Erziehung

Mein Kind ist ein Tyrann – Experten-Interview

,Tyrannenkinder’ werden nicht ,schlimm‘ geboren, sondern reagieren auf die Verhältnisse in der Familie“ - Ines Berger, Eltern- und Erziehungsberaterin in Mödling, spricht über die Ursachen, die kleine Kinder zu Tyrannen machen.

Welche Verhaltensweisen zeigt ein Kind, das als „Tyrann“ bezeichnet wird?
Ich finde die Bezeichnung „Tyrann“ im Zusammenhang mit Kindern völlig deplatziert. Dieser Begriff suggeriert, dass Kinder Täter wären und die Eltern die Opfer. Doch in Wirklichkeit sind die Kinder in diesem Fall die Opfer einer „falsch interpretierten Form von Liebe“ der Erwachsenen. Kinder wissen nicht, wie die Gesellschaft funktioniert, in die sie hinein geboren wurden. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, sie auf diesem Weg zu begleiten. Sonst sind Sie als Eltern irgendwann mit einem Kind konfrontiert, das nicht gelernt hat, altersentsprechend mit Frustration umzugehen, das keine Empathie anderen Menschen gegenüber entwickelt, das sich rücksichtslos, verantwortungslos und respektlos anderen gegenüber verhält. Und das vielleicht immer mehr an Konsumgütern fordert, weil es Geschenke mit Liebe verwechselt.

Wie wirken sich tyrannische Eigenschaften in den unterschiedlichen Altersstufen aus?
Kleine Kinder wälzen sich zum Beispiel im Supermarkt am Boden und toben, weil sie ihre Gefühlsüberflutungen noch nicht regulieren können. Schulkindern, die andere terrorisieren, indem sie ihnen Dinge wegnehmen oder sie ständig ärgern, fehlt die Erfahrung, dass das Gegenüber auch Grenzen hat, die es zu akzeptieren gilt. In der Pubertät zeigt sich dieses Verhalten oft in auffälligem Egoismus. Diese Kinder sind dann mit netten, vernünftigen Worten nicht mehr zu erreichen, weil sie sie schlicht und einfach nicht verstehen – ähnlich einer Fremdsprache, die sie noch nicht gelernt haben.

Welche Bedingungen finden sich im Elternhaus, die eine Entwicklung zum Tyrannen begünstigen?
Viele Eltern sind noch von einem früheren Denken geprägt, das besagt: „Wir sind die Erwachsenen, wir wissen was richtig und falsch ist. Daher sagen wir dir, was zu geschehen hat.“ Die Bedürfnisse der Kinder wurden dabei wenig bis gar nicht berücksichtigt. Die meisten Eltern wollen heute auf ihre Kinder eingehen, sie mitentscheiden lassen, ernst nehmen, das Selbstvertrauen stärken und die Potentiale fördern. Und diese Haltung ist genau das, was Kinder brauchen. Doch viele Eltern übersehen dabei ihre eigenen Bedürfnisse. Sie haben oft Angst, sich bei ihren Kindern unbeliebt zu machen, indem sie „Nein“ sagen. Doch Kinder brauchen klare, altersangepasste Strukturen. Sie brauchen verlässliche, berechenbare Eltern, an denen sie sich orientieren können. So lernen Kinder: „Aha, da ist ein Gegenüber, das auch Bedürfnisse hat. Aha, die Mama will jetzt nicht mit mir spielen. Der Papa hat jetzt keine Zeit, mit mir zu lernen.“

Wie können Eltern sich verhalten, damit sie eine Entwicklung ihres Kindes zum Tyrannen verhindern?
Eltern sollten den Unterschied zwischen Bedürfnissen und Wünschen kennen. Denn Bedürfnisse von Kindern müssen erfüllt werden, Wünsche jedoch nicht. Überlegen Sie, welche Werte Sie Ihren Kindern mitgeben wollen. Und danach handeln Sie dann. So muss zum Beispiel die Kompetenz der Frustrationstoleranz über Jahre geübt werden. Ihr Kind wird also unzählige Male traurig, wütend oder frustriert sein, wenn der Turm zum hundertsten Mal umfällt, die Mama keine Geschichte mehr vorlesen will oder es kein zweites Eis gibt. Haben Sie auch den Mut für Ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen. Durch dieses Vorleben lernen die Kinder unbewusst, dass auch sie selbst für sich eintreten und ihre Grenzen aufzeigen dürfen.

Es ist eine Tatsache: Das Kind zeigt Eigenschaften eines Tyrannen. Was kann der Familie jetzt helfen?
Suchen Sie dann professionelle Unterstützung. Ich erlebe in der Praxis oft, dass Eltern viel zu lang damit warten. Denn noch immer ist dieses Thema mit sehr viel Scham besetzt, da das Gefühl, bei den Kindern versagt zu haben, viele Eltern belastet.

 

„Bedürfnisse eines Kindes müssen erfüllt werden, Wünsche aber nicht.“
Mag. Ines Berger
www.inesberger.at

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