Zwei „Fremdlinge“ im Bauch
Kriege ich drei Kinder gebacken ohne mich selbst aufzugeben? Autorin Anna Katharina Laggner über Missverständnisse, unbewusste Übergriffe und Zweifel am Beginn ihrer Zwillingsschwangerschaft.
Interview mit Thomas Weber
Wann dachten Sie zum ersten Mal daran, die Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit Ihrer Schwangerschaft in Buchform zu bringen?
Die Grundlage meines Buchs ist ganz privat. Meine Protokolle waren nicht zur Veröffentlichung gedacht. Ich war massiv überfordert mit der Aussicht, mit Zwillingen schwanger zu sein. Ich war überhaupt irritiert, schwanger zu sein und besonders irritiert, mit Zwillingen schwanger zu sein. Wir haben als Paar anfangs intensiv über einen Abbruch nachgedacht. Obwohl ich immer überzeugt war, Kinder haben zu wollen, auch mehrere Kinder! Gleichzeitig bin ich aber wahnsinnig freiheitsliebend, bin gerne gereist. Ich hatte ja bereits ein Kind und wollte auf keinen Fall in diese Mutter- und Versorgerinnenfalle kippen. Es gab tausende Gedanken und ich hab minutiös notiert, was mir durch den Kopf ging. Und irgendwann dachte ich mir, dass das als Rohmaterial relevant ist und geeignet, auch in eine literarische Form gebracht zu werden.
Sie behaupten einmal: „Was ich hier schreibe sind banale Protokolle“. Das ist natürlich kokett. Vie- les ist tiefsinnig, witzig, manches verstörend. Wieviel von Ihren ursprünglichen Notizen haben Sie gekürzt?
Bei Tagebuchaufzeichnungen gibt es unweigerlich Doppelungen. Es gab auch sehr viel politisches Zeitgeschehen – das hab ich alles gestrichen. Und es gab natürlich auch zu intimes, vor allem wenn es um meine Beziehungen zu anderen ging. Bei den mir nahestehenden Personen, Freund:innen, bei der Familie, da hab ich maximal gekürzt. Die große Frage war: Wo verlaufen die Grenzen zwischen privat, persönlich, intim? Alles, was zu intim wird, wird schnell voyeuristisch, das musste raus! Obwohl ich nicht davor zurückgeschreckt bin, sehr privat zu sein. Wenn du über deinen Körper schreibst, ist das auch unumgänglich. Ich hab da die Hosen echt runtergelassen.
Ich nehme an, Sie waren vor der Veröffentlichung aufgeregt, so viel Intimes preiszugeben?
Ich bin durch einen langen Prozess gegangen. Vom Entstehen des Rohmaterials bis zum Erscheinen des Buchs vergingen fünf, sechs Jahre. Ich habe auch viel herumprobiert, wie ich da literarisch etwas mehr Distanz hinbekomme. Ich habe meine Notizen streckenweise wirklich wie Rohmaterial benutzt. Und dieses Rohmaterial stammt von der Person, die ich vor fünf, sechs Jahren war. Nicht ,dass ich jetzt eine völlig andere Person wäre, aber es gibt eine gewisse Distanz.
Sie zitieren eine Bekannte, die meinte, sie dürften ihren Kindern „nie, nie, nie erzählen“, dass Sie zu Beginn der Schwangerschaft über eine Abtreibung nachgedacht haben. Irgendwann werden Ihre Kinder Ihr Buch in die Hand bekommen. Wann, denken Sie, wird das richtige Alter sein, sie damit zu konfrontieren?
Dass ich ein Buch geschrieben habe, wissen meine drei Kinder. Mein Sohn ist jetzt 13 und mit ihm habe ich natürlich drüber gesprochen, inwiefern er darin vorkommt, über seine Figur. Meine Töchter sind jetzt fünf.
Wann sie das Buch einmal lesen wollen, bestimmen sie selbst. Für mich ist aber Folgendes ganz wesentlich: Der Empfehlung, das nie, nie, nie zu erzählen liegt die völlige Fehlannahme zugrunde, dass Zweifeln et- was sein könnte, was Elternschaft schlechter macht. Ganz im Gegenteil! In den latenten Abbruchsdebatten wird ja völlig außer Acht gelassen, wieviele Paare, wieviele Frauen sich bewusst gegen einen Abbruch entscheiden. Sich ganz bewusst für Kinder entscheiden. Mein Buch zeigt, was ich alles abgewogen habe, meine Unsicherheit: Schaffe ich es, Mutter von drei Kindern zu sein? Ich denke, es ist viel besser, den Kindern bewusst zu vermitteln „Ihr seid hier, weil wir das wirklich wollten!“, als „Ich hab’ das Zweifeln nie zugelassen.“.
Wieviel literarische Fiktion steckt in Ihrem Buch? Es fällt schwer, die Ich-Erzählerin im Buch und Sie als Autorin nicht völlig deckungleich zu lesen …
Das glaube ich. Dass man mir das alles umhängt, ist schön! Sagen wir so: Ich hab’ an vielen Schrauben gedreht, vor allem bei den krasseren Szenen. Das Fiktionalste ist aber tatsächlich diese Ich-Figur. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wen ich meine, wenn ich „ich“ schreibe. Ich, die ich hier sitze, bin keine klar strukturierte Figur. Von meiner Persönlichkeit her bin ich viele. Ich hab’ ein großes Orchester, das ich innerlich dirigieren muss, darf und manchmal nicht kann. Das wäre keine gute literarische Figur. Eine Figur zwischen zwei Buchdeckeln ist klar, hat bestimmte Eigenschaften, hat Anfang und Ende. Es ist ja niemand von uns „fertig“. Es ist nicht so klar, wer wir sind. Die Ich-Figur in „Fremdlinge“ ist relativ klar.
Ungefragt erteilte Ratschläge mit Absolutheitsanspruch, plötzliches Bauchbetatschen, distanzlose Fragen über Intimstes – was Sie schildern, wird Müttern oder Schwangeren bekannt vorkommen. Meistens wird das halt hingenommen. Wie geht es Ihnen mit den Reaktionen Ihrer Bekannten, die nun in Buchform nachlesen können, dass Sie ihr Verhalten als übergriffig empfanden?
Ich habe versucht, diese Ereignisse so darzustellen, dass sie so vielgestalt sind und derart unhinterfragt passieren, dass ich der einzelnen Person gar keinen Vorwurf machen würde. Ich denke, man kann das raus- lesen. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus, aber die Art wie wir als Gesellschaft mit Schwangerschaft umgehen, beruht auf dem totalen Missverständnis, dass die Schwan- gere ein Gefäß ist, in dem etwas wächst. Als wäre sie ein Blumentopf, in dem ein, zwei, drei Blümchen wachsen. Aber die Schwangere ist eins, sie teilt sich erst mit der Geburt. Das ist natürlich ein totales Mysterium. Auch wenn ich schreibe, dass Wunder als Wort unangebracht ist, wenn es um Schwangerschaft geht: Mysteriös bleibt das alles doch. Was die Übergriffe angeht, habe ich jeden einzelnen verziehen. Ich habe mir aber oft gedacht: Oida, was ist denn jetzt los!?
Denken Sie, dass sich Fremdlinge auch – verzei- hen Sie das Wort – als Ratgeber lesen lässt?
Also Ratgeberliteratur ist natürlich der Endgegner! Schwangerschaftsratgeber konnte ich kaum lesen, weil fast immer dieses beschriebene Missverständnis durchkommt. Die Vielzahl an Schwangerschaftsratgebern ist auch Ausdruck dessen, dass uns das Generationen übergreifende Reden verloren gegangen ist. Ich möchte das gar nicht bewerten. Aber das ist natürlich alles Wissen, das auch persönlich weitergegeben werden könnte. Ratgeberliteratur ist so gesehen der Versuch, es an ein möglichst breites Publikum weiterzugeben. Mein Verlag bezeichnet mein Buch als „radikal feministisch“. Das war ja nicht mein Anspruch. Ich hab’ mich nie hingesetzt und gesagt „Jetzt schreibe ich ein radikal feministisches Buch!“. Mein Leitmotiv war es, radikal subjektiv zu sein. Insofern kann man es auch nicht als Ratgeber lesen. Aber gezwungenermaßen werden sich andere darin finden und etwas finden, das sie im besten Fall zu eigenen Gedanken inspiriert.
Ich würde Ihr Buch nicht als radikal feministisch bezeichnen. Eher als konsequent emanzipatorisch.
Also ich denke, das trifft es wahrscheinlich ganz gut.
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