Gewalt unter Jugendlichen nimmt zu
Besonders unter Gleichaltrigen werden psychische Gewalt, Mobbing & Co immer häufiger, wie die Plattform Rat auf Draht festgestellt hat.
Immer mehr Jugendliche kommen mit verschiedenen Formen von Gewalt in Kontakt, wie aktuelle Zahlen des psychosozialen Notdienstes Rat auf Draht zeigen. Besonders die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, sprich unter Gleichaltrigen, hat zugenommen: So stiegen die Beratungszahlen in der Kategorie „körperliche und psychische Gewalt in der Peer Group“ im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 11,7 Prozent. Beratungen zu Mobbing und psychischer Gewalt in der Schule nahmen um 7,7 Prozent zu, Cyber Mobbing um 7,8 Prozent. „Viele Jugendliche wissen nicht, wie sie sich dagegen wehren können und wenden sich an uns, weil sie nicht gelernt haben, Konflikte respektvoll zu lösen oder über ihre Gefühle zu sprechen. Oft gibt es zu Hause keine Vorbilder für konstruktive Kommunikation, und es wird wenig darüber geredet, wie man mit schwierigen Situationen umgehen kann.“, sagt Christine Piriwe, Beraterin der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht und Projektleiterin der Peerberatung. Das Problem liege oft darin, dass Konflikte zu Hause nicht in einer respektvollen, lösungsorientierten Art und Weise angesprochen würden. „Dies führt dazu, dass sie in ihren Peer-Gruppen nicht wissen, wie sie mit Konflikten umgehen sollen, was zu Eskalationen führen kann“, so die Expertin weiter. Daneben gab es auch Zuwächse bei sexueller Belästigung (9,7 Prozent) und Gewalt in der Partnerschaft (rund ein Prozent).
Acht Gespräche zu Gewalt täglich
Insgesamt berieten die Expert:innen von Rat auf Draht im abgelaufenen Jahr 2950 Mal zum Thema Gewalt. Anders gesagt: Im Schnitt melden sich täglich acht Anrufer:innen zu dieser Thematik. Leider erkennen viele Betroffene nicht sofort, dass sie tatsächlich Gewalt erfahren. Besonders bei psychischer Gewalt, Mobbing oder emotionaler Erpressung, fällt es vielen schwer, eine Grenze zu ziehen und zu verstehen, dass es sich um Gewalt handelt. „Ein wichtiger Aspekt ist, dass Jugendliche mit anderen Problemen wie Schlafstörungen, Stress oder Schulproblemen beginnen, Hilfe zu suchen. Erst im Gespräch stellt sich heraus, dass diese Belastungen häufig durch Gewalt in ihrem Umfeld – sei es in der Familie, Schule oder in der Beziehung – verursacht werden“, schildert Piriwe.
Bei Rat auf Draht geht es daher zu Beginn darum, den jungen Menschen zuzuhören. Oft möchten sie von der belastenden Situation erzählen, ohne gleich eine Lösung zu suchen. „Wir unterstützen dabei, eine erste Einschätzung der Situation zu treffen und helfen und Klarheit zu gewinnen – ganz ohne Druck“, so Piriwe. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche sich nach einem ersten Gespräch wieder melden würden, wenn sie bereit seien, weitergehende Unterstützung anzunehmen. Piriwe: „In solchen Fällen helfen wir ihnen, weitere Schritte zu gehen und verweisen gegebenenfalls an zuständige Stellen wie die Kinder- und Jugendhilfe. Unsere Aufgabe ist es, einen sicheren Raum zu bieten, in dem sich Jugendliche gehört fühlen, und sie auf dem Weg zu der Hilfe zu begleiten, die sie brauchen.“
Der Einfluss der Familie
Denn in vielen Familien wird Gewalt, insbesondere psychische Gewalt, nicht als solche wahrgenommen. „Diese kann sehr subtil sein und sich in alltäglichen Kommunikationsmustern manifestieren. Abwertende oder kontrollierende Aussagen wie „Das wirst du nie können.“, „Sei froh, dass du unter meinem Dach leben kannst.“, oder „Solange du hier wohnst, gelten meine Regeln.“ sind häufig Ausdruck einer Form der emotionalen Gewalt, die das Selbstwertgefühl von Jugendlichen stark beeinträchtigen kann“. Diese Dynamiken wirken sich nicht nur innerhalb der Familie aus, sondern prägen auch soziale Beziehungen der Jugendlichen außerhalb des familiären Umfelds. Das speilt sich auch in den Beratungen von Rat auf Draht wieder. Denn die meisten Gespräche zum Thema Gewalt werden zu psychischer Gewalt in der Familie geführt, 2024 waren es 477.
Jugendliche, die in einem Umfeld aufwachsen, das von Schuldzuweisungen und mangelnder Wertschätzung geprägt ist, haben oft Schwierigkeiten, gesunde Grenzen in ihren sozialen Beziehungen zu setzen. Unterschiedliche Kommunikationsmuster in der Familie können sich im Klassenverband widerspiegeln und dort zu Herausforderungen im Miteinander führen – etwa in Form von Unsicherheiten im Umgang mit Konflikten. „Dies kann zu Mobbing oder auch emotionaler Erpressung führen. So entstehen Dynamiken, die sowohl für die Jugendlichen selbst als auch für ihr soziales Umfeld prägend sein können“, so Piriwe.
Gewaltprävention beginnt zu Hause
Eltern spielen eine zentrale Rolle bei der Prävention von Gewalt und dem Schutz ihrer Kinder vor belastenden Erfahrungen. „Durch aktives Zuhören, wertschätzende Kommunikation, eine offene Fehlerkultur sowie die Förderung von Konfliktfähigkeit und positiven Vorbildern, können Eltern das Verhalten ihrer Kinder nachhaltig beeinflussen“, erklärt Piriwe. Doch Gewaltprävention ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die über das Elternhaus hinausgeht. Schulen und pädagogische Einrichtungen bieten zahlreiche Workshops und Schulungen an, in denen Kinder altersgerecht über Gewaltprävention aufgeklärt werden. Dabei steht nicht nur theoretisches Wissen im Vordergrund – besonders wichtig ist die praktische Übung: Kinder lernen, ihre emotionalen und körperlichen Grenzen wahrzunehmen, zu verteidigen und die Grenzen anderer zu respektieren.
Das Angebot von Rat auf Draht finanziert sich zum Großteil aus Spenden.
Spendenkonto IBAN: AT10 2011 1827 1734 4400
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