Schafft die Schule ab!
Bildet die Schule wirklich füs Leben? Macht Sie unsere Kinder glücklich? Haben Noten eigentlich wirklich einen Sinn? Der Lehrer und zehnfache Vater Oliver Hauschke sagt Nein. Er plädiert in seinem Buch „Schafft die Schule ab“ für einen radikalen Neuanfang.

Altersübergreifende Klassen, in denen jüngere von älteren lernen und umgekehrt, Schüler, die sich ihren Stoff selber erarbeiten, Erfolgsportfolios statt Noten und Gleitzeit statt Schulbeginn um acht Uhr morgens. Oliver Hauschkes Vorstellung der idealen Schule entspricht nicht gerade dem gängigen Modell, wie es in den meisten Schulen und Ländern gelebt wird.
Doch genau das fordert der deutsche Autor in seinem Buch „Schafft die Schule ab“ (mvg Verlag). Hauschke, selber Lehrer und Vater von zehn Kindern, plädiert darin für eine radikale Veränderung des Schulsystems. Seine Vision einer neu gestalteten Schule ist in erster Linie kind- und lerngerecht orientiert. Statt vorgegebenen Rhythmen und ständigen Beurteilungen fordert er freie Lerngruppen, mehr Freiheit und Eigenverantwortung der Kinder und Jugendlichen sowie die Nutzung des Potenzials neuer Medien, um Lernprozesse zu modernisieren, Motivation zu erzeugen und Lernen erfolgreich zu gestalten.
Nicht mehr zeitgemäß
Dabei sind es vor allem Gymnasien, die der Lehrer kritisiert. Er sagt, dass sie „neben der katholischen Kirche sicher die reformunwilligste Organisation überhaupt sind“. Doch was genau fehlt am in Deutschland und Österreich ähnlich strukturierten öffentlichen Schulsystem? Das Hauptproblem, betont Oliver Hauschke, sei, dass es weder auf das Leben und seine Anforderungen noch auf die Zukunft vorbereitet, sondern immer noch in der Vergangenheit feststeckt. Das äußerst sich darin, dass Lehrpläne strikt nach Konzept durchgesetzt werden, ohne auf die Schüler, ihre Bedürfnisse und aktuelle gesellschaftliche und technische Entwicklungen einzugehen. Seiner Ansicht nach fehlt etwa „mehr Informatik. Man findet so gut wie nie im Unterricht das Thema Algorithmen und was sich dahinter verbirgt. Im deutschen Schulsystem zum Beispiel haben wir das Fach Informatik noch nicht einmal fest verankert, es wird lediglich in Form eines Freifaches unterrichtet. Schon als ich in den 1980er-Jahren zur Schule gegangen bin, war das so – und es hat sich in den letzten 30 Jahren kaum geändert. Das ist beschämend.“ Der Lehrer betont außerdem, dass man natürlich gewisse historische Ereignisse unterrichten und auch kennen sollte, es aber fraglich ist, ob man unbedingt den Faust gelesen haben muss. Einer seiner Kritikpunkte: dass zu wenig lebensrelevante Themen unterrichtet werden, die nachhaltig bei den Schülern sitzen bleiben. „Wenn sie dann später einmal mit der Schule fertig sind, ist viel Wissen wieder weg.“
Die Schüler den Stoff selber erarbeiten lassen und sie auf die Zukunft vorbereiten – zwei der Forderungen von Buchautor und Lehrer Oliver Hauschke.
Das Ende der Noten?
Auch eine heilige Kuh des Schulsystem greift Oliver Hauschke, der Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Politik studiert hat, an: das Notenwesen. In Deutschland in sechs, in Österreich in fünf Notenreihen vergeben, findet er Noten nicht mehr zeitgemäß, sagt, dass sie subjektiv sind und in erster Linie Druck machen. Doch sollte es in der Schule der Zukunft gar keine Leistungsbewertungen mehr geben? Nein, sagt, Oliver Hauschke. Er schlägt etwa Leistungsportfolios vor, die einen Gesamtüberblick über die Entwicklung und den Fortschritt eines Schülers geben – und am besten von mehreren Personen erstellt werden. Im viel gerühmten finnischen Schulwesen zum Beispiel, wo auf die Motivation der Schüler besonderer Wert gelegt wird, gibt es für Sieben- bis 15-Jährige keine Notenpflicht, die Schulen können selber festlegen, wie sie den Lernfortschritt der Kinder und Jugendlichen bewerten möchten. Skalen von eins bis zehn sind ebenso darunter wie schriftliche Bewertungen, meistens wird beides eingesetzt. Am Ende des Schuljahres entscheiden dann Lehrer und Eltern in einem Gespräch, ob der Schüler in die nächsthöhere Klasse aufsteigen kann und soll. Dass dieses Modell erfolgreich ist, zeigen internationale Untersuchungen wie etwa die PISA-Studie der OECD, wo Finnland seit Jahren im Spitzenfeld liegt.
Mehr Handys in den Klassen
Smartphones, die in der Stunde komplett ausgeschaltet sein müssen oder gleich zu Beginn der Stunden weggesperrt werden, Seiten, die für Schüler gesperrt sind – immer mehr Schulen setzen darauf, Smartphones und Laptops zu verbannen. Doch genau das ist laut Oliver Hauschke der falsche Weg und ein weiteres Zeichen dafür, dass viele Schulen nicht zukunftsgewandt agieren. Er erinnert daran, dass das Handy längst elementarer Bestandteil des Lebens geworden ist und deshalb auch in der Schule nicht ignoriert werden soll. Ihm ist dabei wichtig, zu betonen, dass er nicht die komplette Technisierung des Unterrichts, sondern einen bewussten und sinnvollen Umgang mit neuen Techniken fordert: „In der Schule wird meistens versucht, diese Dinge auszuschließen. Manche Kinder und Jugendlichen haben zwar vielleicht keine saubere Handschrift, sind aber am Computer schnell mit dem Tippen. Die Lehrer zwingen sie aber, alles mit der Hand zu schreiben – und geben ihnen dann schlechte Noten, wenn die Handschrift nicht passt. Es gibt so viele Blockaden, die diese neue Technik verhindern. Das Problem ist: Wenn man dann mit der Schule fertig ist, darf man diese Technik nutzen, die Schule bringt einem jedoch nicht bei, wie man damit sinnvoll umgeht.
Wenn Schüler in die Gleitzeit gehen
Jugendliche, die so schläfrig sind, dass sie in der ersten Unterrichtsstunde zwar körperlich, dafür aber kaum geistig anwesend sind, kennt jeder Lehrer zu gut. Dass ein späterer Schulbeginn sinnvoll sein kann, fordert nicht nur Oliver Hauschke, auch verschiedene Studien belegen, dass die Maßnahme Vorteile bringen könnte. So haben Forscher der University of Washington getestet, wie sich die Verschiebung von 55 Minuten an zwei Highschools in Seattle auf 15- bis 16-Jährige auswirkt. Das Ergebnis: Die Teenager bekamen nicht nur mehr Schlaf, sie konnten dem Unterricht aufmerksamer folgen. Oliver Hauschke verweist außerdem auf den Schulversuch des Alsdorf-Gymnasiums in Nordrhein- Westfalen. Die Schule praktiziert das amerikanische Dalton-Konzept und wurde 2013 als Schule des Jahres ausgezeichnet. 2016 schließlich wurde, begleitet von einer Studie des Münchner Zentrums für Chronobiologie, ein Gleitzeitmodell eingeführt, bei dem Schüler der Oberstufe selbst entscheiden können, wann sie innerhalb der ersten Stunde, einer Freilern-Einheit, zum Unterricht erscheinen.
Lerngruppen statt Frontalunterricht und der Verzicht auf Notenzwang. Im finnischen Schulsystem zum Beispiel werden diese Maßnahmen erfolgreich umgesetzt.
Leuchttürme in der Bildungslandschaft
Verschiedenste Schulformen und Schulen also, die die von Oliver Hauschke diskutierten Vorschläge bereits durchsetzen. Doch gerade in den Gymnasien passieren seiner Ansicht nach wenig Reformen. Das liegt laut Hauschke zum einen daran, dass politisch zu wenig passiert, aber auch daran, dass sich die Lehrerschaft zu wenig reformwillig zeigt. So kritisiert Hauschke, dass viele Kollegen meist nur an ihrem Fach und dem Durchbringen des Stoffes interessiert sind, nicht aber an den Kindern: „Wenn etwas zu reformunwillig ist wie die Schule, bleibt nur noch die Lösung, dass man sie abschafft und durch etwas Besseres und Neues ersetzt. Wobei es gar nicht neu sein muss, denn es gibt ja bereits wirklich gute Schulen und Schulmodelle – aber das sind meist einzelne Leuchttürme in der Bildungslandschaft. Finnland zum Beispiel scheut sich auch nicht davor, diesen Weg konsequent zu gehen. Nur in Deutschland und auch in Österreich zögert man gerade in den Gymnasien, diese Veränderungen auch wirklich durchzusetzen.“ Doch was zeichnet eine gute Schule nun eigentlich aus, und wie kann man sie gestalten? Oliver Hauschke sagt, dass es dringend an der Zeit ist, dass die Schüler in den Mittelpunkt des Interesses gestellt werden, und nicht das System Schule an sich. Seiner Ansicht nach die vorrangige Aufgabe von Schulen und Lehrern: Schüler glücklich zu machen und sie ohne Leistungsdruck zum Erfolg zu führen. Denn wie heißt es so schön? „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“
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