Coronavirus

Geschichte einer Leserin:
„Die Sonntagswanderung“

"...und wir kehrten trotzdem nicht um..." - Leserin und 3-fach Mama Marianne Ginzel schreibt über die Familienwanderung mit kleinen Kindern. Ihre Geschichte soll Eltern Mut machen, kleine Wanderungen mit dem Nachwuchs zu wagen.

Ich war wirklich bemüht bei den Vorbereitungen: habe eine Route geplant, bei deres kein Problem ist, die doppelte bis dreifache Zeit zu brauchen (Kinder waren 5 und 2 x 2,5 Jahre alt), wo man keinesfalls abstürzen kann, keine zu lange Anfahrt hat und der Weg trotzdem möglichst interessant ist. Nach langen und ausgiebigen Recherchen fiel unsere Wahl auf den Rauriser Urwald. Der erste Versuch scheiterte, da es dort frisch geschneit hatte.

Ich habe auf ein Wochenende gewartet, an dem keine Wolke am Himmel zu sehen ist und die leckerste und gleichzeitig nahrhafteste Jause für uns ausgesucht, die man sich nur vorstellen kann. Außerdem habe ich für einen der Zwillinge, den man auch „WAS-Bär“ nennen könnte, neue Schuhe besorgt, da ich der Meinung war, seine wären ihm schon zu klein. Und tatsächlich kam dann der Tag X. Das Auto wurde vom engagierten Papa am Vortag getankt und der dritte Kindersitz statt dem Sitzpolster mit Isofix und TopTether eingebaut, falls das Großkind alias „der Mineraloge“ auf dem Heimweg einschlafen sollte. Die Rucksäcke der Kinder und mir wurden akribisch genau gepackt (4x Kapperl, 4x Sonnenbrille, Kindertrinkflaschen, Jause, Erste Hilfe-Tasche, Taschentücher, u.v.a.m. …). Mein Mann entschied sich für die Rucksacktrage, in der im Falle des Falles einer unserer zwei 15kg-Hanteln Platz nehmen konnte. Wir fuhren Richtung Rauriser Urwald.

Der Morgen gestaltete sich unkompliziert. Bis auf eine Diskussion über die neuen Schuhe mit dem WAS-Bär, war es auffällig ruhig. Das Kind trug weiterhin die zu kleinen Sportschuhe von letztem Jahr und ich steckte die neuen Schuhe in den Rucksack. Wir fuhren eine knappe Stunde Richtung Rauriser Urwald und fanden prompt einen Parkplatz im Sonnenschein mit guter Laune. Kitschig.

Wir stiegen aus dem Auto, die Kinder hüpften wie junge Hunde in die Natur und ich konnte in aller Ruhe die Rucksäcke aus dem Kofferraum holen. Aber wo waren die Kinder?

Nach ein paar Mal Rufen kamen sie auch schon zurück. Der Mineraloge war von oben bis unten schmutzig, im Anhang die Zwillinge. Einer hatte ein zerkratztes Gesicht, der andere nasse Schuhe. Geputzt, mit versorgten Wunden und dann eben doch mit den neuen Schuhen ging es los. Die Kinder gingen in die richtige Richtung und jeder hatte seinen Rucksack um. Mein Mann war in diesem Augenblick nicht in Sichtweite, aber ich wusste, er würde bestimmt gleich kommen. Denn den Weg zum Rauriser Urwald hatten wir ja im Vorfeld genau besprochen.

Es dauerte nicht lange und der Mineraloge blieb stehen und widmete sich den Steinen am Weg, um nach Bergkristallen, Smaragden und Granaten zu suchen. Ich wollte es ihm bei früheren Wanderungen verbieten, weil wir durch diese spinnerte Sucherei ständig aufgehalten werden. Doch im gleichen Atemzug, in dem ich das Verbot ausgesprochen hatte, drehte er einen Stein um und hatte einen Bergkristall gefunden. Ich traute meinen Augen nicht ! In der Folge fand er weiter Granat, Pyrit und allerhand Bergkristalle. Also darf er weiterhin Kristalle suchen, solange er sie selbst trägt.

Der ältere der Zwillinge interessiert sich mehr für Tiere. Er ist zwar der Kleinste der Bande, aber gleichzeitig der Flinkeste und läuft wie ein Eichhörnchen. Was er in seinen Rucksack steckt, entgeht mir meistens, da er die meisten Dinge geheimnisvoll hineinstopft. Beim Ausräumen muss ich allerdings alle meine Phobien überwinden, sonst wären heute noch diverse zerquetschte Spinnen, Käfer, Würmer und Raupen in seinen Fächern und Taschen.

Der dritte im Bunde kam mit seinen neuen Schuhen auf mich zu und steckte mir fragend die Hand entgegen. „Mama! WAS ist das?“ Ich hatte im Moment keine Lust auf alle WAS-Fragen zu antworten und kümmerte mich nicht darum. WAS-Bär warf sich auf den Boden und blieb trotzig und jammernd am Weg liegen. Auch das kümmerte mich kaum. Bis ein unangenehmes sirenenartiges Geheule aus seinem Mund kam. Riesige rote Waldameisen attackierten das wehrlose Kind. Die eine in seiner Hand hatte ihn vermutlich gebissen. Mein Mann kam zu Hilfe und gemeinsam konnten wir alle Angreifer zerdrücken und verjagen.

Bei der Gelegenheit fragte ich ihn, wo er war. Er meinte, er habe eine Wolke gesehen und habe die Auslastung der Therme gecheckt. Ob wir nicht lieber…? Ich antworte nicht, sondern stellte ihm die Gegenfrage, wo denn seine Regenjacke sei. Er antwortete: „Im Rucksack.“ Und die Jause? „Im Rucksack“. Und der Rucksack, bzw. eigentlich die Rucksacktrage? „Im Auto!“

naturforscher

Wir kehrten trotzdem nicht um. Der Rauriser Urwald sollte von uns entdeckt werden. Es war eine tolle Wanderung. Die Jause haben wir geteilt und niemand ist verhungert.

Das Eichhörnchen ist am Rückweg bei einer Pause einfach eingeschlafen. Es war egal. Wir sind einfach länger dort geblieben, haben ihn in den Schatten gelegt und liebevoll mit Papas großem grauen XL-Pullover zugedeckt. Der Mineraloge konnte endlich ungestört alle Steine anschauen und der WAS-Bär bekam Antworten auf seine gefühlt 1000 WAS-Fragen.

Nach einiger Zeit haben wir das Eichhörnchen aufgeweckt und haben ihn abwechselnd auf den Schultern getragen, da nicht nur er beschlossen hatte nicht mehr gehen zu wollen, sondern auch die gleichaltrige 15kg-Hantel.

Im Auto angekommen konnte ich es kaum erwarten, meine tollen Naturfotos mit schneebedeckten Berggipfeln, kristallblauen Wasserfällen, dem schlafenden Eichhörnchen und bunten Gebirgsblumen zu verschicken. Dazu kam es vorerst nicht. Ich schlief im Auto ein.

Heute habe ich mit meinem Mann über diesen Ausflug gesprochen. Er meinte, dass wir das unbedingt wiederholen müssen, denn den Rauriser Urwald haben wir bis heute nicht gesehen. Wir hatten uns nämlich gleich zu Beginn verlaufen.

Die Autorin der Geschichte:

MMag. phil Marianne Ginzel ist Pädagogin, verheiratet und Mama von drei Söhnen.

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