Stopp dem Übergewicht
Mangelnde Bewegung, ungesunde Ernährung und die fatale Sucht nach Zucker haben erschreckende Konsequenzen: Jedes vierte Kind in Österreich ist bereits übergewichtig oder adipös. Eine Initiative von Ärzten, Lebensmittelhersteller und dem Handel will das ändern.
Es sind Corona-Langzeitfolgen, mit denen so wohl niemand gerechnet hat. Laut aktuellen Studien haben während der Pandemie weltweit Kinder und Jugendliche an Gewicht zugenommen. In Österreich gelten derzeit 27 Prozent der 7- bis 12-Jährigen als übergewichtig oder adipös, das sind rund 240.000 junge Menschen. Bei Österreicher*innen ab 15 Jahren liegen diese Werte bereits bei 34,3% übergewichtigen und 16,5% adipösen Personen. Friedrich Hoppichler, Ärztlicher Direktor am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg und Vorstand von SIPCAN, einem Verein zur Gesundheitsförderung und Prävention, kennt die Ursache dafür: „Zucker spielt dabei eine entscheidende Rolle, weil sehr einfach große Kalorienmengen aufgenommen werden, der Blutzuckerspiegel starken Schwankungen unterliegt und die jungen Konsumenten sich an ein sehr hohes Maß an Süße gewöhnen.“
Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Hoppichler Vorsitzender SIPCAN
Bewegungsmangel wird unterschätzt
Dazu kommt Bewegungsmangel, der das Problem noch verstärkt. „In unsere Klinik kommen immer mehr junge Patientinnen und Patienten, die unter den Folgen einer falschen Ernährung und insbesondere Bewegungsmangel leiden“, sagt Sascha Meyer, Direktor der Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum Karlsruhe Die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), nach der Kinder und Jugendliche pro Tag mindestens 60 Minuten mäßig bis sehr anstrengende körperliche Aktivitäten ausüben sollten, erreichen immer weniger Minderjährige.“
Oftmals münden beide Faktoren in starkem Übergewicht schon im frühen Kindesalter. Dieses ist laut WHO von zentraler Bedeutung für die Prävention von Adipositas, weil zahlreiche Risiko- und Schutzfaktoren des Körpers maßgeblich in dieser Lebensphase geprägt werden.
Auch wenn die Zahl der adipösen Minderjährigen bereits seit Jahren steigt, hat die Pandemie die Entwicklung noch einmal verstärkt. „Die Kinder leiden noch immer unter den Folgen von Corona, weil sie über Monate hinweg nicht in den Sportverein gehen konnten, keinen Schulsport hatten und nicht aus dem Haus gegangen sind, um sich mit Freunden zu treffen“, erinnert Meyer. „Einige haben danach den Schalter nicht wieder umlegen können.“
Die Beobachtungen aus Deutschland sind 1:1 auch auf Österreich umlegbar. Zwar sind die Sportvereine wieder in vollem Umfang aktiv, doch haben sie zahlreiche Kinder durch die Pandemie „verloren“. Dazu kommt, dass wegen des Personalmangels an vielen Schulen oft die Turnstunde als erste Unterrichtseinheit gestrichen wird. Hier fordern die Expert*innen dringend ein Umdenken bei allen Verantwortlichen.
Trink- und Jausenführerschein
Ernährungswissenschaftliche Grundbildung ist in Österreich im Lehrplan so gut wie gar nicht vorgesehen, wobei die steigenden Zahlen an übergewichtigen Kindern die dringende Notwendigkeit aufzeigen. Der Handelskonzern Spar hat die Wichtigkeit erkannt und unterstützt das von SIPCAN gezielt für Kinder entwi- ckelte ernährungswissenschaftliche Programm seit über zehn Jahren. In diesem Schuljahr absolvierte nun das 100.000te Kind den „Trink- und Jausenführerschein“. „Das Ziel war es von Anfang an Pädagoginnen und Pädagogen ein praxisnahes, aber gleichzeitig wirksames Tool an die Hand zu geben. Die hohen Teilnehmerzahlen der letzten Jahre zeigen, dass diese Maßnahme gut angenommen wird. Wir sind stolz, jährlich 10.000 Absolvent*innen des Trink- und Jausenführerscheins zu zählen“, so Friedrich Hoppichler. Häufig sind zu große Portionen, der Konsum von kalorienreichen und zuckerhaltigen Lebensmitteln bei gleichzeitig mangelnder Bewegung einer der Gründe, die Übergewicht und Adipositas begünstigen. Um der steigen- den Tendenz entgegenzuwirken, ist eine umfassende Prävention vom Kindesalter an besonders wichtig. Im Gegenzug verliert jedoch der Ernährungsunterricht an Österreichischen Schulen mehr und mehr an Bedeutung, sodass Jugendliche im Gymnasium beispielsweise keinerlei Berührungspunkte mit dem Thema haben.
Umso wichtiger sind Initiativen wie das vom vorsorgemedizini- schen Institut SIPCAN entwickelte Programm „Trink- und Jausen- führerschein“ an österreichischen Schulen. Dadurch werden schon in jungen Jahren Basisinformationen zu Lebensmitteln, Mikronährstoffen und einer gesunden Ernährungsweise anhand der eigenen Jause vermittelt. Integriert werden dabei auch die Eltern, die ihre Kinder bei der Umsetzung zur Seite stehen. Am Ende des Programms wird sowohl eine theoretische als auch praktische Prüfung abgelegt. Eine Maßnahme, die wirkt, wie Hoppichler erzählt: „Eine von uns durchgeführten Interventionsstudie zeigt deutlich die positiven Auswirkungen. Kinder, die den Trink- und Jausenführerschein absolviert haben, weisen nicht nur ein besseres Ernährungswissen auf, sondern konsumieren generell 10 Prozent weniger Zucker als vor der Umsetzung.“
Prof. Dr. Sascha Mayer Direktor der Franz-Lust-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Karlsruhe
- in Kooperation mit der ÖGK
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