„Von den Kindern können wir lernen, unseren Fokus auf das Hier und Jetzt zu legen!“
Familienberaterin und Familylab-Expertin Linda Syllaba erzählt im Interview, wie man in der Krise den eigenen Ängsten trotzt, wie Eltern zu guten Krisenmanagern werden und welche Chancen die Krise birgt.
Wie gelingt ein halbwegs strukturierter Alltag trotz Ausnahmezustand?
Linda Syllaba: Ich empfehle auf jeden Fall, den Alltag gut zu strukturieren. Etwa mit geregelten Essens- und Arbeitszeiten. Vielleicht nutzt man das gemeinsame Frühstück als Besprechung, um den Tag zu organisieren. Die Kinder können in die Planung ruhig einbezogen werden. Wobei die Eltern klar in der Führungsposition sind.
Welche Glaubenssätze sollte man jetzt über Bord werfen und welche nicht?
Syllaba: Ich sage immer: glaube nicht alles, was du denkst. In solchen Zeiten, ist es gut, sich auch selber immer wieder zu hinterfragen. In der Krise sollte man außerdem Milde walten lassen. Also runter mit den Erwartungsansprüchen. Es ist nicht die Zeit für perfekte Hausaufgaben oder die perfekt geputzte Wohnung. Die Herausforderungen sind groß genug, da braucht es keinen künstlich erzeugten Druck. Wir können von unseren Kinder einiges lernen: im Hier und Jetzt leben zum Beispiel, die Verbindung zu uns selbst finden. Und kreativ sein im Improvisieren oder im Finden von „Notlösungen“. Das ist die Chance, die in jeder Krise steckt.
Wie geht Ruhe bewahren, wenn man selber von Angst und Sorge geplagt ist?
Syllaba: Das Zauberwort lautet Selbstfürsorge. Sorge jetzt, mehr denn je, gut für dich – das ist das Beste, was du für deine Familie tun kannst! Wichtig ist auch, sich immer wieder vor Augen zu führen, wie bedrohlich die Situation tatsächlich für einen selber und die eigene Familie gerade ist. Sich fragen, was man tun kann: was du ändern kannst, ändere. Was du nicht ändern kannst, akzeptiere.
Welche Werkzeuge zur eigenen Stressregulierung empfehlen Sie?
Syllaba: Spiel’ dich geistig frei und erde dich immer wieder. Den Körper spüren, Bedürfnisse erkennen und alles, was zusätzlich stresst, hinterfragen. Schaff’ Raum nur für dich selbst. Und Apropos Raum: Gerade in engen Wohnungen ist es wichtig, Bereiche klar abzugrenzen und Möglichkeiten für Rückzug zu schaffen. Vielleicht müssen da auch ein paar Möbel verstellt werden. Das Wichtigste ist: Kraft tanken! Zapf’ alle dir zur Verfügung stehenden Ressourcen an, um dich zu stärken. Wenn es zwei Erwachsene in der Familie gibt, wechselt euch ab und unterstützt euch gegenseitig.
Wie kann die Beziehung zur „Tankstelle“ werden?
Syllaba: In der Krise ist es gut, Team- & Beziehungsebene bewusst auseinanderzuhalten. Stichwort geplante Romantik – bewusst kleine Auszeiten von der Rolle als Familienmanager nehmen. Partner sind als Eltern zwar ein Team in der Haushaltsführung und in Organisatorischem. Aber sie sind auch ein Liebespaar, das eine intime, nahe Beziehung pflegen sollte. Getrennte Eltern sind übrigens immer noch als Team gefordert und tun gut daran, ihre früheren Beziehungsprobleme jetzt erst recht von der gemeinsamen Aufgabe zu trennen.
Wie viel Krise (und Wahrheit) ist eigentlich den Kindern zumutbar?
Syllaba: Kinder müssen das Nötigste zur Krise wissen, aber auch nicht mehr. Dafür brauchen sie eine klare Sprache und vor allem Zuverlässigkeit, damit sie wissen woran sie sind. Relativierungen vermeiden und nicht lange um den heißen Brei reden. Vorsicht vor Überinformation. Das gilt vor allem für uns Große. Wir müssen uns nicht den ganzen Tag Nachrichten reinziehen. Lieber gezielter Medienkonsum.
Wie gehen wir mit bestehenden familieninternen Problemen um?
Syllaba: Krankheiten, Trauer, Gewalt oder Depressionen sind klarerweise unabhängig von Corona weiter präsent. Daher gibt es freilich auch in Ausnahmezeiten Kriseninterventionen und die sollten unbedingt in Anspruch genommen werden.
„Lassen Sie in der Krise Milde walten. Runter mit den Ansprüchen!“
Linda Syllaba ist Autorin, Karrierecoach und familylab-Erziehungsberaterin
www.beziehungshaus.at
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