So bewältigen wir die Krise
Büro, Haushalt, Kinderbetreuung, Schule, Freizeit – alles unter einem Dach. Die Coronakrise stellt besonders Familien vor enorme Herausforderungen. Kein Wunder, dass da und dort die Nerven blank liegen und guter Rat teuer ist. Doch wie geht eigentlich Krisenmanagement in den eigenen vier Wänden?
In Zeiten des Ausnahmezustands sind unsere menschlichen Beziehungen vor eine besondere Bewährungsprobe gestellt. Das Coronavirus und die Maßnahmen zu dessen Eindämmung sorgen für große Verunsicherung. Wir sorgen uns um unsere Gesundheit und die unserer Lieben. Um unseren Job und den unseres Partners. Viele haben die Arbeit bereits verloren und stehen vor der Frage, wie es nun weiter gehen wird. Die bedrohten Existenzen, die Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit, wegfallende Großeltern sowie Betreuungsangebote und nicht zu vergessen die Ungewissheit, wie sich alles noch weiter entwickeln wird, bringt besonders Familien an die Grenze der Belastungen. Wir verbringen nun mehr Zeit – nicht selten 24 Stunden am Tag – miteinander. Oft auf engem Raum. Mit wenig Rückzugsmöglichkeiten. Alles findet daheim statt: arbeiten, lernen, Freizeit.
Homeoffice mit Kindern – alles andere als ein Kinderspiel
Für manche mag die Virus-Krise zu Beginn eine willkommene Gelegenheit zur Entschleunigung gewesen sein. So soll es bei einigen chronisch überlasteten Familien tatsächlich den Aha-Effekt gegeben haben: weniger Programm geht also auch. Die meisten Familien haben sich mit tapferen Durchhalteparolen damit getröstet, Leben zu retten und dabei endlich so richtig viel Zeit für die Familie zu haben. Doch der netten Familienidylle stand so einiges im Weg. Eltern müssen Privatlehrer spielen, während quengelnde Kindergartenkinder Zuwendung brauchen, sich die Arbeit am Schreibtisch türmt und es in der Wohnung aus allen Ecken staubt. Nicht umsonst schrieb die deutsche „Zeit“ über den Homeoffice-Kraftakt mit Kindern: jeder der sagt, es ließe sich gut vereinbaren, ist entweder ein Angeber oder ein Lügner. Dass es vor allem die Frauen sind, die die Kinderbetreuung übernehmen, Hausaufgaben-Management schupfen und nebenbei putzen, kochen und wenn sie Glück haben, auch noch irgendwie ihrem Brotjob in den Tagesablauf reinquetschen, ist wohl ein offenes Geheimnis.
Die Möglichkeit, Kinder in den Notbetrieb von Schulen und Kindergärten zu bringen, wurde kaum genutzt. „Die Botschaften der Bundesregierung haben die Eltern sehr ernst genommen und alle Möglichkeiten innerfamiliärer Lösungen ausgeschöpft“, sagt Alexandra Fischer. „Manche wollen aus Sorge unverantwortlich zu erscheinen ihre Kinder nicht bringen, obwohl es daheim einen unglaublichen Kraftakt erfordert“, so die Pädagogische Bereichsleiterin für die Kindergärten und Horte der Wiener Kinderfreunde. Die Verzweiflung vieler Eltern sei – so hieß es zuletzt auch aus Arbeiterkammerkreisen – zwar groß, aber der soziale Druck eben, die Kinder daheim zu lassen, genauso.
Kein Wunder also, dass Anspannung und Stress zunehmen. Ebenso Streitereien und Konflikte. Aggression und Gewalt. Die Kinder sind wie so oft die Leidtragenden. Dabei sind die Kids auch in der Ausnahmesituation so, wie sie eigentlich immer sind: quitschlebendig, lustig, launisch. Sie müssen versorgt werden, brauchen unsere Aufmerksamkeit und unseren emotionalen Support – möglicherweise jetzt sogar mehr als sonst. Anja Schlagnitweit ist Leiterin eines Kinderfreunde-Kindergartens in Wien Favoriten und bringt auf den Punkt, was Kinder in Krisensituationen am meisten brauchen: „Kinder sollen Zuhause Verständnis und Zuwendung bekommen. Und sie sollen wissen, dass dieser Zustand nicht für immer andauert und diese Zeit auch vorübergehen wird“. Doch wie soll man Zuversicht vermitteln, wenn man selber kurz vor dem Ausrasten ist?
Selbstfürsorge – das Zauberwort der Stunde!
Wie war das noch mal im Flieger, wenn ein Notfallszenario eintrifft? Richtig! Zuerst uns selbst die Sauerstoffmaske anlegen, damit wir handlungsfähig bleiben, und erst dann unsere Kinder oder andere mit einer solchen versorgen. Gleiches gilt auch für die aktuelle Krisenzeit. Die eigene Psychohygiene – da sind sich die Experten einig – steht an vorderster Stelle. Familienberaterin Linda Syllaba münzt folgendes Credo aus dem Krisenmanagement für Unternehmen auf die Bewältigung der Krise in den eigenen vier Wänden um: „In der Krise braucht es starke Führungskräfte, die identifizieren, was genau los ist, dementsprechend eine passende Lösungs-Strategie entwickeln und für eine reibungslose Umsetzung der Maßnahmen sorgen. Und sie holen Experten zu Hilfe“.
In Krisenzeiten heißt es also mehr denn je: den eigenen Energietank nachfüllen, um nicht so schnell aus der Bahn zu kommen. Mit Meditieren, bewussten Ruhepausen oder einer Runde um den Häuserblock zum Beispiel. Also unbedingt kleine Auszeiten und Rückzugsmöglichkeiten einplanen. Planen ist überhaupt das Gebot der Stunde: Ein gut strukturierter Alltag schaffe Klarheit und helfe laut Syllaba dabei, zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist und zu ändern, was wandelbar ist. Eltern als Teamplayer seien gefragter denn je. Dabei gelte es, Bedürfnisse klar zu kommunizieren und möglichst im Hier und Jetzt zu leben. Bei sich bleiben, wie es die Coaching-Expertin formuliert. Das helfe im Übrigen auch bei der Bewältigung eigener Ängste. „Man sollte sich immer vergegenwärtigen, wie bedrohlich die Situation gerade für einen selbst bzw. für die eigene Familie ist“, rät Linda Syllaba. Außerdem runter vom Gas und weg vom Perfektionismus. Und vor allem: es ist keine Schande, professionelle Hilfe von außen zu Rate zu ziehen!
Infos & Beratung:
www.rataufdraht.at
www.die-moewe.at
www.psychnet.at
www.wien.kinderfreunde.at
Sorgentelefon:
Notrufnummer 142
Beratungsservice Berufsverband Österreichischer Psychologinnen:
Helpline 01/504 8000,
helpline@boep.or.at
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