Gesundheit

Typ-1-Diabetes: Der Abschied von der vertrauten Kinderarztpraxis

Der Wechsel von der Kinderdiabetologie zum Diabetologen für Erwachsene geht für junge Patientenmit Typ-1-Diabetes mit vielen Veränderungen einher.

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Der Wechsel von der Kinderdiabetologie zum Diabetologen für Erwachsene geht für junge Patienten mit vielen Veränderungen einher. Dieser Schritt bedeutet für junge Menschen, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen, während die Eltern sich nach und nach zurückziehen sollten. Wie kann dieser Prozess, Transition genannt, gelingen?

Der Abschied von der vertrauten Kinderarztpraxis ist mit vielen Sorgen und Ängsten verbunden. Dennoch ist der Arztwechsel in den meisten Fällen unvermeidlich. In der Regel dürfen Kinder- und Jugendärzte ihre Patienten nur bis zum 18. Geburtstag betreuen. Danach gelten sie vom Gesetz her als erwachsen, so dass die Erwachsenenmedizin zuständig ist.

Ein wichtiger Schritt ins Erwachsenenleben

Aber nicht nur der betreuende Arzt ändert sich: Die Atmosphäre im Behandlungs- und Wartezimmer ist weniger familiär. Persönliche und familiäre Themen werden seltener angesprochen. Eine größere Selbständigkeit und Zuverlässigkeit im Umgang mit der Erkrankung werden vorausgesetzt, und es wird erwartet, dass der Patient selbst sagt, was für ihn wichtig ist. Der junge Patient wird verstärkt in Entscheidungen über weitere Behandlungsschritte einbezogen. Und: Die Eltern haben nun weniger Einblick in die Therapie.

Dass sich der behandelnde Arzt ändert, bedeutet nicht, dass sich auch die Therapieprinzipien und die Anzahl der Arztbesuche ändern. Gerade in Zeiten des Umbruchs ist eine regelmäßige Überwachung notwendig. Es ist wichtig, dass diese nicht abreißt, denn sonst kann es zu ernsthaften Komplikationen und langfristigen Folgeschäden kommen.

Erwachsenwerden ist ein Prozess, der nicht mit dem 18. Lebensjahr beginnt oder aufhört. Ähnlich wie Eltern ihre Kinder mit zunehmendem Alter immer stärker in das Diabetesmanagement einbeziehen, macht es auch der Kinder- und Jugendarzt. Zwar kommt der Jugendliche meist gemeinsam mit einem Elternteil in die Praxis, ab dem 14. Lebensjahr sollte jedoch ein Teil der Untersuchungen und des Gespräches alleine mit dem Arzt stattfinden.

Der Jugendliche kann dadurch langsam in die neue Aufgabe hineinwachsen und übernimmt zunehmend Verantwortung für sich und seine Erkrankung. Das Gespräch unter vier Augen gibt dem Jugendlichen und dem Arzt auch die Chance, sensible Themen anzusprechen, die man ungern vor den Eltern thematisiert, z. B. Alkoholkonsum, Sexualität oder Therapiefrust.

Mit dem Heranwachsen der Kinder verändern sich auch für die Eltern die Aufgaben. Ihre Rolle wandelt sich vom verantwortlichen Versorger hin zum beratenden Coach. Eltern sollten sich vor Augen führen, dass es für das Kind wichtig ist, diesen Teil seines Lebens in naher Zukunft eigenverantwortlich zu managen.

Transition – wann und wie?

Manche Jugendliche wechseln schon mit 14 Jahren in die Erwachsenenmedizin, andere erst, wenn es wirklich sein muss. Wann der richtige Zeitpunkt zum Wechsel ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einerseits muss man sich fragen, ob man sich in der kinderärztlichen Praxis noch wohlfühlt und ob man sich „reif“ genug fühlt, um die neue Herausforderung anzunehmen. Andererseits muss man prüfen, ob es in der Nähe einen geeigneten Arzt gibt. Am besten bespricht man dieses Thema mit dem bisherigen Arzt, ebenso die Frage, wie der Wechsel vonstattengehen soll.

Bei der Suche nach einem geeigneten Diabetologen ist der bisherige Behandler bestimmt gerne behilflich. Er weiß, welche Kollegen es in der Region gibt und kann hilfreiche Tipps geben. Bevor man auf die Suche geht, sollte man sich jedoch überlegen, was einem bei einem neuen Arzt wichtig ist (z. B. Wohnortnähe, Qualifikation, spezielle Ausstattung, Geschlecht).

So können Eltern beim Wechsel helfen

Eltern können den Transitions-Prozess ihres Kindes unterstützen, indem sie

  • die Verantwortung für die Therapie schrittweise abgeben
  • mit dem Jugendlichen die dafür notwendigen Fertigkeiten trainieren (eigenständiges Diabetesmanagement, Erkennen und Äußern eigener Bedürfnisse, selbstbewusstes Nachfragen etc.)
  • ihr Kind bestärken und für Erfolge loben
  • akzeptieren, dass der Jugendliche Aufgaben anders angeht und eigene Prioritäten setzt
  • durch Zuhören und passende Fragen dem Kind bei der Entscheidungsfindung helfen
  • dem Kind Rückhalt geben und signalisieren, dass es nicht allein ist

Fazit: Die Transition sollte vom Kinderdiabetologen gemeinsam mit dem Jugendlichen und seinen Eltern so geplant werden, dass ausreichend Zeit für die Vorbereitung bleibt. Die Zeit vor dem Arztwechsel sollte genutzt werden, um schrittweise die Selbständigkeit im Umgang mit der Erkrankung zu trainieren.

Hausarzt statt Diabetologe?

Welche Auswirkungen mit dem Transfer verbunden sind, untersuchte man in der Tübinger Transferstudie. Zwischen 1999 und 2019 hat das Forscherteam um Privatdozent Dr. Roland­ Schweizer­ einmal jährlich 224 junge Patienten mit Typ-1-Dia­betes u.a. zum HbA1c-Wert und der aktuellen Betreuungssituation befragt (Haus- oder Facharzt). Insgesamt antworteten 84,8 % mindestens einmal innerhalb der 20 Jahre, berichtete der Pädiater vom Universitätsklinikum Tübingen.

Junge Patienten fühlen sich in Spezialpraxen nicht so wohl

Beim Übergang von der Kinder- in die „Erwachsenenmedizin“ hatten die Befragten im Schnitt schon seit 11,3 Jahren ihren Diabetes und waren etwas über 21 Jahre alt. „Danach wechseln 41,2 % noch mindestens einmal ihre Betreuung“, so Dr. Schweizer weiter. Zwei Jahre nach dem Übergang befanden sich 91 % in fachdia­betologischer Hand.

„Es zeigte sich allerdings ein Trend, diese Betreuung zugunsten der hausärztlichen zu verlassen.“ So nahm die Rate derer, die in diabetologischen Praxen betreut wurden, leicht ab: auf 85,9 % nach fünf Jahren, 82,3 % nach zehn Jahren und 78,3 % nach 15 Jahren. Patienten in Behandlung von geschulten Diabetesteams hatten nach 15 Jahren tendenziell eine bessere Stoffwechsellage als Personen, die sich von einem Hausarzt betreuen ließen. Zudem wiesen sie im gesamten Beobachtungszeitraum einen signifikant besseres HbA1c auf.

„Nicht alle jungen Erwachsenen möchten von Fachdiabetologen betreut werden“, schloss Dr. Schweizer aus den Daten. „Obwohl die fachspezifische Betreuung auch nach dem Transfer empfohlen wird.“ Auf die Frage, ob diesem Rat mehr folgen würden, wenn es Zentren gäbe, die sich ausschließlich der Betreuung von Patienten mit Typ-1-Diabetes widmen, antwortete er: „Es gibt Anzeichen dafür, dass junge Menschen mit Typ-1-Dia­betes sich in Spezialpraxen nicht so wohl fühlen, weil dort überwiegend Patienten mit Typ-2-Diabetes behandelt werden.“

Eine Art, sich weniger mit der Erkrankung zu beschäftigen

Allerdings scheint die typische Klientel einer solchen Einrichtung nicht der einzige Grund, sich eher einer hausärztlichen Betreuung zuzuwenden. „Patienten, die sich lieber an den Hausarzt wenden, sind oft diejenigen, die sich nicht übermäßig mit ihrem Diabetes beschäftigen möchten“, mutmaßt Dr. Schweizer. „Sie kommen dann nur einmal im Quartal in die Praxis, um sich ihre Rezepte abzuholen.“

Quelle: JA-PED 2021*

* Gemeinsame Jahrestagung der Arbeits­gemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie und der Deutschen Gesellschaft für Kinder­endokrinologie und -diabetologie

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