Zuckerbrot und Peitsche
Welchen Sinn haben Strafen? Was verursachen die beliebten Hausarreste oder Fernsehverbote bei den Kids? Und wie lobt man „richtig“? Von Lern- und Angsteffekten – und warum es das Kraut nicht fett macht, wenn wir statt „Strafen“ neuerdings „Konsequenzen“ austeilen.
„Tu, was ich dir sage, oder…!“ Sätze wie diese haben die meisten von uns aus der eigenen Kindheit in Erinnerung. Und obwohl sie verletzend waren und unsere Eltern ihre körperliche Überlegenheit und unsere Angst davor ausgenutzt haben, um ihren Willen gegen uns durchzusetzen, ertappen wir uns bei unseren eigenen Kindern gelegentlich selbst dabei, die einst abgelehnten Erziehungspraktiken einzusetzen. Mal Zuckerbrot, mal Peitsche: Für erwünschtes, konformes Verhalten gibt’s Belohnungen. Bestraft wird für Fehlverhalten, Missgeschicke & Co.
Was Macht alles macht
Erziehung nach besagtem Muster bedeutet nichts Anderes, als dass Eltern ihre Macht einsetzen, um ein Kind dazu zu bewegen, etwas zu tun, das ihren Wünschen entspricht bzw. um zu verhindern, dass das Kind Unerwünschtes tut. In den Augen vieler entspricht genau das der Vorstellung dessen, was landläufig eben unter einer guten Erziehung zu verstehen ist. Kinder sollen tunlichst nach dem Willen der Eltern geformt werden. Die von den Eltern ausgespielte Macht wird dabei umso stärker, je mehr das Kind von Belohnungen abhängig ist, also darauf hin trainiert ist, Dinge zu tun, weil es danach diese oder jene Zuwendung gibt. Oder eben im Falle der Strafe: je mehr das Kind diese fürchtet. Viele Eltern sind ratlos, weil die ewigen Standpauken nichts bringen. Weil die Kinder oft unbelehrbar erscheinen, und zwar auch dann, wenn es eine Zeit lang kein Fernsehen, keine Nachspeise oder keine Spielkonsolen gibt. Dabei möchten die meisten Eltern nichts Anderes, als dass ihr Nachwuchs zu mündigen, selbstständigen und autonomen Persönlichkeiten heranwächst. Doch kann das wirklich gelingen, wenn sich Erziehung hauptsächlich auf elterliche Macht stützt, die auf Gehorsam und Drill ausgerichtet ist?
Nicht von oben herab
Statt einer derart autoritären Haltung empfehlen Erziehungsexperten ein konsequentes, beziehungs- und bedürfnisorientiertes Führen unter dem Verzicht von Machtmissbrauch. Gemeint ist damit keinesfalls, dass daheim gleich alles im Chaos eines Laissez-Faire-Stil ausarten soll, bei dem letztendlich auch noch das Kind die Macht übernimmt. Es geht vielmehr um einen Erziehungsstil, der weitgehend auf Strafen und Belohnungen verzichtet und stattdessen auf gegenseitigen Respekt setzt. Zum Beispiel mit Kommunikation auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Will man Kindern also etwas beibringen oder sie von einem bestimmten Verhalten abhalten, müssen Erziehungsberechtigte sie zunächst einmal emotional erreichen. Ich muss also wissen, wie es meinem Kind gerade geht. Aktives zuhören und Interesse für die Anliegen der Kinder seien dabei essentiell. Kinder, die ständig Kritik, Bewertungen, Moralpredigten, Beschimpfungen und Belehrungen ernten, werden auf Dauer erwiesenermaßen zum Schweigen gebracht und sind für die Eltern somit immer schwerer zu erreichen. Entwickeln Eltern hingegen ein echtes Interesse für die Gefühle des Kindes, indem sie deren Bedürfnisse hören, dürfen sie auch damit rechnen, dass die Kinder auch auf sie hören. Wenn ein Kind gerade traurig, wütend oder enttäuscht ist, ist es wenig aufnahmefähig für Belehrungen, Kritik oder Bitten, etwas zu verändern. Dann ist erst einmal – je nach Situation – Trost, Verständnis oder beruhigendes Zusprechen angebracht. Statt im ersten Impuls Strafen anzudrohen oder Belohnungen in Aussicht zu stellen, sollten Eltern etwas über die Beweggründe des Kindes für bestimmte Verhaltensweisen in Erfahrung bringen. Sei es von den Spösslingen gezielt erwünscht, bestimmte Tätigkeiten zu unterlassen oder dies oder jenes zu tun, dann sollten Eltern auch ehrlich erklären, warum sie dies oder jenes für richtig oder nicht angebracht halten. Und sei es, dass sie damit schlichtwegs ihre eigene Angst oder Sorge klar gegenüber den Kindern kommunizieren.
Strafe muss sein? Von Angst- statt Lerneffekten
Timo hat mehrmals die Schule geschwänzt. Zur Strafe hat er am Wochenende Hausarrest und darf nicht mit zum Familienausflug. Während sich die anderen im Wald vergnügen, sitzt Timo in seinem Kinderzimmer und ärgert sich. Laut Eltern solle er über seinen Fauxpas nachdenken. Das einzige was der Bub jedoch tatsächlich im Kopf hat: wie er es seinen Eltern heimzahlen kann. Seine Wut richtet sich nun auch gegen seinen Bruder, der mit den Eltern mit darf. Die Strafe dient also in keinster Weise dazu, Timo sein Fehlverhalten aufzuzeigen. Statt dem berühmten Lerneffekt
stellt sich eine Art Angsteffekt ein. „Strafen in der Kindererziehung rufen Aggressionen und Wider- stand hervor. Kinder werden versuchen die Strafe zu vermeiden und nicht das Fehlverhalten“, sagt der renommierte Familientherapeut Jesper Juul. Um bei Timo zu bleiben: Es wird wahrscheinlich zu weiteren Aufsässigkeiten kommen, aber er wird dafür sorgen, dass seine Eltern möglichst nichts davon erfahren. Genauso wenig zielführend wie die Strafe sei laut Juul übrigens auch das vermeintlich harmlosere Belohnen. „Belohnungen schauen ein bisschen besser aus, aber sie sind wie das Strafen an Bedingungen geknüpft“, sagt der viel zitierte Elternberater. Sowohl Belohnung als auch Strafe seien nämlich häufig an sogenannte „wenn… dann…“-Aussagen gekoppelt. Dahinter stecke oft nichts anderes als Manipulation. Im Klartext heißt das: Ich will, dass mein Kind was macht, was ich will und weil ich weiß, dass mein Kind es nicht gerne macht, erpresse ich es eben. Dabei wäre es laut Juul so wichtig, bei Kindern ein Verständnis dafür zu schaffen, dass jede Handlung, die sie setzen, und auch jedes Wort, das sie sprechen, Folgen hat. Positive wie negative.
Logische Konsequenzen statt Strafen
Missgeschicke können dazu führen, dass etwas kaputt geht. Ein Regelverstoß löst möglicherweise einen Vertrauensbruch aus. Die eigene Wut kann andere verletzen. Erst dieses Spüren von natürlichen Folgen eröffne laut Juul den Raum für Einsicht. Wenn schon Konsequenzen, dann solche, die logisch sind und nicht als Strafe verpackt daherkommen. Nur das Wording zu ändern, gilt allerdings nicht. Wer statt „Strafe“ das Wort „Konsequenz“ verwendet, weil es weniger hart und noch dazu besonders gescheit klingt, meint aber meist dasselbe. Experten schlagen also vor, Kinder nach ihrem Fehlverhalten ohne dem Beigeschmack von Angst oder Schuldzuweisungen mit den tatsächlichen Konsequenzen oder Schlussfolgerungen zu konfrontieren. Zum Beispiel wie die Kinder einen Schaden durch ein Missgeschick wieder gutmachen möchten. Oder indem ein ehrliches Gespräch ohne Moralpredigten geführt wird, das mögliche Beweggründe für aggressives Verhalten oder sonstige Verstöße zutage fördert. Warum viele Eltern trotzdem lieber an der Zuckerbrot und Peitsche-Methode festhalten? Laut Experten deshalb, weil sie kurzfristig ziemlich erfolgreich sein kann. „Erziehung, die sich um Einsicht bemüht, braucht mehr Zeit, um ans Ziel zu kommen, als Erziehung, die auf starre Regeleinhaltung setzt und andernfalls Sanktionen androht“, weiß Juul. Langfristig gesehen würden Zuckerbrot und Peitsche dem Kind jedenfalls schaden. „Wer letztendlich lernt, Dinge nur unter bestimmten Bedingungen zu tun, dass man dafür etwas bekommt oder nicht bekommt, wird sich später im Leben schwer damit tun, selbstverantwortlich zu handeln bzw. Konsequenzen für das eigene Tun einschätzen zu können“. Nicht umsonst wirken Kinder, in deren Erziehung Manipulation und Abschreckung zum Tragen kommen, nach außen oft als besonders gut erzogen. Auf lange Sicht gesehen, geht es aber nicht darum, dass Kinder dressiert sind, sondern aus eigener Überzeugung handeln. Speziell auch dann, wenn die Eltern nicht dabei sind.
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