Opas Haustier und die sieben Hügel
Als Papa die Alarmanlage abstellt, wartet Elvisschon im Vorzimmer. Schnurrend schmiegt er sich an Mias Beine. Sie passt auf, dass der Kater nicht nach draußen huscht. „Komm mit, Elvis“, sagt sie und geht in die Küche. „Gleich kriegst du dein Fressen.“
Mia kennt sich gut aus in Omas Küche. In den Sommerferien war sie eine ganze Woche bei ihren Großeltern. Draußen hat sie gegen Opa im Kirschkernweitspucken verloren. Drinnen hat sie die reifen Kirschen mit Oma zu zuckersüßer Marmelade eingekocht und Opas selbstgemachte Palatschinken damit bestrichen. Seit vorgestern sind Oma und Opa auf Urlaub, in der Therme. Sie fahren immer erst im Herbst, wenn Mia schon wieder in die Schule muss.
„Im Herbst ist es billiger als im Sommer, wenn alle anderen Urlaub machen“, sagt Opa immer, „und nicht so überlaufen“.
„Außerdem ist es im Sommer im Garten am schönsten“, pflichtet Oma ihm dann bei.
„Warum sollen wir da wegfahren?“
„Und außerdem wird da gerade das meiste Gemüse reif “, sagt Opa dann.
Papa wohnt ganz in der Nähe und kümmert sich um Elvis. Er gießt die Blumen und achtet darauf, dass auch Opas Gemüse nicht welk wird und vertrocknet. Oma hat einen Zettel geschrieben.
„Liebe Mia,
Wir haben genug Futter für eineinhalb Wochen gekauft.
Wo du es im Abstellraum findest, weißt du ja.
Bitte vergiss nicht, dass unser Elvis auch frisches Wasser braucht.
Sonst trinkt der Schlingel wieder den Luftbefeuchter leer.
Bussi, Oma
PS: Bitte achte darauf, dass die Terrassentür zu ist,
wenn ihr draußen seid. Sonst entwischt Elvis und frisst Vögel und fängt
Eidechsen oder er schleppt wieder lebende Mäuse ins Haus. Danke!“
Elvis stürzt sich über das Futter, das Mia ihm in seine Schüssel gekippt hat. „Schling doch nicht so!“, lacht Mia, „Sonst kriegst du noch Schluckauf!“ Können Katzen Schluckauf kriegen? Wahrscheinlich nicht, denkt Mia.
„So ein Mistvieh!“, hört Mia ihren Papa plötzlich im Garten schreien. Sie eilt zur Tür und sieht, was ihren Vater so entsetzt: Hügel, überall Erdhügel – ein brauner Haufen neben dem anderen.
Die Wiese sieht aus, als hätte sie Feuchtblattern. Grünes Gras, Klee und Gänseblümchen – und alle paar Schritte ein kleiner Erdhaufen.
„Warte nur, Freundchen“, schimpft Papa, „dich erwischen wir schon!“
Dann dreht er sich zu Mia: „Wir schauen einen Sprung im Baumarkt vorbei und kaufen eine Falle. Sonst ist hier gar keine Wiese mehr übrig, bis Oma und Opa zurückkommen.“
Ein bisschen übertreibt Papa schon, findet Mia. Sie hat sieben Hügel gezählt. Und der Garten ih- rer Großeltern ist groß. Aber stimmt schon, Papa hat gesagt, dass er nächstes Wochenende noch Rasen mähen möchte, bevor Oma und Opa wieder nach Hause kommen. Mit all den Erdhaufen im Weg wird das ein Hindernislauf.
Papa bückt sich und fotografiert die Maulwurfshügel aus der Froschperspektive.
Unterwegs in den Baumarkt sucht Mia auf Papas Handy die Nummer von Opa. Sie schickt ihm das Foto. Von unten fotografiert sehen die Hügel aus wie riesige Vulkane in einer Urwaldlandschaft.
„Hallo Opa!“, textet Mia. „Wir fahren gerade in den Baumarkt. Im Garten hat der Maulwurf gewütet. Siehst du auf dem Bild. Wir kaufen eine Falle. Sonst macht er die ganze Wiese kaputt. Deine Mia.“
Mia und Papa stehen im Baumarkt an der Kassa. Papa inspiziert gerade den Mechanismus der Falle, als sein Handy vibriert. Am Display blinkt ein Foto von Opa.
„Hallo Papa“, sagt Papa, „alles gut bei euch? Ja, wir zahlen gleich.“ Papa hört zu. Mia hört leise Opas Stimme. Dann schiebt Papa Mia sanft zur Seite und die beiden verlassen die Schlange. „Okay, dann bringen wir die Falle wieder zurück“, sagt er ins Telefon. Und: „Bis später.“
Mia kennt sich nicht aus. Papa ist auch ein bisschen verwundert. Dann erzählt er, dass Opa nicht möchte, dass sie den Maulwurf fangen. „Er ist nämlich ein Nützling“, sagt Papa ratlos. „Ich hab mit Opa ausgemacht, dass wir einen Videocall machen, wenn wir wieder im Garten sind. Dann hat er auch guten Empfang.“
Im Auto sieht sich Mia das Vulkanfoto noch einmal an, vergrößert es mit ihren Fingern und grinst plötzlich bis über beide Ohren. „Ein vierblättriges Kleeblatt!“, ruft sie. „Ich hab ein vierblättriges Kleeblatt gefunden. Das bringt Glück!“
Elvis schlummert satt und zufrieden auf dem Wohnzimmersofa. Diesmal beachtet er Mia gar nicht als sie eilig hinter sich die Terrassentür schließt und zu den Erdhügeln läuft. Vor dem größten Haufen kniet sie nieder und sucht die Wiese ab. „Ich hab’s!“, ruft sie und hält ein abgezupftes Kleeblatt hoch. „Vier Blätter!“ „Das kannst du gleich Opa und Oma zeigen“, sagt Papa. „Die Verbindung wird schon aufgebaut.“
„Hallo ihr zwei!“, hört sie Opa sagen. „Hallo Opa! Schau mal …“ Wortlos dreht Mia Papas Handy um und schwenkt über die Hügellandschaft. „Tja“, seufzt Opa. „Das ist nervig, ich weiß. Aber wenn der Maulwurf wütet, dann ist das ein Zeichen dafür, dass der Boden gut und gesund ist. Nur dann fühlt er sich wohl. In einer Hand voll gesundem Boden sind mehr Lebewesen, als Menschen auf der Erde leben. Die meisten davon sind klitzeklein.
Viele Leute verwechseln den Maulwurf mit der Wühlmaus, die den Pflanzen die Wurzeln abfrisst. Aber der Maulwurf verputzt ausschließlich andere Tiere: Käfer, Würmer und Engerlinge, Schnecken und sogar junge Wühlmäuse. Es ist mir also viel, viel lieber, wir haben im Garten einen Maulwurf als Schädlingsbekämpfer an unserer Seite als gefräßige Wühlmäuse, die unsere Karotten fressen oder an den Wurzeln der Bäume nagen. Ich hab vorhin nachgelesen: Die unterirdischen Gänge des Maulwurfs sind weit verzweigt und bis zu zwei Kilometer lang. Sie durchlüften den Boden, und wenn es stark regnet, dann rinnt durch sie auch Wasser ab. Also lasst mir um Himmels Willen den Maulwurf, bitte“, lacht Opa. „Sonst muss ich mich am Ende mit Wühlmäusen plagen.“
Mia ist sichtlich verwirrt. Kurz denkt sie nach. „Aber in den Ferien, Opa“, sagt sie dann, „da hast du mir doch erzählt, wie wichtig Regenwürmer für den Boden sind, weil sie mit ihren Gängen die Erde auflockern und durchlüften. Und jetzt sagst du, der Maulwurf ist nützlich, weil er Würmer frisst. Was davon stimmt denn nun?“
„Beides“, lächelt Opa. „Das hast du dir schon richtig gemerkt. Aber wichtig ist vor allem das Gleichgewicht. Und wenn es viele Regenwürmer gibt, dann ist der Boden richtig gut und fruchtbar und dann ist es auch ganz normal, dass sich der Maulwurf ein paar davon holt. So wie der Fuchs nicht nur Mäuse oder überfahrene Katzen frisst, sondern sich hin und wieder auch einen Feldhasen schnappt.“
„Alles schön und gut“, sagt Papa. „Aber was machen wir jetzt? Wir können die Unordnung ja nicht einfach so lassen. Ich wollte außerdem noch Rasen mähen, bevor ihr zurückkommt. Mit den Hügeln in der Wiese wird das ein Hindernislauf.“
„Lieb gemeint“, sagt Opa. „Aber du brauchst nicht mähen. Ich möchte, dass der Klee noch lange blüht, weil er Stickstoff aus der Luft im Boden einlagert. Dann brauchen wir die Wiese nicht düngen und sie ist trotzdem schön grün.“
„Auch okay“, sagt Papa kleinlaut. „Aber wenn wir die Hügel einfach so stehenlassen, dann wird die Wiese darunter kaputt.“
„Stimmt“, gibt ihm Opa recht. „Deshalb wäre es am besten, wenn ihr euch einen Kübel aus der Gartenhütte holt und die abgetragene Erde darin sammelt. Ich verwende sie dann immer als Anzuchterde für Gemüse und muss nicht extra teure Blumenerde kaufen. Vielleicht könnt ihr den Kübel dann irgendwo in den Schatten stellen?“
„Machen wir, Opa“, ruft Mia, „in der Gartenhütte ist auch noch irgendwo meine alte Sandschaufel.“
„Hinter den Blumentöpfen!“, fällt Opa ein – und macht Mia einen Vorschlag: „Du kannst dir auch zwei Blumentöpfe nehmen und sie mit Erde vom Maulwurfshügel füllen. In der Hütte solltet ihr auch noch Radieschensamen und trockene Erbsen finden. Wenn du die einsetzt und dir die Töpfe mitnimmst, hast du in ein paar Wochen knackige Radieschen und eigene Erbsen für deine Schuljause.“
„Sehr gute Idee“, strahlt Mia. „Das machen wir! Das Kleeblatt hat mir wirklich Glück gebracht.“„Wie bitte?“, fragt Opa neugierig. Da fällt Mia ein, dass sie Opa noch gar nicht ihr vierblättriges Kleeblatt gezeigt hat. „Schau mal“, hält sie ihre Entdeckung in die Kamera, „eins, zwei, drei, vier Blätter! Ein Glücksbringer.“
„Sehr schön – und ziemlich selten“, sagt Opa. „Wobei das Kleeblatt ja erst einmal dem Maulwurf Glück gebracht hat“, lacht er. „Aber auch als Gärtnerin kannst du Glück immer gut gebrauchen und mildes Herbstwetter mit genügend, aber nicht zu viel Regen.
Manches regelt sich aber auch ganz von allein: Wenn du Erbsen anpflanzt, dann lagern die zum Beispiel auch Stickstoff in der Erde ein – wie der Klee. Wenn du das Pflänzchen nach ein paar Wochen vorsichtig aus der Erde ziehst, dann kannst du an den Wurzeln die kleinen Knöllchen sehen. Darin sammeln sie den aus der Luft geholten Stickstoff als Dünger für die Pflanze“, sagt Opa.„Ich wusste gar nicht, dass du heimlich zum Biobauern geworden bist“, sagt Papa zu Opa, halb im Scherz, halb vor Bewunderung. „Seit ich in Pension bin, hab ich halt Zeit“, antwortet der. „Und seitdem wächst unser Gemüse auch besonders gut!“, meldet sich plötzlich auch Oma aus dem Hintergrund.
„Hallo Oma!“, ruft Mia.
„Hallo Mama!“, sagt Papa.
„Es sollte schon wieder einiges erntereif sein“, sagt Oma. „Nehmt euch doch was mit. Frisch ist es am allerbesten.“
„Wir sind eh gerade im Garten“, freut sich Mia.
„Und ich hab die Tür hinter mir zugemacht, damit Elvis drin im Haus bleibt und nicht den Maulwurf auffrisst.“ Mia dreht das Handy und führt die Kamera langsam über das Gemüsebeet.
„Na das ist ja ordentlich gewachsen“, freut sich Oma. „Die Kartoffeln brauchen noch ein bisschen. Aber ganz vorne sind Karotten und Petersilie. Nehmt euch da was mit und zieh dir vorsichtig ein paar Karotten aus dem Boden. Das Grünzeug oben dran wirfst du am besten gleich auf den Kompost. Aber wenn du die Karotten nicht abwäschst, sondern ein bisschen Erde dran lässt, dann bleiben sie länger frisch und werden nicht so schnell schrumpelig. Dann kannst du jeden Tag eine Karotte zur Jause in die Schule mitnehmen, bis wir uns das nächste Mal sehen.“
„Mach ich gleich“, ruft Mia, drückt Papa das Telefon in die Hand und springt ins Gemüsebeet. Nur kurze Zeit später präsentiert sie ihre Beute vor laufender Kamera: zehn, zwölf Karotten, von denen keine der anderen gleicht. Einige sind riesig, eine sieht aus wie ein zu oft gespitzter Bleistift, eine andere hat gleich zwei Wurzelspitzen und zwei sind ineinander verwachsen und umschlungen wie ein Paar, das sich küsst. „Die sehen ganz anders aus als die Karotten aus dem Supermarkt“, meint Mia. „So wie du sie vor dir hast, sind sie von Natur aus“, meldet sich wieder Opa. „Jede Pflanze ist anders. Leider landen im Supermarkt nur diejenigen Karotten, die gleich aussehen und die leicht von Maschinen geerntet werden können.“ Oma seufzt.
„Was bimmelt denn da bei euch im Hintergrund?“, fragt Mia neugierig. Sie hat etwas gehört, kann das Geräusch aber nicht genau zuordnen. Jetzt dreht Opa das Handy und schwenkt die Kamera über die Landschaft. Mia sieht Berge, hört Gebimmel und wie der Wind ums Mikrofon pfeift.
„Oh, ich dachte ihr chillt am Pool und schwitzt in der Sauna“, sagt Mia erstaunt. „Haben wir auch – als es geregnet hat“, sagt Oma. „Aber heute ist herrliches Wetter, da sind wir mit der Seilbahn hochgefahren und machen eine Almwanderung. Siehst du die Kühe im Hintergrund? Von ihnen kommt das Glockengebimmel. Wir machen gerade Rast auf einer Berghütte und ich hab uns Käsebrote und frische Buttermilch geholt.“
„Es sieht wirklich sehr schön aus bei euch“, meint Mia, die plötzlich Hunger bekommt, die Erde von einer Karotte wischt und – knack – hineinbeißt.
„Aber frische Karotten habt ihr auf eurer Alm keine!“ „Nein“, lachen Oma und Opa.
„Und gibt es da oben auch Maulwürfe?“ fragt Mia neugierig.
„Ich glaube, hier ist es im Winter viel zu kalt für einen griesgrämigen Einzelgänger wie den Maulwurf “, sagt Opa. „Aber vorhin haben wir andere Tiere gesehen, die viel Zeit unter der Erde verbringen und sich im Winter dicht aneinander gedrängt in ihren Bauten gegenseitig wärmen. Hast du eine Idee, was das sein könnte?“ Mia denkt nach. „Ich bin unsicher“, sagt sie.
„Sie kuscheln viel …“, hilft ihr Oma, „… und sie schlafen tief und fest wie ein …“
„MURMELTIER!“ fällt es Mia ein.
„Ganz genau“, freut sich Oma.
„Auch wenn er nützlich ist“, meint Mia, „zum Kuscheln ist so ein Maulwurf aber nicht zu gebrauchen.“
„Die Murmeltiere kuscheln auch nur untereinander. Sonst sind sie eher scheu und wenn sie ihren Bau verlassen, dann hält immer ein Tier Wache und warnt die anderen, wenn sich etwas Verdächtiges nähert“, erzählt Opa, „wie eine Alarmanlage.“ „Aber zum Kuscheln haben wir eh Elvis“, sagt Papa.
„Gut, dass du mich erinnerst, Papa!“, dankt Mia.
„Dem Schlingel geb’ ich jetzt noch frisches Wasser.“