Hilfe, mein Kind wird erwachsen!
Die Gefühle spielen verrückt, der Körper verändert sich, die Erwachsenen nerven. Wie Eltern ihre Kinder in der Pubertät unterstützen können und wie dieser Ablösungsprozess auch zur Selbstfindungsphase für Eltern werden kann.
Wie groß wird er wohl werden? Der Busen, der jetzt anfängt zu wachsen. Und der Penis, neben dem jetzt plötzlich Haare sprießen. Von einem Tag auf den anderen stehen riesige Flossen von Turnpatschen vor dem Kinderzimmer und plötzlich ragen einem die Kids bis zu den Schultern, wenn sie einem nicht eh schon längst über den Kopf gewachsen sind. Kuscheln mit den Eltern geht, wenn überhaupt, nur mehr klammheimlich und auch sonst gehen die Teens mit den Großen mehr und mehr auf Distanz. Die Kinder sind keine Kinder mehr. Erwachsen aber auch noch nicht. Reibereien und Streit in der Familie scheinen vorprogrammiert zu sein. Denn so aufregend dieses ganze Sammelsurium an Gefühlsschwankungen, Grenzen austesten und unabhängig sein zu wollen auch sein mag, so sehr gilt die Pubertät eben als schwierige Phase – für die Kids gleicher- maßen wie für die Eltern. Und trotzdem: Es gibt sie, die hilfreichen Impulse, allen voran ein Perspektivenwechsel, mit dem es gelingen kann, die Pubertät besser zu meistern. Und mehr noch: Expert:innen sprechen sogar von einer Chance für Eltern, diese Phase zu nutzen, um mit den Jugendlichen selbst noch einmal zu wachsen.
Pubertät ist schwer! Sagt wer?
„Das im Grunde größte Problem, das wir mit der Pubertät haben, ist ihr schlechter Ruf“, behauptet Elternberaterin und Pubertätsexpertin Ines Berger, den sie nämlich gar nicht verdiene. Die Pubertät ist neben dem Trotzalter nichts anderes als die zweite, wichtige Autonomiephase im Leben eines Menschen – diesmal um ins Erwachsenen- leben zu starten. Und damit das möglichst selbst- bewusst und mental gestärkt vonstatten geht, könnte es Eltern laut Berger als ersten Schritt bereits helfen, wenn sie die Pubertät nicht schon von vorne herein als leidiges Familien-Schreckgespenst sehen würden. In den Augen vieler Eltern gelten die Teenager nun einfach nur noch als schwierig, weil sie so circa gegen alles sind, was von den Eltern kommt. „Wer sagt eigentlich, dass die Pubertät eine schwierige Zeit ist?“, hält Berger den verzweifelten Eltern-Aussagen in ihren Beratungskursen entgegen. „Ein Perspektivenwechsel würde der Sache gut tun“, sagt Ines Berger. Dazu sollte man wissen: „Kinder tun nichts gegen die Eltern – sie agieren stets für sich selbst. Ohne die Ablösung und das Neue würden wir Menschen schließlich aufhören, lebendig zu bleiben und uns nicht weiterentwickeln“. Deshalb ist es auch völlig normal, dass Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden sich ausprobieren und Grenzen überschreiten müssen. Erfahrungen müssen sie möglichst selbst machen – gute wie weniger gute.
Das Gehirn in der Pubertät – eine einzige Baustelle!
Viele Erwachsene würden laut Ines Berger im Umgang mit Pubertierenden oftmals außer Acht lassen, dass das Gehirn in der Adoleszenz massiv umgebaut wird. Die Hormonausschüttungen in der Pubertät sorgen laufend für neue Vernetzungen. Dabei entwickeln sich nicht alle Gehirnregionen gleich schnell. Überhand haben bei den Teenies jedenfalls jene Regionen, die für die Emotionen zuständig sind. Das erklärt freilich vieles. Vor allem, dass die Kids sich schwer damit tun, Konsequenzen abzuschätzen, ihre Emotionen zu zügeln und dass man sie mit Vernunft in dieser Phase so gut wie gar nicht motivieren kann. Berger empfiehlt Eltern daher, liebevoller auf ihre Teen- ager zu schauen. „In der Pubertät findet Entwicklung schließlich auf so vielen Ebenen statt, das ist auch für die Kids kein Zuckerschlecken.“ Bergers Vision im Umgang mit der Pubertät lautet: Diese Zeit als Schatzkiste zu begreifen. „Für die Jugendlichen in dem Sinne, dass sie aus dem Vollen schöpfen, um ihr Potential zu entfalten und in einem Reife- und Wachstumsprozess der Mensch werden, der in ihnen angelegt ist.“ Gemäß dem Motto: Ich bin gut wie ich bin – auch mit allen „Mängeln“ und „Fehlern“. „Eltern können aus der Schatzkiste ebenso schöpfen, in dem sie sich mit den Gefühlen, die sich während dieses Ablösungsprozesses bei ihnen selbst einstellen, konfrontieren und durch die Pubertät ihrer Kinder entdecken, wo sie eigentlich selber stehen.“
Wer bin ich überhaupt ohne mein Kind?
Falls man es bisher nicht eh schon gemacht
habe, sei nämlich laut Ines Berger jetzt ein guter Moment, sich Fragen wie diese zu stellen: Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Was sind es für Gefühle, die in mir hochkommen, wenn mein Kind sich von mir abwendet, wenn es mich peinlich findet oder mich beschimpft? „Hilfe, ich verliere mein Kind!“, schießt es einem vielleicht zunächst ein. Man ist traurig, weil das Kind einen nicht mehr so braucht. Vielleicht auch wütend, weil das Kind sich nicht so verhält, wie man gerne hätte. „All diese Gefühle, die uns die Kids so um die Ohren hauen, all die Trigger, sind letztendlich Teil dieses Schatzes, der mich näher zu mir selber bringen kann“, meint Ines Berger. Mehr denn je im Elterndasein sei man gefordert, seine eigenen Werte zu überprüfen, seine eigenen Grenzen abzustecken, seine eigenen Bedürfnisse klar zu artikulieren. „In der Pubertät zeigt sich, welche Basis Eltern mit ihren Kindern haben bzw. welche Qualität die Beziehung schon von Beginn an hatte“, sagt Berger. Gerald Hüther sagt diesbezüglich sogar, dass man die Pubertät umso weniger brauche, je weniger problematisch die Beziehung mit den Eltern von klein auf war. Mit problematisch meint der renommierte Gehirnforscher, wenn das Kind von den Eltern stets zum Objekt eigener Belehrungen oder Erwartungen gemacht wird. „Eltern würden gut daran tun, Kinder in Situationen zu bringen, in der die Kinder es nicht nötig haben, sich aus dieser Objektrolle zu befreien.“ Der Widerstand der Kinder gegenüber den Eltern in der Pubertät kann also im Wesentlichen daran gemessen werden, ob Eltern die Gefühle und Werte der Kinder immer schon ernst genommen haben und sie den Kindern zugetraut haben, ihre eigene Sache schon gut zu machen. Oder aber, ob vermehrt geschrien und abgewertet worden ist und das Kind mehr oder weniger den Ansprüchen und Erwartungen der Eltern gerecht werden musste. Genau das seien also die Knackpunkte, wovon es auch abhänge, ob die erwachsenen Kinder später letztendlich einmal gerne die Eltern besuchen, oder ob es nur eine lästige Verpflichtung ist.
Tipps für Eltern von Ines Berger
Sei selber ein leuchtendes Beispiel für das Leben!
Eltern sollten in der Lage sein, zu zeigen, wer sie tatsächlich sind, also selber Subjekt und aktive Gestalter ihres Lebens sein. Das heißt auch: Raus aus Zwängen, die man sich mal auferlegt hat. Auf eigene Grenzen achten und liebevoller mit sich selbst umgehen – Stichwort Selbstfürsorge!
Mit den Youngsters in Kontakt bleiben, aber sie nicht bedrängen!
Raum und Zeit für Familie und gegenseitige aufrichtige Feedback-Situationen schaffen. Die Kinder sind keine kleinen Kinder mehr und brauchen die Eltern immer weniger. Sie kommen aber auf die Eltern zu, wenn sie ernsthafte Anliegen haben, sofern die Eltern-Kind- Beziehung auf gegenseitiger Wertschätzung beruht.
Verantwortung übernehmen für die eigenen Gefühle!
Oft wollen wir, dass die Kinder sich verändern, damit wir die Veränderung bei uns selber nicht spüren müssen. Wie unfair! Eltern sollten ihre Wertehaltung überprüfen und abchecken wie zufrieden man mit dem eigenen Leben überhaupt ist. Selber lernen, mit der Trauer umzugehen, die hochkommt, wenn man von den Kindern weniger gebraucht wird oder sich sogar zurückgestoßen fühlt.
Kinder nicht zum Objekt eigener Erwartungen oder Belehrungen machen,
sondern darauf vertrauen, dass sie ihren eigenen Weg gehen! Egal ob es um Schulthemen, Ausgehen, Computerspiele oder Freund:innen geht. Eltern sagen Kindern, was sie ihrer Meinung nach zu tun haben – mit der gut gemeinten Absicht, ja nur das Beste für ihr Kind zu wollen. Doch niemand kann wissen, was das Beste für einen anderen ist. Auch nicht Eltern für ihre Kinder. Eltern sollten ihre Kinder so begleiten, dass die Kids selber herausfinden, was gut für sie ist. Dazu gehört es auch, die Fehlentscheidungen der Kinder auszuhalten.
Kinder, die große Angst davor haben, die Liebe und Anerkennung ihrer Eltern zu verlieren,
werden eher mit ihnen kooperieren, also tun, was von ihnen erwartet wird. Mit der Folge: Sie werden womöglich auch im späteren Leben Dinge tun, die andere erwarten ohne auf eigene Bedürfnisse zu hören. Statt zu kooperieren können sich die Kinder auch von den Eltern abwenden und rebellieren. Dabei stecken sie viel Energie in die Rebellion gegen die Eltern, wodurch die natürliche Potentialentfaltung geschwächt wird.
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