„Die Schule zeigt sich seit Jahrzehnten reformunfähig“
Autor Oliver Hauschke über seine Forderungen an das Schulsystem: Warum Schule ganz neu erdacht werden muss, Lehrer und Eltern den Schülern zu wenig zutrauen und Noten nicht mehr zeitgemäß sind.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Schule Kinder mehr auf die Vergangenheit, denn auf die Zukunft vorbereitet …
Hauschke: Dem ist auch so, denn zu viele Inhalte sind zu wenig am realen Leben dran. Die Lehrpläne werden nur bedingt angepasst, und es gibt nach wie vor die tradierten Fächer. Ich denke aber, dass man Bildung durch ganz viele Thematiken vermittelt bekommt – und das sollten auch welche sein, die stärker an der Zukunft orientiert sind.
„Schafft die Schule ab“ – diese Forderung ist ziemlich restriktiv. Wieso sollte man die Schule denn komplett abschaffen? Kann man nicht einfach einzelne Elemente ändern?
Weil sich die Schule sich seit Jahrzehnten nicht reformfähig zeigt. Es geschehen nur kleine Schritte, bei denen sich die Verantwortlichen gleich auf die Schultern klopfen und sagen „Wir haben Methodenvielfalt oder versuchen Inklusion“, aber letztendlich tut sich so gut wie nichts: Ich sehe in den Schule Gruppen von 30 Kindern, meist immer noch in Reihen sitzen, und vorne an der Tafel steht der Lehrer. Das war bei mir schon so, und es war auch bei meinen Eltern so. All das, von dem wir eigentlich wissen, wie Schule gut funktionieren kann, findet im System Schule so gut wie gar keinen Eingang.
Was zeichnet eine gute Schule aus, die die Kinder und Jugendlichen auch wirklich glücklich und auch fit für die Zukunft macht?
Das Wichtigste bei all dem ist, dass eine Schule sich an den Kindern und Jugendlichen orientiert und sie und ihren Lernfortschritt und Lernerfolg auch in den Mittelpunkt rückt. Derzeit allerdings sind Schüler nur Mittel zum Zweck, um den Lehrplan durchzupeitschen. Dabei sollte das größte Ziel von uns Lehrern sein, alle Schüler zum Erfolg zu führen. Doch das geschieht nicht, denn wir orientieren uns nicht an den Kindern und ihrer Entwicklung.

Oliver Hauschke, Buchautor, Lehrer und Vater von zehn Kindern
Sie fordern, dass sich Schüler ihr Wissen selbst erarbeiten sollen. Traut man Kindern und Jugendlichen zu wenig zu?
Ja. Es heißt immer wieder, dass Schüler den Notendruck brauchen, um überhaupt zu lernen. Das stimmt nicht. Kleine Kinder etwa sind lernfreudig und möchten viele Dinge tun, die sie bei älteren Geschwistern oder Erwachsenen sehen. In der Schule jedoch nehmen wir ihnen diese intrinsische Lernmotivation weg – und ersetzen sie durch die äußere, nämlich den Notendruck. An anderen Ländern oder anderen Schulformen wie Montessori-Schulen, sieht man aber, dass Schüler selbstständig lernen können.
Sie plädieren dafür, Noten abzuschaffen. Muss man Lernfortschritte nicht dennoch messen?
Noten sagen nichts aus, sie sind subjektiv. Das kennt jeder, der selber in der Schule war. Man könnte Ergebnisportfolios anlegen, die zeigen, was das Kind alles in dem jeweiligen Fach gemacht hat. Das ist doch viel spannender als schlechte Noten, die einem jemand gegeben hat, der einen vielleicht nicht leiden konnte. Anstatt von nur einer Person sollte man auch von mehreren bewertet werden. Man könnte zum Beispiel auch einmal die Schüler eine Bewertung abgeben lassen.
Warum sind viele Gymnasiallehrer mehr am eigenen Fach als an den Schülern interessiert?
Zum einen ist das System daran schuld, denn das Fach wird sehr ins Zentrum gerückt, und der Lehrer sieht sich als Vertreter des Faches. Ich sage das ein wenig überspitzt, aber ich habe den Eindruck, dass so mancher Gymnasiallehrer sein Fach lieber an der Universität unterrichten würde. Das jedoch schafft er aus verschiedenen Gründen nicht und ist dann ein verkappter Professor am Gymnasium. Es spielt auch die Ausbildung eine Rolle: Wenn wir einen Schwerpunkt auf Pädagogik und Entwicklungspsychologie legen würden statt auf die fachliche Ausbildung, wäre schon viel gewonnen.

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