Die Warum-Phase: Anstrengend, aber wichtig!
Kaum ist der Nachwuchs drei bis vier Jahre alt, geht’s los: Die Warum-Phase beginnt. Was Eltern wissen sollten.
Für Eltern anfangs noch amüsant, wird die Fragerei bald zur echten Nervenreibe. Für Kinder unverständlich – als ob sie wüssten, dass diese Neugier essenziell für ihre Entwicklung ist. Und so kommen dann typische Situationen wie diese vor…
„Mama, warum hängen da Luftballons?“, fragt der vierjährige Timo, als seine Mutter an der Wohnungstür ihrer Freundin läutet.
„Weil Tante Petra Geburtstag feiert.“
„Ja, aber wieso hängt sie hier Luftballons auf?“, gibt sich der Kleine noch nicht zufrieden.
„Damit alle sehen können, dass hier eine Party stattfindet.“
„Und wieso sollen das alle sehen?“ –
„Weil die eingeladenen Gäste dann gleich die richtige Tür finden. Und die anderen können sich mitfreuen“, versucht es Timos Mama mit einer Erklärung.
„Und warum will Tante Petra, dass sie sich mitfreuen?“, möchte der Spross wissen.
„Weil es schön ist, wenn sich Menschen freuen. Und außerdem sind bunte Luftballons
doch sehr hübsch …“
Stille.
Geschafft. Der Wissensdurst des Buben scheint gestillt zu sein.
Von wegen: „Aber warum hängt sie denn nicht Papierblumen an die Tür? Die sind doch auch hübsch? „Weil sie wahrscheinlich keine hat“, antwortet die Mutter tapfer. Und schon geht’s munter weiter. „Und warum hat sie keine?“, insistiert Timo ebenso kindlich naiv wie unbarmherzig.
Fragen über Fragen, die meist alltägliche Erscheinungen und Begebenheiten betreffen, manchmal gar fast philosophisch anmuten:
- „Warum mag man manche Menschen und andere nicht?“
- „Wieso müssen wir immer denken?“
- „Warum ist die Oma im Himmel, seit sie tot ist?“
Oder aber sie kitzeln den Naturforschergeist hervor: „Warum leuchten die Sterne?“ – „Wieso verlieren die Bäume ihre Blätter?“ und „Warum tut Papa schnarchen?“ Oft geht es eine ganze Weile so, und die meisten Eltern geben wahrlich ihr Bestes. Bemühen ihre Gehirnwindungen, üben sich in Geduld und kindgerechten Formulierungen. Doch irgendwann reißt selbst den Friedfertigsten unter ihnen der Geduldsfaden. „Jetzt ist genug. Schluss mit der Fragerei!“„Aber warum?“
Kinder sind Forscher und Entdecker
Die „Warum-Phase“ der Sprösslinge machen alle Familien durch. Sie mag für Eltern vielfach anstrengend sein, ist aber unentbehrlich fürs gesunde Heranwachsen der Kinder. „Das intensive Frage-Alter beginnt mit drei bis vier Jahren, dauert ein bis zwei Jahre, manchmal auch länger und ist ein wichtiger Teil der kindlichen Entwicklung“, sagt Claudia Schramel-Winkelbauer, Tagesmutter, Elternbildnerin und Diplom-Erziehungsberaterin in Wien sowie selbst zweifache Mutter. Dabei präzisiert sie die Hintergründe: „Wenn wir glauben, dass unsere Kinder uns Löcher in den Bauch fragen, um uns zu ärgern – falsch gedacht. Kinder sind von Grund auf neugierige Forscher und Entdecker. Sie wollen möglichst alles über diese Welt und das Leben selbst wissen.“
Eltern müssen nicht "allwissend" sein
Ganz im Gegenteil, so die Expertin: „Durch dieses ,Nicht-wissen‘ lernen die Kinder auch, dass man nicht perfekt ist und dass es nichts ausmacht, wenn man eine Frage mal nicht genau beantworten kann.“ Das bestätigen auch Kinderpsychologen. „Ein Vierjähriger ist ein wahrer Abenteurer, unerschrocken, neugierig, wach. Alles wird erforscht, die Menschen, das Leben, die Welt“, schreibt die neunfache Mutter und Schwedens populärste Kinderexpertin Anna Wahlgren in ihrem internationalen Bestseller „Das Kinderbuch. Wie kleine Menschen groß werden“. Und meint: „Ein vierjähriges Kind besitzt eine blühende Fantasie, entsprechend hemmungslos geht es mit der Wahrheit um. Es kann aber auch zum ersten Mal in seinem jungen Leben so etwas wie ein Gespräch führen – einen Austausch mit Worten, bei dem man Gedanken und Absichten preisgibt und am Innenleben des anderen teilhaben darf. Es begreift jetzt die volle Bedeutung der Sprache, es denkt – bewusst und mit Wörtern. Und stellt eben entsprechend viele Fragen.“
Diese sind aber so gut wie nie verletzend oder bewertend, sondern nur ein ernstes und aufrichtiges Streben danach, immer mehr zu wissen und zu verstehen.
Die Magie der Gegenfrage
Während der monatelangen Frage-Phase kann man wunderbar die Kreativität und Sprache sowie alle Sinne der Kinder fördern und zum Selbsterarbeiten anregen, erklärt Elternbildnerin Schramel-Winkelbauer. „Dies geschieht, wenn man den Kindern nicht jede Antwort fix fertig serviert und sein eigenes Wissen darbieten will, sondern wenn man eine Gegenfrage stellt: ,Was glaubst du denn, wie das funktioniert?‘
Hier erwacht der Forschergeist der Kinder, und es kommt gedanklich ein herzerfrischendes Netzespinnen ans Tageslicht.“
Und das geht dann in etwa so:
„Warum gibt es Sterne?“, fragt das Kind.
„Ja, warum gibt es Sterne?“ (Gegenfrage) –„Vielleicht, damit es nachts Licht gibt und Kinder sich im Dunklen nicht fürchten
müssen.“ –
„Ja, so könnte es sein“, empfiehlt sich dann als Reaktion – und man kann das Kind bitten, ein bisschen mehr von den Sternen zu erzählen.
„Auf diese Weise werden Sie eventuell eine unvergessliche Geschichte zu hören bekommen“, betont Anna Wahlgren. Wer nämlich nur seinem Kind das Fragen überlässt und nie selbst neugierig dessen Gedankengänge hinterfragt, übersieht möglicherweise auch Talente, die dahinter stecken können, gibt die Expertin zu bedenken. Und Schramel-Winkelbauer ergänzt: „Oftmals bietet sich durch das Fragen auch die Gelegenheit, eine Bibliothek zu besuchen und ein entsprechendes Buch auszuleihen. Beim gemeinsamen Lesen entstehen Kontakt, Nähe, Kommunikation und somit Beziehung.“
Mögliches Mangelsymptom
Das scheinbar unendliche Fragen eines Kleinkindes kann manchmal auch ein Mangelsymptom darstellen, wissen Psychologen. Es könne unter Mangel an direktem und ausgiebigem Kontakt mit einem Elternteil (außerhalb der täglichen Routine) leiden, unter Mangel an Begegnungen mit anderen oder unter Mangel an gefühlsmäßiger Zuwendung, intellektueller Herausforderung oder Förderung seiner Entwicklung generell.
„Eltern sollten ihrerseits also die Absicht hinter dem Dauerfragen ,lesen‘ können, damit es nicht ein dauerndes Rechtfertigen und eine Endlosschleife wird“, fasst Elterncoach Sandra Teml-Jetter zusammen. Das funktioniere auch bei komplexen Themen. „Kinder sind oft mit einer einfachen, klaren Antwort zufrieden“, weiß die Expertin und nennt ein Beispiel: „Warum essen Katzen Mäuse?“ – „Was glaubst du?“ – „Weil es ihnen schmeckt?“ – „Ja, das hoffe ich auch!“
Teml-Jetter plädiert „für ein gemeinsames Erforschen“, das in der Regel beiden Seiten Spaß macht. Es sei denn, der Zeitpunkt zum detaillierten Fragen und Antworten ist gerade nicht passend. Schramel Winkelbauer: „Kinder halten es aus, wenn man nicht sofort Auskunft gibt.“ Man kann die Frage zum Beispiel in ein Notizbüchlein schreiben und später darauf zurückkommen. Dann weiß das Kind, dass es mit seinem Interesse an den Dingen ernst genommen wird. „Das baut nicht zuletzt Vertrauen und Verlässlichkeit auf und stärkt die Beziehung zwischen Eltern und Kind.“ Freilich hat jeder auch mal einen schlechten Tag – Eltern inklusive. Wer also fürchtet, bei der nächsten Warum-Frage endgültig die Fassung zu verlieren, sollte es seinem Kind respektvoll mitteilen.
„Ich werde jetzt keine Fragen mehr beantworten. Ich bin müde und brauche eine Pause.“
Das kann selbst ein Dreijähriger durchaus verstehen, auch wenn es ihm vielleicht nicht gefallen wird. Eine solche klare Ansage ist jedenfalls wesentlich besser als genervte und halbherzige Antworten, die das Kind nur noch hartnäckiger nachfragen lassen.
Neugier – mühsam, aber wichtig
Fest steht: Neugier ist für ein Kind eine wichtige und lebensnotwendige Antriebskraft. Denn es muss lernen – schnell und viel. Je nach Alter äußert sich die Neugier unterschiedlich: Kleinkinder wollen alles anfassen und in den Mund stecken, Vorschulkinder lernen eben durch stetiges Nachfragen. Sätze wie „Sei nicht so neugierig“ oder „Das verstehst du noch nicht“ sind daher kontraproduktiv.
Eltern, die die Neugierde fördern und in verträgliche Bahnen lenken, machen ihrem Kind ein großes Geschenk: Es behält auch als Erwachsener die Lust daran, sich für Neues zu interessieren.
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