und mit ihnen auch jene Männer, die einen beträchtlichen Teil der Fürsorgearbeit übernehmen – erschöpft sind, sei kein Wunder, sagt Heinemann. Manche von ihnen sind sogar Burnout-gefährdet. Oder sie sind bereits mittendrin in einem chronischen Erschöpfungszustand, aus dem sie allein nicht mehr rauskommen. Klar, ist Familienarbeit grundsätzlich anstrengend und kräfteraubend. Nach einem anstrengenden Tag erschöpft zu sein, ist noch kein Zeichen für ein Burnout. Sich mit Augenringen müde durch den Tag zu kämpfen, weil das Baby gerade zahnt, auch nicht. „Wenn es aber zu einem Verlust der Erholungsfähigkeit kommt, dann wird es kritisch“, sagt Helen Heinemann. Wer sich selbst dann, wenn er ausschlafen konnte, ausgelaugt und fertig fühlt, wer auch in Phasen der Ruhe nicht mehr entspannen kann, hat ein Problem. „Solche Frauen drehen immer schneller. Sie haben das Gefühl, sie genügen an keiner Stelle.“ Beim Verdacht, Burnout gefährdet oder bereits ausgebrannt zu sein, sollte sich unbedingt Hilfe suchen. Der Hausarzt ist eine erste Anlaufstelle und wird gegebenenfalls an einen Spezialisten überweisen.
Energie tanken
Damit es gar nicht so weit kommt, hilft wahrscheinlich nicht das Vollbad, das bei Stress allzu oft zur Selbstfürsorge empfohlen wird. „Dafür haben Frauen vielfach keine Zeit, weil da ja schon die Kinder an der Tür klopfen“, sagt Heinemann. Dennoch empfiehlt auch die Expertin auf Spurensuche im eigenen Alltag zu gehen und zu schauen, wo man Kleinigkeiten ändern oder etablieren kann, um zwischendurch wieder Energie zu tanken. „Das kann sein, die Kinder etwas länger in der Betreuung zu lassen, damit man nach der Arbeit kurz selbst verschnaufen oder zumindest in Ruhe einkaufen kann“, empfiehlt Heinemann. Dem eigenen Schlaf Priorität geben. Vernünftig essen. Raus in die Natur gehen oder Freundinnen treffen. Das alles löst die gesellschaftlichen Missstände nicht, auch das Ungleichgewicht in so manchen Partnerschaften verschwindet damit nicht. Helen Heinemann plädiert auf jeden Fall dafür, die Männer in die Pflicht zu nehmen. „Man muss aber nicht alle gesellschaftlichen Themen in der eigenen Partnerschaft aushandeln.
mia-Miteinander Auszeit
Für Familien, die besonders starken Belastungen ausgesetzt sind, bietet mia-Miteinander Auszeit, ein Angebot von pro mente Reha, die Möglichkeit, wieder zu Kräften zu kommen. Mütter und Väter (wobei fast 95 Prozent der Teilnehmenden Frauen sind) erhalten während des präventiven Aufenthalts in Bad Hall (OÖ) drei Wochen lang psychologische und psychotherapeutische Begleitung, während die Kinder betreut werden. „Wir sind ein präventives Angebot“, sagt Helga Pollheimer, Leiterin von mia. „Drei Wochen Abstand von zu Hause tun den Familien gut. Allein, dass die vielen Aufgaben im Haushalt wie kochen oder Wäsche waschen wegfallen und die Kinder als Begleitpersonen der Eltern gut versorgt sind, hilft ihnen schon. Dazu kommen Entspannungsangebote, Physiotherapie, Bewegung und Elterngruppen.“ Für die Zeit nach dem Aufenthalt werden Problemlösungsstrategien erarbeitet und gezielte Empfehlungen zur Bewältigung des Alltags gegeben. „Das Allerwichtigste haben die Frauen und Männer allerdings schon gemacht: Sie haben den ersten Schritt gesetzt und sich eingestanden, dass sie Hilfe brauchen. Wir bestärken sie sehr darin, dass es keine Schwäche ist, sich Hilfe zu suchen – das gilt auch für die Zeit nach dem Aufenthalt bei uns.“
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