„Die große Kunst besteht darin, zum Wunsch ,Nein‘ und zum Bedürfnis ,Ja‘ zu sagen!“
Familien- und Erziehungsberaterin Linda Syllaba erklärt, was Nein sagen mit Eigenverantwortung zu tun hat und wie sich Eltern gerade in stressigen Situationen deutlich verständigen können – wertfrei und ohne Kränkung.
Warum fällt es uns allgemein leichter „Ja“ zu sagen als „Nein“?
Linda Syllaba: Ein „Ja“ ist positiv konnotiert, weil es als sozial verträglicher angesehen wird und grundsätzlich freundlicher rüberkommt. Als soziale Wesen liegt es in unserer Natur, dass wir irgendwo dazu gehören möchten und entsprechend sorgen wir uns, dass wir abgelehnt werden. Dabei ist ein „Nein“ genauso wichtig, weil es dazu dient, Grenzen klar zu machen. Ehrlich Nein sagen zu können, hat viel mit Eigenverantwortung zu tun. Mit der Fähigkeit, zu sich selbst zu stehen und zu artikulieren, was für einen gut oder wichtig ist.
Vielleicht fürchten wir uns vor dem „Nein“ auch deshalb so, weil wir es in unserer Kindheit selber so oft gehört haben.
Syllaba: Ganze Generationen sind so erzogen worden, dass mit einem elterlichen „Nein“ jede würdevolle Kommunikation auf Augenhöhe zunichtegemacht wurde. Mit Beschimpfungen, Drohungen oder Beschämungen sollte der Wille der Eltern auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden. Dabei gibt es auch eine unheimlich liebevolle Art, um Nein zu sagen.
Wie soll ich liebevoll Nein sagen, wenn mein Kind sich zum Beispiel an der Supermarktkasse schreiend auf den Boden wirft, weil es den Lutscher nicht kriegt?
Syllaba: Beim Neinsagen kommt es drauf an, ob ich es mit einem Bedürfnis oder einem Wunsch zu tun habe. Kinder (und wir Großen ja auch) haben viele Wünsche – von Süßigkeiten, über Spielsachen bis hin zu Videospielen. Und zu jedem Wunsch kommt auch das Bedürfnis dazu nach Verbindung. So – und jetzt wird es kompliziert: denn natürlich ist es unsere Aufgabe als Eltern, unsere Kinder vor einem zu viel an Zucker, Medien & Co zu schützen. Nun ist also die Kunst gefragt, zum Wunsch „Nein“ und zum Bedürfnis „Ja“ zu sagen.
Und wie soll das gehen?
Syllaba: Bleiben wir beim Supermarktbeispiel. Wenn ich als Mutter sage: „Ich weiß, dass du das haben willst UND ich kaufe es dir trotzdem nicht!“, sage ich ruhigen Gewissens „Nein“ zum Wunsch. Ich sage bewusst UND und nicht ABER. Denn das UND verbindet die beiden Aussagen und lässt damit beide bestehen. Das Kind wird daraufhin lautstark protestieren und einen Prozess durchmachen, der in der
Regel beim Zorn beginnt und mit Tränen seinen Höhepunkt erreicht. Allmählich wird es sich wieder beruhigen. So lernt das Kind auf lange Sicht, seine Impulse zu kontrollieren und seinen Frust auszuhalten.
Dieses Procedere müssen Eltern aber auch erst einmal aushalten. Wie kann man in einer brenzligen Situation klar und ruhig kommunizieren?
Syllaba: Hilfreich ist, sich diesen Gedanken zu verinnerlichen: Meine Kinder machen das nicht, weil sie mich provozieren wollen. Sie machen es für sich selbst. Fängt man an zu drohen, entstehen meist unschöne Machtkämpfe. Belohnen ist im Grunde eine Ablenkung und hilft dem Kind nicht dabei zu lernen, seine Bedürfnisse aufzuschieben. Was wir auch nicht vergessen dürfen: Es geht nicht nur um die Bedürfnisse der Kinder. Alle müssen gesehen und ernst genommen werden.
Wie geht man mit recht selbstbestimmten Kindern um?
Syllaba: Was bei besonders autonomen Kindern gut funktioniert, ist das Spiegeln der Gefühle: damit gebe ich dem Kind zu verstehen, dass ich es sehe und höre und durchaus ernst nehme. In manchen Fällen kann es auch Sinn machen, sich selbst zu hinterfragen. Warum sage ich eigentlich „Nein“? Oft spüren die Kinder, wenn ich selber nicht so überzeugt davon bin. Im Übrigen sind wir alle nicht perfekt und es gibt Situationen, da weiß man einfach selber nicht, ob ein „Nein“ oder „Ja“ besser wäre. Vor allem bei Themen rund um pubertierende Kinder kann es hilfreich sein, die Kinder um eine Bedenkzeit zu bitten, bevor man stur auf „Nein“ schaltet.
„Es kann auch sinnvoll sein, mich selbst zu hinterfragen: Warum sage ich eigentlich ,Nein‘?“
Linda Syllaba
Familien- und Erziehungscoach
www.beziehungshaus.at
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