Wenn aus Buben Männer werden
Wachsen Buben heran, entwickeln sie ihre männliche Identität. Beeinflusst werden sie dabei von Männlichkeitsbildern und ihrer Umgebung.
Wer bei Google unter dem Stichwort ‚Männlichkeit‘ nach Bildern sucht, bekommt vor allem eines zu sehen: Viele Muskeln. Männlich zu sein, bedeutet also einen durchtrainierten Körper zu haben? Ganz so simpel ist es (zum Glück) nicht. Ob Muskelprotz, Macho oder Softie: Mit Stereotypen allein lässt sich die Frage, was Männlichkeit ausmacht, nicht beantworten. Und doch spielen sie eine Rolle, wenn es darum geht, dass Kinder und Jugendliche ihre Geschlechteridentität ausbilden. Ihre Vorstellung von Männlichkeit entsteht durch das, was sie um sich herum wahrnehmen – und das sind eben auch Stereotype, schreibt der Jungenforscher Reinhard Winter in seinem Buch ‚Jungen und Pubertät. In Beziehung bleiben, wenn alles anders wird‘. Ideen, was Mannsein bedeuten kann, finden Heranwachsende dabei in ihrer Umgebung, vermittelt durch Spielsachen und Medien, Werbung, Bücher oder beispielsweise auch Witze. In erster Linie aber vor allem bei anderen Männern.
Vater als Vorbild
Der Vater ist dabei, so Winter, der Prototyp des Männlichen. Wie Kinder, und später Jugendliche ihren Vater erleben, ist ausschlaggebend dafür, wie sie ihre eigene Männlichkeit erleben. „Der Junge will so werden wie sein Vater. Er übernimmt in sein Männliches auch Einstellungen, Werte oder Verhaltensweisen seines Vaters; im Guten wie im Schwierigen“, schreibt Winter. Ein liebevoller Vater, der sich zu Hause um seine Kinder kümmert und sich an der Hausarbeit beteiligt, ist seinen Kindern ein gutes Vorbild. „Aber natürlich können sich Kinder auch von der Mutter viel Positives abschauen, sollte der Vater nicht präsent sein“, sagt Philipp Leeb vom Verein Poika. Fehlen Bezugspersonen im näheren Umfeld, orientieren sich Kinder und Jugendliche möglicherweise stärker an medialen Idolen – und die können auch gewaltverherrlichend oder aggressiv daherkommen.
Alle Gefühle sind menschlich
Die Auseinandersetzung mit Männlichkeit geschieht von Geburt an automatisch. Eltern können ihr Kind dabei begleiten und unterstützen. Zum Beispiel indem sie Männlichkeit (oder Weiblichkeit) nicht zu eng definieren und Geschlechterstereotype hinterfragen. Bei Spielzeug kann das bedeuten, neben Autos und Baggern, auch kreatives Material wie Malutensilien, Verkleidungen oder Puppen zur Verfügung zu stellen. Dann können Kinder – ob Buben oder Mädchen – aus einer großen Fülle auswählen. Was Gefühle angeht, schreibt Reinhard Winter, ist es immer noch kulturell verankert, dass Männer sich ‚im Griff haben sollen‘. Buben haben immer schon gehört – und hören immer noch – Sätze wie ‚Wein doch nicht, du bist ja kein Mädchen.‘ „Männlichkeitsbilder fordern Jungen auf, sich als cool, ärgerlich, wütend oder stolz zu zeigen und die anderen, als ‚unpassend‘ gewerteten Gefühle zu unterdrücken. Alle Emotionen aber sind menschlich.“
Bewegungsfreudig
Manche Buben, meist im Kindergartenalter, zeigen Interesse an Kleider oder Röcken oder möchten sich die Fingernägel lackieren. Ob Glitzerrock, mit Puppen spielen oder Gefühle zeigen: Dass Buben heutzutage alles ‚dürfen‘, ist leider häufig nicht der Fall. „Es kommt sehr stark auf das Umfeld an. Im Kindergarten oder in der Familie hören viele, dass gewisse Dinge nur für Mädchen sind, einen Rock anzuziehen zum Beispiel oder mit Puppen zu spielen. Insgesamt ist das Korsett für das, was für Buben gesellschaftlich akzeptabel ist, recht eng“, sagt Philipp Leeb. Und dann gibt es jene Buben, die in ihrem Verhalten ‚typisch‘ sind. Die am liebsten mit Autos spielen und gerne miteinander rangeln. Abgesehen von kulturell verankerten Männlichkeitsbildern und Prägungen darf nicht vergessen werden, dass Buben schon von Geburt an mehr Testosteron produzieren als Mädchen. In der Pubertät nimmt die Produktion von Testosteron noch einmal zu. Das kann dazu führen, dass Buben impulsiver reagieren, sich riskanter verhalten, sich mehr bewegen müssen. Eltern sollten deshalb viel Gelegenheit zur Bewegung geben.
Zu viel Sport?
Wenn Buben in der Pubertät damit beschäftigt sind, ihre eigene Identität, auch jene als Mann auszubilden, nutzen sie möglicherweise typische Männlichkeitsbilder, um sich vor anderen und vor sich als männlich zu markieren, erklärt Reinhard Winter. Sie gehen zum Beispiel ins Fitnessstudio und trainieren intensiv ihren Körper. Eltern, die sich Gedanken darüber machen, ob das Sportpensum ihres Sohnes noch im gesunden Rahmen ist, rät Philipp Leeb, genau hinzuschauen: Macht er es aus einer Verunsicherung heraus? Weil er meint, Männlichkeit zeige sich durch körperliche Wehrhaftigkeit und er würde anderen gern Angst machen? Geht es in Richtung Anabolika sollte man das auf jeden Fall ansprechen und über gesundheitliche Risiken aufklären. „Viele trainieren aber, weil es ihnen gut tut. Sport ist ja nichts Schlechtes“, sagt Leeb. Machen sich Eltern Sorgen können sie sich in einer Männerberatungsstelle informieren. Ganz unabhängig um welches Thema es geht: Eltern sollen immer mit ihren Kindern im Gespräch zu bleiben, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. „Besonders größere Kinder reagieren sehr empfindlich, wenn man zu moralisch wird.“ Sich für das zu interessieren, was das Kind beschäftigt, sei ein erster wichtiger Schritt.
Marginalisiert und laut
Sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund gefährdeter, sich an reaktionären Männlichkeitsbildern zu orientieren? „Das ist immer die große Frage. Meiner Erfahrung nach ist eine wehrhafte, gewaltverherrlichende Männlichkeit dann besonders attraktiv, wenn man selbst marginalisiert wird – und das passiert Jugendlichen mit Migrationshintergrund eher als anderen“, sagt Philipp Leeb. Haben Jugendliche das Gefühl, nicht dazu zu gehören, in einer Gesellschaft nicht erwünscht zu sein, geben sie sich besonders laut und aggressiv. „Ähnliches nehmen wir aber genauso in Eliteschulen wahr.“ Was macht nun ‚echte‘ Männlichkeit aus? „Unter ‚männlich‘ verstehen wir Eigenschaften, die wir einem Mann zuschreiben. Die finden wir aber auch oft bei nicht-männlichen Personen“, sagt Leeb. „Ich würde sagen, ein Mann ist fürsorglich. Er kümmert sich um sich und um andere und bekommt dafür auch viel zurück. Jemand, der gewaltbereit ist, bekommt nicht viel zurück.“
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