Page 44 - 2006_Elternheft
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„Es muss nicht
alles perfekt sein!“
Birgit Greimel, 36, HR-Manager,
Mama von zwei Buben, 5 und 7 „Die unkonventionelle Pippi ist ein
„Jeder verdient Wert-
Ich fand ja schon Pippis Namen total cool! Gott sei zeitloses Rolemodel der Emanzipation
derts großteils der Fall war. Und nicht nur das. Dank hab ich kein Mädchen bekommen :-) Was für schätzung – unabhängig
Auch unsere Arbeitswelten haben sich verändert. mich an Pippi so faszinierend und gleichsam inspirie- von Leistung!“ – für Mädchen wie für Buben!“
Männer managen immer öfter Kinder, Haushalt & rend ist: sie jammert nie. Im Gegenteil: wenn etwas für
Co und auch Frauen haben Geld, Status und Macht sie nicht in Ordnung ist, dann packt sie es an und zö- Melanie Antonius, 47, Die Historikerin und Autorin Barbara Tóth spricht
erlangt. Doch gerade die Corona-Krise hat gezeigt, gert nicht lange herum. Das hab ich schon als Kind an Selbständige Beraterin, Mama von über das Fürsorge-Dilemma von Frauen und über
dass es einmal mehr die Frauen sind, die sich um ihr geliebt und ein bisschen hat mich das auch für drei Buben, 9, 11 und 13, Haushalts- Pippi als Vorbild für Kinder – besonders in Krisenzeiten.
managerin, Hilfslehrerin, Putzfrau,
Hausaufgaben, Putzen und Kochen kümmern mein Leben fasziniert. Net lange herumjammern – son- Köchin, Coach und vieles mehr :-)
und somit ihren Vollzeit arbeitenden Männern den dern versuchen, die Dinge zu ändern, es zumindest
Rücken frei halten. So war und ist derzeit viel die probieren. Auch auf unkonventionelle Art und Weise. Als ich in den 1980er Jahren die Pip- Was macht Pippi auch in der heutigen Zeit zum Symbol für
Rede von einem Backlash – also einem Zurück zu Außerdem ist Pippi überhaupt nicht perfekt, sie hat pi-Filme gesehen habe, war das Unkon- Emanzipation?
alten Rollenverteilungen. Zu einem Arbeitsalltag, in nicht die besten Noten, sie hat nicht die besten Manie- ventionelle für das Umfeld, in dem ich Tóth: Mit ihrer unangepassten, unkonventionellen Art ist sie eine super Kinder-
ren, aber sie steht zu sich selbst – und macht sich ihre
dem vor allem Frauen schnell einmal von Haus- Welt wie sie IHR gefällt. Ich finde die Vorstellung aufgewachsen bin, nicht mehr so revolu- figur. Die Welt infrage stellen, nach den eigenen Regeln leben und den eigenen
halt, Kindern & Co eingenommen werden. Gerade schön, dass nicht alles perfekt sein muss, um ein tionär. Nichtsdestotrotz war Pippi etwas Weg gehen – diese Eigenschaften machen Pippi zum zeitlosen Rolemodel der
aber weil die Krise verstärkt sichtbar gemacht, glückliches Leben zu haben. Das sieht man in unserem Besonderes für mich, weil sie unglaub- Emanzipation – für Burschen wie für Mädchen.
wer sich in unserer Gesellschaft hauptsächlich um Chaos im Haus – nix ist perfekt, aber ich fühl’ mich lich stark und gerecht war und immer
diejenigen kümmert, die auf uns angewiesen sind, total wohl darin. Was ich an Pippi übrigens immer blöd ihre Meinung gesagt hat. Gleichzeitig war Die großteils von Frauen getätigten Care-Aufgaben sind für viele
glauben Historiker und Trendforscher an die Chan- fand ist, dass sie oft flunkert – und jeder hat es ihr auch klar für mich: ich kann das auch. erst in der Krise so richtig sichtbar geworden. Wie kommen Frauen
ce eines Neudenkens. Es sei demnach nicht nur verziehen. Das fand ich schon als Kind total unfair. Nämlich nicht Pferde stemmen, aber aus diesem Fürsorge-Dilemma raus?
höchste Zeit, dass Tätigkeiten wie Haushaltführen, mein Leben so gestalten, wie ich es Tóth: Tasächlich haben sich laut Studien viele Frauen während der Corona-Qua-
Putzen, Krankenpflege oder Kinderfürsorge, die möchte. Gerade als Buben-Mama ist es rantäne in die 1950er Jahre zurückgeworfen gefühlt, weil sie es vorwiegend waren,
mir wichtig durch meine Erziehung zu
unsere Gesellschaft immerhin zusammenhalten, „Es gibt nicht nur vermitteln, dass jeder Mensch – ob Mäd- die Hausaufgaben betreut, geputzt und gekocht haben. Wir wissen mittlerweile
mehr Wertschätzung erfahren. Laut Experten chen oder Bursche – individuell ist und aber auch, dass mehr Männer Fürsorge-Tätigkeiten übernommen haben und zwar
könnte es jetzt auch ein guter Moment sein, um von männliche Helden!“ das werden soll, was er will. Im Übrigen weit mehr als in Zeiten vor Corona. Und darin liegt eine große Chance: Viele Män-
der bekannten Geschlechterdebatte überzugehen Birgit Sigl-Worel, 37, Finanzwirtin, glaube ich, dass alle Kinder ein bisschen ner haben seither wieder mehr Respekt vor diesen Tätigkeiten bekommen und
in eine generelle „Familiendebatte“. Gefragt seien Mama einer Tochter, 4 so wie Pippi auf die Welt kommen. Kinder das könnte Paare dazu veranlassen, alltägliche Routinen infrage zu stellen und
dabei Ideen, wie Familie und Beruf in einer Leis- wissen, wer sie sind und was sie wollen. Aufgaben neu auszuhandeln.
tungsgesellschaft nebeneinander bewältigt werden Pippi hat mich schon immer fasziniert, weil sie sich Es liegt an uns Großen, ihnen dabei zu
können ohne den viel zitierten Spagat der Paare als nicht um vermeintliche Autoritäten schert, sich immer helfen, diese Fähigkeit zu bewahren und Wie haben Sie diese Situation persönlich wahr
zermürbenden Kraftakt. Wie also faire Rollenver- authentisch verhält und so sich selbst treu bleibt. Ihre sie nicht zu verformen. Die Corona-Krise genommen?
teilungen und familientauglichere Arbeitswelten Superkräfte setzt sie keinesfalls manipulativ ein, son- Fotos: Oetinger Verlag/Katrin Engelking, privat hat auch sichtbar gemacht, welchen Wert Tóth: Ich habe gemerkt, wie abhängig ich von Hilfe von
in Zukunft aussehen können. Und auch wie Fami- dern stets verantwortungsvoll. Allein die Tatsache, Leistung in unserer Gesellschaft hat. außen bin: also Schule, Kindermädchen oder Haushalts-
Umso wichtiger ist es für mich, allen
lienarbeit vom Klischee der Verbannung der Frau dass Pippi ein erst neunjähriges Mädchen mit solchen Menschen Wertschätzung entgegenzu- hilfe. Denn das eigentliche Fürsorge-Dilemma ist, dass
an den Herd und dem Fluch des vermeintlichen Superkräften ist, ist für mich eine starke Message: bringen – egal ob jemand Manager oder es sich der Mittelstand in normalen Zeiten leistet, dass
Karriererückschritts gelöst werden kann, in dem nämlich dass es nicht immer nur die typischen männ- Krankenschwester ist. Vor meinen Kin- im Grunde wiederum Frauen – aber eben aus weniger pri-
lichen Helden sind, die die Welt prägen, sondern dass
Bedürfnisse von Müttern, Vätern und Kindern glei- Mädchen genauso stark und mutig sein können und dern habe ich als Architektin gearbeitet vilegierten Schichten – für sie arbeiten. Da gibt es noch
chermaßen Berücksichtigung finden. sich so die Welt gestalten können, wie es ihrem We- und dann kamen 14 Jahre Vollzeit-Mama- viel zu tun!
sen gerecht wird. Als Mädchen-Mama möchte ich sein, in denen ich unglaublich viele Kom- Was können Familien sich in punkto Barbara Tóth
Die Rettung des kindlichen Ichs meiner vierjährigen Tochter dieses Verständnis von petenzen erworben habe. Ich finde, dass Journalistin und
Die Schriftstellerin Hedy Wyss hat in der Zeit- Souveränität und Mut weitergeben. Und dazu gehört Frauen, die Mamasein als erfüllende Voll- Krisenbewältigung von Pippi abschauen? Historikerin
schrift EMMA einmal geschrieben: „Pippi Lang- vor allem, dass man mit der richtigen Portion Selbst- zeitstelle erleben, sich heutzutage kei- Tóth: Pippi ist spontan, frech, lustig und eine Meisterin
strumpf zeigt, wo die Befreiung der Frau ihre bewusstsein, Authentizität und Eigenverantwortung nesfalls schlecht fühlen sollen. der Improvisation. Und sie verliert nie den Humor.
Wurzeln hat: in der Befreiung des Kindes“. Pippi im Leben immer selber das Ruder in der Hand hat.
ist unabhängig, sich selbst gerecht, sie lässt sich Pippi ist den bürgerlichen Müttern ein Dorn im Auge. Inwiefern
nicht verbiegen oder manipulieren. Sie lobt sich taugt sie aktuell als Vorbild für unsere Töchter (und Söhne)?
selber und macht sich nicht von der Zustimmung Tóth: Pippi schlägt zwar oft über die Stränge, aber ich finde Grenzen ausloten
anderer abhängig. Von so viel Selbstgefühl können gehört zum Leben dazu. Sie ist außerdem unkonventionell und unordentlich. Aber
viele Große nur träumen. Denn in Wirklichkeit gleichzeitig selbstständig und insofern ein tolles Vorbild für Kinder. Frauen nei-
verkörpert Pippi nichts anderes als die Ideale eines gen dazu, im Haushalt alles perfekt zu machen und tun sich oft schwer damit,
emanzipierten Erwachsenen – egal ob Mann oder Aufgaben abzugeben. Dabei tun wir gut daran, mehr zu delegieren, unsere Kinder
Frau. Insofern könnte Emanzipation für uns alle einzuspannen und so zur Selbständigkeit zu erziehen.
bedeuten, wieder etwas mehr Pippi zu sein.
Also uns so anzunehmen, wie wir sind und uns Pippi nimmt Krummeluspillen, um nie erwachsen zu werden. Mit
vor allem auch zu trauen, für unsere Bedürfnisse welchen Hilfsmitteln wecken Sie das Kind in Ihnen?
Tóth: Meine beiden Kinder erinnern mich immer wieder an meine eigene Kindheit
gerade zu stehen. �
und das ist im Alltag unglaublich heilsam.
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