Wirkstoff für „Pille für den Mann“ entdeckt
US-amerikanische Forscher*innen haben in Tierversuchen erfolgreich einen biochemischen Mechanismus getestet, der die Spermien des männlichen Partners vorübergehend unfruchtbar macht. Das ist ein entscheidender Schritt für die Entwicklung der "Pille für den Mann".
Eine neue, in „Nature Communications“ veröffentlichte vorklinische Studie ist wegweisend für die Entwicklung einer „Antibabypille für den Mann“: einer Tablette, die vom Mann vor dem Sexualverkehr eingenommen wird und eine Schwangerschaft der Frau verhindert. US-amerikanische Forscher*innen haben in Tierversuchen erfolgreich einen biochemischen Mechanismus getestet, der die Spermien des männlichen Partners vorübergehend unfruchtbar macht. Einer der Ko-Autoren dieser Studie, der Bayreuther Biochemiker Prof. Dr. Clemens Steegborn, war wesentlich an vorangegangenen Studien beteiligt, die den für diesen Mechanismus entscheidenden Wirkstoff identifiziert haben.
Botenstoff steuert Beweglichkeit der Spermien
Das Forschungsteam von Steegborn an der Universität Bayreuth befasst sich schon seit vielen Jahren aus biochemischer Perspektive mit der löslichen Adenylylcyclase (sAC). Dieses Enzym produziert bei vielen physiologischen Vorgängen cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat), einen für die Signalübertragung in Säugetieren unentbehrlichen Botenstoff. Auch für die Signalübertragung im Zusammenhang mit Fortpflanzungsprozessen wird cAMP benötigt. Infolgedessen ist die Aktivierung der sAC, die diesen Botenstoff synthetisiert, eine entscheidende Voraussetzung für die Beweglichkeit und Reifung der Spermien und somit auch für deren Fähigkeit, bis zur Membran der weiblichen Eizelle vorzudringen. Daher hängt die Fruchtbarkeit der Spermien wesentlich davon ab, dass das Enzym sAC aktiv ist.
Im November 2022 veröffentlichten Steegborn und Forscher*innen in den USA, die jetzt federführend an der vorklinischen Studie mitgewirkt haben, eine gemeinsame Untersuchung zu sAC-Inhibitoren. Dies sind Wirkstoffe, welche die Aktivität der sAC signifikant verringern oder vollständig hemmen. Mit dem Ziel, die biochemischen Voraussetzungen eines nicht-hormonellen Verhütungsmittels für Männer auszuloten, wurden bekannte sAC-Inhibitoren daraufhin analysiert, wie gut sie imstande sind, die Fruchtbarkeit von Spermien bei Bedarf zuverlässig zu unterdrücken. Tatsächlich gelang es in enger transatlantischer Zusammenarbeit, einen sAC-Inhibitor zu identifizieren, der hierfür besonders vorteilhafte Eigenschaften mitbringt: den Inhibitor TDI-11861. Wie sich herausstellte, eignet sich dieser Wirkstoff für die Entwicklung eines nicht-hormonellen Verhütungsmittels sogar noch besser als der Inhibitor TDI-10229. Diesen sAC-Inhibitor hatten Steegborn und das US-amerikanische Forschungsteam in einer früheren Arbeit, die im Juli 2021 erschienen war, als möglichen Wirkstoff eines solchen Verhütungsmittels vorgeschlagen.
Erfolgreiche vorklinische Versuchsreihen
Die in den letzten Jahren publizierten Untersuchungen bilden nun die Grundlage für die neue vorklinische Studie: An der medizinischen Fakultät der Cornell University (Weill Cornell Medicine) wurde die Wirkungsweise von sAC-Inhibitoren an männlichen Mäusen getestet. Die Versuchsreihen bestätigen die starke empfängnisverhütende Wirksamkeit. Dabei kann TDI-11861 die Fruchtbarkeit der Spermien noch effektiver unterdrücken als TDI-10229. Nach einer einzigen Injektion von TDI-11861 liegt die empfängnisverhütende Wirkung während der folgenden zweieinhalb Stunden bei 100 Prozent. Drei Stunden nach der Injektion beginnen einige Spermien wieder beweglich zu werden. Gleichwohl liegt die empfängnisverhütende Wirkung in den dreieinhalb Stunden nach der Injektion immerhin noch bei 91 Prozent. 24 Stunden nach der Injektion ist die normale Fruchtbarkeit der Spermien wiederhergestellt. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die männlichen Mäuse zeigten während der sechs Wochen, in denen ihnen sAC-Inhibitoren verabreicht wurden, keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Weitere Entwicklungsschritte und ein neues Start-up in den USA
Die Forscher*innen in New York City werden ihre vorklinischen Experimente zunächst in einem zweiten Tiermodell weiterführen. Zugleich wollen sie TDI-11861 unter einigen Detailaspekten noch weiter verbessern und optimierte Derivate dieses Wirkstoffs herstellen. Sollten auch die weiteren Versuche erfolgreich verlaufen und die bis dahin erreichten Erkenntnisse bestätigen, wären die Voraussetzungen für erste klinische Versuche gegeben, in denen die Wirkung der sAC-Inhibitoren auf die Beweglichkeit von Spermien gesunder Männer getestet wird. Um die Entwicklung eines Verhütungsmittels gezielt voranzutreiben, haben Steegborn und fünf US-amerikanische Forscher im August 2022 das Start-up-Unternehmen „Sacyl Pharmaceuticals“ mit Sitz in der Region New York City gegründet.
Forschungsbeiträge aus Bayreuth für ein dringend benötigtes Kontrazeptivum
„Als wirkungsvolle Verhütungsmethoden stehen Männern bis heute nur Kondome oder ein sterilisierender chirurgischer Eingriff, die Vasektomie, zur Verfügung. Hormonfreie Kontrazeptiva werden daher dringend benötigt und nachgefragt. Unsere neue vorklinische Studie stellt eine entscheidende Wegmarke für die Entwicklung eines hormonfreien Verhütungsmittels dar, das zudem den Vorteil hat, dass es kurzfristig bei Bedarf in Tablettenform eingenommen werden kann. Es steht jetzt fest, dass die sAC-Inhibition bei dieser Form der Schwangerschaftsverhütung eine Schlüsselfunktion hat. Zur Aufklärung der biochemischen Grundlagen konnten wir von Bayreuth aus in den letzten Jahren wichtige Beiträge leisten“, sagt Prof. Dr. Clemens Steegborn und fügt hinzu: „Ausgangspunkt unserer Forschungsarbeiten an der Universität Bayreuth war die Frage, wie sich die Synthese des Botenstoffs cAMP – der für die Signalübertragung in allen Säugetieren zentral ist – durch eine Regulierung der löslichen Adenylylcyclase sAC beeinflussen lässt und welche pharmazeutischen Möglichkeiten sich daraus ergeben könnten. Diese Zusammenhänge werden wir in Zukunft weiterhin untersuchen. Dabei denken wir auch an mögliche Chancen für die Prävention und Behandlung von Erkrankungen, beispielsweise durch eine gezielte Beeinflussung des Augendrucks oder der Insulinfreisetzung.“
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