Erziehung

„Wir kommen mit einem Keim von Empathie zur Welt“

Jesper Juul ist einer der bedeutendsten Erziehungsexperten Europas. Der Familientherapeut und Bestesellerautor im Interview mit familiii über die Wichtigkeit der Empathie für ein funktionierendes Miteinander.

Kinder werden mit Empathie geboren

„Je besser unser Kontakt zu uns selbst ist, desto tiefer kann unser Verständnis für andere sein. Und das kann man üben“, schreibt Jesper Juul im Buch „Miteinander – Wie Empathie Kinder stark macht.“ Der dänische Lehrer, Individual-, Paar-, Gruppen- und Familientherapeut, Konfliktberater und Buchautor ist davon überzeugt, dass in naher Zukunft alle erkennen werden, dass die Empathie die härteste und wichtigste Währung von allen ist. In seinem Buch heißt es: „Denn das ist eines der Grundgesetze der Empathie: Solange – aber nur genau dann und so lange – du deine Menschlichkeit in dir spürst, hast du einen echten Kontakt zu deinem Gegenüber.“

Herr Juul, können Kinder Empathie und Mitgefühl erlernen, oder sind wir von Geburt an empathisch?
Die gute Nachricht ist, dass wir mit einem Keim von Empathie zur Welt kommen. Um Empathie weiterentwickeln zu können, braucht es Menschen und Eltern, die Kindern mit der Haltung begegnen, sie wahrzunehmen für das, wer sie sind, und nicht das, was sie tun. Ihnen die Möglichkeit bieten, in Kontakt mit sich selbst zu sein. Auch verstehen zu lernen, dass Frustration, Wut und Ärger wichtige Emotionen sind.

Wie bauen sich Kinder ihre Wertewelt auf, und wie können wir als Erwachsene das beeinflussen?
Indem wir als Erwachsene als Beispiel vorangehen, wir Verantwortung für die zwischenmenschlichen Prozesse, unser Tun, unsere Gefühle und auch Konfliktsituationen tragen.

Kann ich verhindern, dass mein Kind nur an sich denkt und sozial unverträglich wird?
Kinder müssen wissen, wer ihre Eltern sind, was sie mögen, was nicht. Sie möchten sich auf die Beziehung zu ihren Eltern verlassen. Aus diesem sicheren Hafen heraus, gewappnet mit einer persönlichen Sprache, persönlichen Grenzen und dem Vorbild einer sozialen Sprache wie auch Anerkennung von sozialen Strukturen und Grenzen, geht mein Kind sicher geschützt auf andere zu und neue soziale Beziehungen ein. Dennoch braucht es in den familienfremden sozialen Strukturen wiederum Menschen, die sich gut kennen, die mithilfe einer Beziehungskultur Begegnung mit dem Selbst und im Kontext eines sozialen Systems möglich machen.

Wie kann ich als Elternteil die Empathie meinesKindes fördern?
Machen Sie Ihr Kind nicht zum Projekt! Nehmen Sie sich qualitätsvolle Zeit, in der auch nichts passieren darf. Sie müssen Ihren Kindern nicht andauernd etwas bieten. Geben Sie Ihren Kindern persönliche Rückmeldungen, anstatt sie zu kritisieren. Helfen Sie ihnen dabei, ihre Emotionen wahrnehmen zu dürfen und diese persönlich auszudrücken.

Macht Empathie Kinder stark, oder ist sie ein Zeichen von Schwäche?
Empathie bedeutet zunächst, mich selbst gut zu verstehen, wahrzunehmen und zu spüren. Wenn es mir als Mensch gelingt, mich in meiner Gefühlswelt zu orientieren, gelingt es mir auch bei anderen. Das macht mich stark und meiner selbst bewusst. Anstatt zu einem Mobbing-Opfer zu werden, kann so ein Kind auf ein anderes in seiner Gefühlsnot eingehen und auch positiv mit Verständnis einwirken.

Können Kinder oder Jugendliche auch im Zeitalter von Social Media und WhatsApp noch aufeinander eingehen?
So ihnen die Möglichkeit einer persönlichen Auseinandersetzung gegeben wird: ja, natürlich. Wenn Kinder allerdings dazu angehalten werden, zu funktionieren, und wenig in Kontakt mit sich selbst sein können, entsteht eine große Distanz zu den eigenen Gefühlen und jenen von anderen. Das begünstigt eine Atmosphäre der gegenseitigen Verletzungen.

Verstehen Kinder und Jugendliche, dass beim Cybermobbing das Ziel wirkliche Menschen mit Gefühlen sind?
Die beste Prävention gegen jegliche Art von Mobbing ist ein gutes Selbstgefühl. Dazu braucht es Kontakt und Beziehung. Eltern, die sich für ihre Kinder interessieren und z. B. auch für die sozialen Netzwerke, in denen sie sich aufhalten. Eltern, die sich nicht einmischen, sondern ihren Kindern vermitteln, dass sie, wenn sie Hilfe benötigen, auch für sie da sind.

Kontakt
Familylab Österreich:
1170 Wien, Exelbergstraße 45/L
Erreichbarkeit: Mo–Fr, 8–12 Uhr und nach Vereinbarung +43-1-480 7806

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