Kinder brauchen Männer
In vielen Lebensbereichen wird Geschlechter-Gleichberechtigung großgeschrieben. Doch gerade im Familienalltag und in den elementaren Bildungseinrichtungen zeigt sich vielfach immer noch ein recht einförmiges Bild: Erziehung ist alles andere als „a man’s world“.
Müttergruppen, Tagesmütter, Betreuerinnen in den Krabbelstuben und Kindergärten, Erzieherinnen im Hort. Lehrerinnen in der Volksschule. Elementare Erziehung und Kinderbetreuung scheint vielfach fest in der Hand von Frauen zu sein und viele fragen zu Recht: Wo sind eigentlich die männlichen Pendants? Und was vermitteln wir Kindern für ein Männer- bzw. Gesellschaftsbild, wenn Erziehung von der Geburt weg zumeist Frauensache ist? Es ist keine Seltenheit, dass Mädchen und Buben oft erst mit zehn wahrnehmen, dass sich auch Männer dauerhaft um Kinder kümmern können. Da ist zum Beispiel das Kind, das bei seiner alleinerziehenden Mama aufwächst und den Papa nicht so oft sieht. Oder das Kleinkind, das von der Tagesmutter direkt zu den „lieben Tanten“ in den Kindergarten wechselt. Woraufhin das Kind dann vier Jahre lang von der „Frau Lehrerin“ unterrichtet wird. Dass also viele Kinder oft erst in weiterführenden Schulen auch männliche Erzieher und Lehrer kennenlernen, ist nahezu Standard. „Die meisten Kinder bekommen in ihren ersten Lebensjahren vermittelt, dass fast ausschließlich Frauen für das Wohlergehen und die Erziehung von Kindern zuständig sind“, bestätigt Josef Christian Aigner, Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck.
Mangelware Männervorbild
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Der Beruf des Kindergärtners wird zum einen immer wieder als „unmännlich“ abgestempelt. Zum anderen liegt es an den niedrigen Einstiegsgehältern. Weiters gibt es immer wieder schlimme Vorurteile gerade im Bereich kindlicher Früherziehung. Für viele junge Burschen kommt eine diesbezügliche Berufswahl nämlich deshalb nicht in Frage, weil sie Angst haben, als Pädophile verdächtigt zu werden. Nicht umsonst also gibt es in Österreich nur wenige Volksschullehrer und fast gar keine männlichen Kindergartenpädagogen. Der Anteil der männlichen Volksschullehrer liegt bei rund 8 Prozent. In den Kindergärten sind gegenwärtig gar nur 0,8 Prozent der Betreuer männlich – womit Österreich sogar unter den Schlusslichtern in der EU liegt. Dabei hätte schon der Begründer der Kindergärten, der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel, Anfang des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass Erzieher beiderlei Geschlechts relevant seien: „Die Erziehung zur Bildung descMenschen solle nicht nur dem weiblichen Geschlecht übertragen werden, sondern das mehr von außen lehrende männliche Geschlecht gehört nach dem Gesetz des Gegensatzes nicht minder dazu.“
Männliche Chaosresistenz & weibliche Sozialkompetenz
Auch laut Universitätsprofessor Aigner würden Kinder davon profitieren, wenn sie nicht überwiegend von Frauen betreut und gelehrt werden. Eine Studie der Universität Innsbruck zeigt, dass „Kindergarten- Onkel“ vor allem das Verhalten von Buben im Kindergarten positiv beeinflussen. Beobachtet wurden Kinder in rein weiblichen und in gemischten Gruppen. Mit dem Ergebnis, dass sich dieMädchen gegenüber den männlichen und weiblichen KindergartenpädagogInnen weitgehend gleich verhielten. Buben jedoch suchten mehr Kontakt und Anschluss zur Gruppe, wenn männliche Fachkräfte anwesend waren. „Sie kamen leichter vom Rand der Gruppe in die Mitte“, berichtet Aigner. Mädchen in gemischtbetreuten Gruppen wiederum würden etwa weniger zurückhaltend bzw. „brav“ verhalten und „sich mehr trauen“. Was den Erziehungsstil generell betreffe, zeigen sich laut ExpertInnen durchaus interessante Unterschiede. Männliche Betreuer im Kindergarten seien in der Regel geduldiger, wenn es einmal etwas wilder wird. „Männer stoppen den natürlichen Drang von Mädchen und Buben nach Bewegung später als Frauen und sind insgesamt etwas chaostoleranter“. Bezüglich der Selbstständigkeitserziehung hätten Männer die Nase vorn und würden oft mit einer Engelsgeduld warten, bis sich der Dreijährige selbst die Schuhe angezogen hat, während Frauen längst eingegriffen hätten. Weibliche Kolleginnen hingegen würden oft den besseren Überblick bewahren und damit genauer beobachten, wer etwa mitspielt oder wer ausgeschlossen wird. Abgesehen davon gebe es Eigenschaften und Aktivitäten, die eher den Männern zugeschrieben und auch eher von ihnen vorgelebt werden: Herumtoben, Abenteuerlust, Spaß am Entdecken und Wettbewerb. „Diese Verhaltensmöglichkeiten dürfen den Kindern, sowohl Buben wie Mädchen, nicht vorenthalten bleiben“, betont Aigner.
Auf die Mischung kommt es an
„Die gemeinsame Erziehung durch Frauen und Männer kann durchaus eine Herausforderung sein, weil geschlechtstypische Unterschiede aufeinander prallen oder plötzlich Dinge, die vorher ,klar‘ waren, nun von Frauen und Männern ausgehandelt werden müssen“, sagt Josef Aigner. Dies wiederum könne jedoch bereichernd sein und dürfe keinesfalls dazu führen, dass männliche und weibliche BetreuerInnen gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr sei es an der Zeit, Erziehungspersonal zu fördern – egal ob Mann oder Frau – das den Kindern dabei hilft, ihre eigene Rolle und Identität zu finden. Indem es zum Beispiel niemand belächelt, wenn der kleine Leon am liebsten im Prinzessinnenkostüm herum hüpft oder niemand die Augen verdreht, wenn Mia unbedingt Piratin statt Prinzessin werden will. Eine moderne, egalitäre Kultur der Erziehung und Bildung von Kindern verlange danach, Geschlechtergerechtigkeit in der Erziehung insgesamt offener zu denken. Und zwar generell bezogen auf verschiedene „Typen“ von Männern und Frauen – abseits der Klischees von „mütterlichen Behüterinnen“ hier und „draufgängerischen Spaßmachern“ dort.
Mangelware Männervorbild
Was vor wenigen Jahrzehnten noch Ausnahme war, ist heute nahezu selbstverständlich: Väter sind beim ersten Schrei im Kreissaal mit dabei, sie wickeln, füttern und trösten. Moderne Familienpolitik mit Elternzeitregelungen sowie auch der neue Väterhype haben immerhin dazu geführt, dass Männer im Kindergarten anzutreffen sind, regelmäßig ihre Kinder bringen und abholen oder die Eingewöhnung in Krippe bzw. im Kindergarten übernehmen. Dass Väter sich in Elternvereinen engagieren und Elternabende längst keine reinen Frauenrunden mehr sind, steht ebenso fest. Also wäre es Zeit, die vielfach gelebte gesellschaftliche Realität auch in der Welt der Erziehung zu repräsentieren. Pädagogik-Experte Aigner ist überzeugt: „Die gesellschaftliche Entwicklung zur Einbeziehung von Vätern in die Erziehung kann positiv dazu beitragen, die herrschende Geschlechterspaltung hinsichtlich der einseitigen Verteilung von erzieherischen und haushaltsbezogenen Aufgaben zwischen Frauen und Männern auszugleichen“. Mehr Männer im Erziehungsumfeld können auch dazu beitragen, jenes Männerdefizit auszugleichen, das manche Kinder in ihrem privaten Umfeld erfahren: Kinder von Alleinerzieherinnen etwa oder Kinder aus eher klassisch strukturierten Familien, deren Väter immer noch zu wenig Zeit mit ihren Sprösslingen verbringen. Um die Vorbildwirkung im Privaten komme MANN allerdings über kurz oder lang nicht drum herum.
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