Erziehung

Young Carers – Kinder, die pflegen

In Österreich pflegen 43.000 minderjährige Kinder in der Familie ihre Eltern oder Geschwister. So kann man sie am besten unterstützen.

„Währenddessen funktioniert man einfach, erst später reflektiert man“, erinnert sich Natalie an die Zeit, als sie vor rund 20 Jahren mit 17 ihren kranken Vater pflegen musste. Bei diesem waren nach einem zuvor entfernten Tumor plötzlich Metastasen festgestellt worden, und es war schnell klar, dass er nicht mehr lange leben würde. Die Mutter hatte eine Scheu vor medizinischen Themen, und so wechselte Natalie in die Abendschule und übernahm die Pflege und Betreuung ihres Vaters. Hilfe bekam sie zweimal in der Woche von einer Mitarbeiterin der Caritas Socialis, die ihr viel zeigte. Im Nachhinein kann Natalie sagen, dass sie es falsch findet, wenn Kinder so viel Verantwortung übernehmen und sich Grenzen verschieben: „Es ist für niemandem der Beteiligten gut, wenn Kinder die Intimpflege ihrer Eltern übernehmen oder das Morphium richtig dosieren müssen.“ Sie ist heute – das ist nicht ganz untypisch für Kinder, die in dieser Situation waren –, nachdem sie ihre Diplomarbeit zum Thema schrieb, in einem Krankenhaus tätig und hat keine Angst, bei medizinischen Themen anzupacken. Sie wird aber immer noch hellhörig bei Familien, wenn sie den Eindruck gewinnt, dass Kinder in der Pflege helfen müssen.

Anneliese Gottwald ist Pflegedienstleiterin der Johanniter-Unfall-Hilfe und Initiatorin von Superhands, einer Plattform, die jungen Pflegenden mit Beratung und Informationen zur Seite steht. Sie weiß aus der Praxis: „Young Carers sind mehrheitlich Mädchen und durchschnittlich zwölf Jahre alt. Sie helfen, weil sie ihre Angehörigen nie im Stich lassen würden, immer schon geholfen haben und einfach Familie sein wollen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen verstehen sich selbst nicht als Pflegende und sprechen selten über ihre familiäre Situation.“ Martin Nagl-Cupal , der am Institut für Pflegewissenschaften zum Thema forscht, spricht von einer großen Breite an Fällen, in denen Kinder in diese Situationen kommen, und rät, diese nicht zu schwarz zu sehen: Betroffen sind Familien aller sozialen Schichten, und oft kommt es zu keinen schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Kinder.

Alleinerziehende besonders betroffen

Schwierig ist für die Kinder, dass sie mitunter weniger Zeit haben, einfach Kind zu sein, und einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind: „Junge Pflegende haben oft wenig Zeit für außerfamiliäre Beziehungen, Freundschaften und Hobbys. Manche werden aufgrund ihrer familiären Situation ausgeschlossen oder gar gemobbt“, erzählt Anneliese Gottwald. Die ständige Sorge kann auch zu gesundheitlichen und psychischen Problemen bei den Kindern führen. Wie Martin Nagl-Cupal beschreibt sie Familien, die den Anspruch an sich selbst haben, Probleme ohne fremde Hilfe zu lösen – und zum anderen grenzt man hier an ein Tabu: „Sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Pflegebedürftigen sprechen nicht gerne über ihre Situation.“ Besonders betroffenen sind Kinder von Alleinerziehenden: „In Familien mit zwei Erwachsenen Bezugspersonen werden Aufgabenzuteilung und Verantwortung entsprechend aufgeteilt. Bei Alleinerziehenden übernimmt das Kind den Part des gesunden Elternteils“, so Anneliese Gottwald. Martin Nagl-Cupal spricht davon, dass 14 Prozent der pflegenden Zehn- bis 14-Jährigen mehr als fünf Stunden am Tag – also 25 Stunden in der Woche – helfen. Studien in England gehen davon aus, dass Kinder, die viel helfen, seltener studieren, häufiger die Ausbildung abbrechen und nahe dem Wohnort der Eltern wohnen und arbeiten. Anneliese Gottwald hält es für wichtig, dass Lehrer und Sozialarbeiter sich der Themen Pflege und Pflege in der Familie aufgreifen und zur Weitergabe von Informationen über Hilfsangebote beitragen. Es gibt in Österreich neben den Superhands noch andere Organisationen in den allen Bundesländern, die Kinder und Jugendliche bei ihrer Aufgabe unterstützen, diese beraten und praktische Tipps geben. Wichtig ist, dass die Betroffen auch davon erfahren, und dazu müssen auch Ärzte und Krankenhäuser beitragen: „Superhands hat sich genau das zum Ziel gesetzt: die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und den Betroffenen Hilfe auch via E-Mail oder Telefon anzubieten“, so Gottwald.

Anlaufstellen und Hilfsangebote

In Österreich gibt es einige Stellen, an die sich Young Carer richten können. Gibt es regional wenig spezifisches Angebote, wird empfohlen, sich an allgemeine Einrichtungen wie Rat auf Draht (147 )oder die Ö3 Kummernummer zu wenden (116 123). Dazu zählen aber auch Kriseninterventionsstellen.

Superhands (Johanniter): Hilfe und Rat für pflegende Kinder und Jugendliche. Außerdem Informationen zu verschiedenen Krankheiten, Tipps für die Pflege und Betreuung.

Jugendgruppe Young Carers Club (Rotes Kreuz): Im Young Carers Club treffen sich Jugendliche zwischen zehn und 17 mit ähnlichen Situationen zu einem netten Zusammensein, um gemeinsam Spaß zu haben und dem Alltag ein wenig zu entfliehen.

Juniorcamp (Rotes Kreuz): Sommercamp für Kinder von Eltern mit einer schweren Erkrankung.

HPE: Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter.

Starke Tochter/starker Sohn: Coaching-Gruppe für Kinder/Jugendliche von Angehörigen mit Multipler Sklerose.

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