Jedes Baby ist einzigartig!
Säuglinge entwickeln sich rasant und das Erreichen bestimmter Meilensteine ist für Eltern etwas Besonderes. Doch der Vergleich mit anderen Kindern sorgt oft für Verunsicherung. Dabei hat er gar keine Aussagekraft.
Meilensteinkarten, Entwicklungstabellen, der Rat von Tante Erni – auf junge Eltern prasseln ganz schön viele Einflüsse ein. Kein Wunder also, dass sie schnell verunsichert sind und die Fragen rotieren. Was muss ein Baby eigentlich wann können? Läuft hier alles „normal“? Sollte ich mein Kind besser fördern? Eltern wollen gerne alles richtig machen und das ist gut, nachvollziehbar, manchmal aber auch ganz schön kontraproduktiv.
„Es geht ja darum, dass wir liebevoll auf unser Baby blicken können, dort wo es ist und nicht wo es doch bitte schon sein sollte“, weiß auch Familiencoach Eva Penz. Denn, was Kind A kann, sagt nichts über Kind B aus. Vergleiche unter Babys hinken immerzu, bringen Eltern dabei aber dennoch oft zum Grübeln.
Babyzeit ist Kennenlernzeit
Das erste Babyjahr ist aber auch ganz schön aufregend. Aus einem kleinen Säugling, der vor allem schläft und trinkt, wird in Rekordgeschwindigkeit ein richtig großes Baby – ein Kind, das lacht, manchmal läuft und manchmal brabbelt, jedenfalls aber eine eigene kleine Persönlichkeit mitbringt, die den Familienalltag aktiv mitgestaltet. Das ist spannend und neu, eine Zeit des Kennenlernens und des Hineinfindens in neue Rollen. Dabei geht es nicht nur darum, diesen kleinen Menschen in der Familie willkommen zu heißen, sondern auch die eigenen Vorstellungen von Elternschaft auszuloten und mit der Realität abzugleichen. Der Vergleich mit anderen liegt da nahe, der Blick auf die Fortschritte des Babys wirkt immer auch als eine Art Rückversicherung dafür, es gut zu machen. „Grundsätzlich ist das Vergleichen ebenso alt wie die Menschheit: wir vergleichen uns, um zu lernen und um zu schauen ob wir zu den „Stärkeren“ und „Besseren“ gehören. Wir tun es, ob wir wollen oder nicht, die Frage ist eher, was wir daraus machen“, beschreibt Penz das Phänomen. Der vergleichende Blick kommt also ganz automatisch, das Ergebnis sollte dennoch nicht überbewertet werden. Penz: „Fangen wir an, uns und unser Kind zu bewerten, in ‚gut‘ und ‚falsch‘ zu unterteilen, schadet das. Nehmen wir den Vergleich her, um uns zu inspirieren und die Einzigartigkeit zu sehen, bringt uns das weiter.“
Von Schüben und Sprüngen
Die Entwicklung des Babys füllt jedenfalls verlässlich Bücher, Blogs und Eltern-Foren. Was wer wann kann, gehört dabei zu den meistgestellten Fragen und unzählige Tabellen erzählen Eltern davon, wann es für den Säugling Zeit wird zu lächeln und sich zur Seite zu drehen, wann er nach Papas Hand greifen wird oder Appetit auf Karottenbrei bekommt. Entwicklungssprünge werden dabei auf die Lebenswoche genau vorhergesagt. „Schon die Idee, dass ein Baby sich auf die Woche genau entwickeln sollte, beschneidet jeglichen freien Blick auf das eigene Kind“, sagt Penz dazu. Dennoch haben diese Einteilungen auch ihre Berechtigung. „Manchmal gehen gewissen Entwicklungsschritten Phasen voraus, in denen das Baby unruhiger ist und wir als Mama oder Papa viel mehr gefordert sind. Da kann es durchaus Sinn machen, wenn wir nachschlagen können, um zu erfahren: ‚Ah, es könnte sein, dass mein Kind einen Entwicklungsschritt macht.‘ Dann ist es oft leichter, durch diese Phase durchzugehen, einfach weil wir verstehen und uns etwas erklären können.“
Vom Liegen zum Stehen.
Jedes Kind scheint jedenfalls eine Art inneren Bauplan zu haben, dem es in seiner Entwicklung folgt und der ist vor allem eines: Individuell. Während die einen also motorisch fitter sind, fangen die anderen früher zu sprechen an. Während sich die einen im Alter von vier Monaten auf Beikost stürzen, bleiben die anderen im gesamten ersten Lebensjahr ihrer Milchnahrung treu. Dabei sind alle Varianten gleich gut. Der prüfende Blick auf kleinkindliche Fertigkeiten in Babyspielgruppe oder Sandkiste hat deswegen im Grunde gar keine Aussagekraft. „Das eine Baby plaudert fröhlich drauf los, andere sammeln erst ‚innerlich‘ Wörter, bevor der Wortschatz schließlich quasi explodiert“, erzählt Penz, die den Eltern in ihren Beratungen vor allem eine gute Portion Selbstbewusstsein mitgeben möchte. Denn unabhängig von den individuellen Vorlieben der Babys – wann sie welchen Meilenstein knacken, lässt keine Rückschlüsse auf die Qualität der elterlichen Fürsorge zu. „Jedes Lebewesen strebt danach, sich weiter zu entwickeln. Das passiert von ganz alleine. Das größte Geschenk an einen Menschen ist daher nicht, ihn irgendwohin zu fördern, sondern ihn einfach so anzusehen, wie er ist.“
Zusammenhalt statt Konkurrenzkampf
Gerade Mütter sind selbst ständigen Vergleichen ausgesetzt. Ganz unterschiedliche und widersprüchliche Vorstellungen davon, wie eine Mutter zu sein und sich zu verhalten hat, bilden ein diffuses Bild von Mutterschaft, dass es so wohl gar nicht gibt, an dem man gefühlt trotzdem ständig gemessen wird. Die gegenseitige Bewertung wird da leicht zum Mittel, eigene Positionen abzustecken und gegebenenfalls zu verteidigen. Macht diese Bewertung auch vor dem Nachwuchs nicht Halt, wiegt das doppelt schwer. Weil Zusammenhalt aber schöner ist als Konkurrenzkampf, lohnt es sich auf gut gemeinte Ratschläge zu verzichten oder sie zumindest mit Bedacht zu formulieren, sich gegenseitig zu stützen und zu stärken, statt einander zu verunsichern.
Und dass es im Grunde keine Rolle spielt in welchem Tempo Babys typische Entwicklungsschritte abhandeln, zeigt ein kleines Gedankenexperiment leicht auf: Wird es in zehn, zwanzig, dreißig Jahren noch von Bedeutung sein? Wird die Ansprache zum Schulabschluss oder zur Hochzeit davon handeln, ob sich das Kind mit 18 oder 27 Wochen zum ersten Mal gedreht hat, ob es mit 8 oder 9 Monaten gesessen ist? Nein? Dann ist es vielleicht auch heute gar nicht so wichtig.
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