Superspeis Paradeis
Die Tomate kommt aus dem Garten Eden, darum heißt sie in Österreich auch Paradeiser. Sie ist paradiesisch in Gesundheitsnutzen und Geschmack – doch teilen auch Kinder diese Vorliebe? Und besteht Grund zur Vorsicht?
Als Columbus das Indianergemüse vor 500 Jahren nach Europa mitbrachte, konnte sich niemand vorstellen, dass das essbar sein sollte. 200 Jahre später war die „Tomatl“-Pflanze immerhin als Zierstrauch beliebt, ihre prallen Früchte waren die Schmuckstücke des Gartens. Erst um 1900 herum hat das gefährlich aussehende Gemüse endlich auch deutsche und österreichische Märkte erreicht.
Höllisches Nachtschattengewächs
Tatsächlich enthalten die Paradiesäpfel auch kritische Stoffe. Zum Beispiel Solanin: Ihm verdankt die Tomate, dass der Kartoffelkäfer nicht auch ein Tomatenkäfer ist, denn für ihn ist das Tomaten-Solanin giftig. Es ist aber nicht nur für Käfer giftig: Bei Menschen können sich ab 200 mg Solanin Brennen im Hals, Kopf- und Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme einstellen, bei Kindern schon ab 20 mg.
Diese Menge wird zwar in reifen Paradeisern nicht erreicht, wenn die grünen Pflanzenteile weggeschnitten werden: Ein reifer Paradeiser enthält nur 0–1 mg Solanin. Doch manche Menschen sind überdurchschnittlich empfindlich. Man soll ein Kind daher nie zwingen, etwas vermeintlich Gesundes zu essen; vielleicht hat es einfach ein besonders feines Sensorium für das, was ihm gut tut und was nicht. Histamin, ebenfalls Bestandteil der Paradiesäpfel, betrifft nur jenes eine Prozent der Bevölkerung, das an einer Histamin-Unverträglichkeit leidet. Diese Personen müssen Paradeiser meiden.
Paradeiser – gefährlich fürs Baby?
Was für Erwachsene kritisch ist, kann für Babys gefährlich sein. Sie bekommen Paradeiser daher nur in kleinen Mengen, egal, ob roh oder gekocht, da Solanin gegen Hitze unempfindlich ist. Rohe Paradeiser sind den Kleinsten oft zu sauer und können einen wunden Po zur Folge haben. Sie sollten erst ab dem ersten Geburtstag eingeführt werden. Gedünstete Paradeiser dürfen auch schon im achten Monat gegeben werden.
Ketchup – ein Paradeisersmoothie?
Alle Kinder (auch die großen) lieben Ketchup. Die Ernährungswissenschaft erklärt das so: Seit Kurzem gibt es offiziell neben süß, bitter, sauer und salzig noch die Geschmacksrichtung umami. Das ist Japanisch und heißt „köstlicher Wohlgeschmack“. Umami wird auf bestimmte Eiweißbestandteile zurückgeführt, die auch in den Paradeisern entdeckt wurden. So schmeckt Ketchup also süß, salzig und umami – eine unwiderstehliche Kombination.
Das heißt aber auch: Ketchup enthält viel Salz und Zucker, die auf Dauer unbedenkliche Zuckermenge könnte – je nach Hersteller – schon mit einer halben Portion Ketchup erreicht sein. Ketchup dürfte also nur ganz selten oder in allerkleinsten Mengen konsumiert werden – was nicht funktioniert, da Ketchup ja umami schmeckt. Da hilft nur eines: Selbermachen! Es gibt mehrere gute Gründe, Ketchup selbst zu kochen.
Zum einen schmeckt es hervorragend. Zum anderen kann man für einen vernünftigen Zuckergehalt sorgen. Und obendrein ist es eine ausgezeichnete Quelle für Carotinoide, besser als rohe Paradeiser! Die gesunden Pflanzenpigmente sind im Rohzustand nur schlecht verfügbar, durch Kochen werden sie jedoch freigespielt. Nach etwa 30 Minuten Kochzeit ist die Menge an bioverfügbaren Carotinoiden am höchsten.
Paradiesisch gesund
Die paradiesischen Äpfel sind reich an Mineralstoffen und Spurenelementen, zum Beispiel Kalium, das für die Muskelkontraktion und -entspannung nötig ist. Weiters enthalten sie viele B-Vitamine sowie nennenswerte Mengen der Vitamine C und E. Sie glänzen aber buchstäblich durch ihre Carotinoid-Gehalte: Sie liefern nicht nur die Vitamin A-Vorstufe Betacarotin, sondern auch das gelbe Lutein und das orangegelbe Zeaxanthin sowie allen voran das rote Lycopin. Letzteres ist hauptverantwortlich für den Anti-Aging-Effekt, der den Paradeisern nachgesagt wird. Dieser besteht genaugenommen in einem Schutz der Zellen vor Sauerstoffradikalen, die auch mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht werden. Das ist gerade im Sommer ein Thema, wenn die UV-Exposition am höchsten ist. Doch bevor Paradeiser einfach gegessen wurden, wurden sie von europäischen Heilkundigen bei Entzündungen, Erschöpfung, Stress und Reiseübelkeit verordnet – vielleicht mit ein Grund, weshalb Tomatensaft auf Flugreisen zum Standard gehört?
Prädikat: Wertvoll – aber nur im Sommer!
Die „Superspeis Paradeis“ hat ihre verschiedenen lieblichen Beinamen nicht umsonst. Sie ist kulinarisch wie gesundheitlich wertvoll. Doch die Gemüseregale täuschen darüber hinweg, dass sie ein Saisongemüse ist. Gemüseproduzenten geben sich redlich Mühe, uns auch im Winter mit unserem Lieblingsgemüse zu verwöhnen, obwohl der Paradiesapfel außerhalb der Saison nur halb so paradiesisch ist, weil er dann aus dem Glashaus kommt oder – auch nicht besser – aus wärmeren Ländern importiert und dort wegen des langen Transportweges unreif geerntet wird.
Wie man es dreht und wendet: Paradeiser im Winter sind weder besonders schön noch besonders aromatisch noch besonders gesund. All die erfreulichen Nährwertangaben beziehen sich auf strauchgereifte Paradeiser. Und nicht nur das: Auch der Gehalt am giftigen Solanin ist erhöht, denn er sinkt nur, wenn die Frucht am Strauch reift und nicht in der Lagerhalle. Und schließlich ist die Klimabilanz von Gemüse aus beheizten Glashäusern nicht besonders, der Energieaufwand ist mehr als 500 Mal so hoch wie der Energieertrag in Form von Kalorien. Für alle Umweltbewussten und nachhaltig Denkenden gilt daher: Im Winter lieber Paradeiser aus dem Einkochglas statt aus dem Glashaus!
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