Page 58 - 2004_Elternheft

MOMS ONLY
Ich hasste meinen
Stiefsohn!
Ich muss es leider zugeben: Ich habe Micki von
dem Augenblick an gehasst, als klar war, dass er
fix bei uns leben würde, da ich nun nicht mehr
so viel Zeit alleine mit meinem Mann hatte. Wir
waren damals gerade erst ein Monat verheiratet.
Dazu kam, dass sich seine Mutter aus dem
Staub gemacht hatte. Ich war mit der Situation
sehr überfordert, weil da plötzlich ein „fix ferti­
ges“ Kind war, das natürlich von seinem damali­
gen Umfeld geprägt war. Zusätzlich zeigte mein
Stiefsohn Verhaltensweisen, die mich an meine
Grenzen gebracht haben. Mittlerweile ist es die
Pubertät, seine Antriebslosigkeit, seine
Schlappheit, viele Lügen, und dass er sich im­
mer alles so richtet, wie er es möchte. Rück­
blickend war ich wohl nicht sehr angenehm. Ich
wurde oft laut, war ungeduldig und habe meine
negativen Gefühle sehr deutlich gezeigt. Außer­
dem musste ich noch verarbeiten, dass mein
eigener Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging.
Micki hat anfangs still bis gar nicht auf mein
Verhalten reagiert. Mittlerweile entstehen große
Streitereien, mit Geschrei von beiden Seiten und
sehr viel Wut. Dennoch schaffen wir es früher
oder später, uns zu versöhnen. Mein Mann hat
einerseits versucht mich zu verstehen, anderer­
seits hat er mir auch Grenzen gesetzt. Schließ­
lich ging es ja gegen sein Kind. Das hatte viele
Streitereien zwischen uns zur Folge, was meine
Hassgefühle gegen Micki noch verstärkte. In
den letzten 10 Jahren habe ich mich mit der Si­
tuation arrangiert und sie akzeptieren gelernt.
Sehr schwierig ist es jetzt wieder, da er eben in
der Pubertät ist. Aber da hadert mein Mann Nina, 43
mindestens genauso damit wie ich. Prinzipiell verheiratet,
liebe ich meinen Stiefsohn und ich würde alles Stiefsohn Micki
für ihn tun, ihn unterstützen, begleiten und mich
für ihn einsetzen. Aber in Konfliktsituationen,
wo er sehr massiv werden kann, kommt auch
manchmal noch der Hass hoch. Wir waren alle
von Beginn an in diversen Therapien. Geholfen
hat es anfangs weniger, mit der Zeit konnte ich
mein Verhalten reflektieren und kontrollieren.
Ich hadere jetzt sehr mit meiner damaligen Art.
Ich wusste, dass ich unfair zu Micki war, aber in
der Situation, war es mir nicht anders möglich.
Weitere Infos zum Thema finden Sie auf
www.familiii.at/momsonly
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gut erinnern, als meine damals
4-jährige Tochter mir drei Mal ins
Gesicht gespuckt hat. In mir schoss
blanker Zorn hoch, den ich kaum
beherrschen konnte. Ein ähnliches
Gefühl hatte ich, als sie als Achtjäh-
rige die Auto-Türe gegen die Stange
eines Verkehrsschildes gedroschen
hat und frech meinte: „So, jetzt ist die
Tür kaputt“. Eigentlich habe ich in
diesem Moment ihr Verhalten gehasst,
aber nicht die ganze Person meiner
Tochter.“
In solchen Situationen gibt es keinen
Grund, Schuldgefühle zu haben.
Anders sieht es aus, wenn Ablehnung
und Hass ein Dauerzustand sind.
Dann sollte die Mutter professionel-
le Unterstützung suchen. Denn die
Auswirkungen auf das Kind können
ausgesprochen traumatisch sein.
Wenn Sie das Kind einer solchen
Mutter sind, machen Sie sich klar,
dass Sie schweren seelischen Miss-
handlungen ausgesetzt waren, die mit
großer Wahrscheinlichkeit auch Ihr
jetziges Leben beeinträchtigen. Wenn
Sie ein Mutter sind, die ihr Kind hasst,
gestehen Sie sich ein, dass Sie Hilfe
brauchen. Denn kein Kind verdient es,
auf diese Weise abgelehnt zu werden. �
Foto: Shutterstock , Privat Welche Wirkung hat der Hass der Mutter auf das
familiii 04 2020
MOMS ONLY
„Es gibt nichts Schlimmeres, als von der
Mutter abgelehnt zu werden“
Mag. Ulrike Kriegler, Lebens und Sozialberaterin, Wien, über die Gründe,
warum Mütter negative Gefühle bis hin zum Hass für ihre Kinder empfinden.
Und wie betroffene Frauen gegensteuern können.
Was sind die Gründe dafür, dass eine Mutter ihr zurück, werden misstrauisch, unzugänglich und verschlos­
Kind hasst? sen. Aggressivere Kinder reagieren mit Angriff, Beschimp­
Totale Überforderung, die Beziehung zum Kindesvater, Eifer­ fungen, Schlägen auf die Mutter, werfen Gegenstände oder
sucht auf das Kind, welches volle Aufmerksamkeit und Zu­ machen Dinge kaputt. Ab einem gewissen Alter wird auch
neigung bekommt, ständige Kritik von außen an der Mut­ das Davonlaufen ein Thema. Für die spätere Entwicklung
terrolle, das Kind entspricht nicht den Erwartungen, weil es des Kindes ist das Fehlen der Mutterliebe eine harte Belas­
körperlich, geistig oder optisch benachteiligt ist. Das Kind tung, weil das Kind nicht gelernt hat, Liebe zu empfangen
zeigt Verhaltensauffälligkeiten, welche die Mutter ständig und in weiterer Folge zuzulassen.
an ihre Grenzen bringen. Zum Beipiel können Schreibabys
ein wahrer Terror sein. Es kommt vermehrt zu Sind diese Hassgefühle in der Regel
Streit, der Vater verbringt mehr Zeit im Büro Momente, eine Phase oder können sie
und vermittelt der Mutter, dass sie alleine mit auch ein Dauerzustand sein?
der Situation zurechtkommen muss. Der Part­ Ich denke, dass momentane Hassgefühle
ner beginnt eine Außenbeziehung und löst in fast jeder Mutter­Kind­Beziehung vor­
damit schwere Kränkungen aus. Das Kind kommen und auch ganz normal sind. Natür­
wird vom Vater oder von anderen naheste­ lich kann das auch über einen längeren Zeit­
henden Personen abgelehnt, es ist frech, for­ raum, wie bei einem Schreibaby, in der Trotz­
dernd, aggressiv oder beleidigend. Die Liste phase, oder in der Pubertät zutreffen. Hasst
ist nicht vollständig, soll aber verdeutlichen, eine Mutter ihr Kind grundsätzlich, kann das
dass es oft sehr schwierig ist, die Liebe und zu schweren Traumatisierungen führen. Es
Zuneigung aufzubringen, die gesunde Mutter­ gibt nichts Schlimmeres, als vom wichtigsten
liebe erfordert. „Forschen Sie nach, Menschen – der eigenen Mutter – abgelehnt
woher der Hass zu werden.
Wie kann sich Hass in der kommt.“
Mutter-/Kind-Beziehung äußern? Suchen diese Mütter Hilfe?
Es kommt zu weniger körperlicher Nähe, die Ulrike Kriegler Wenn die Verzweiflung über das eigene Un­
Kommunikation wird auf das Notwendigste www.move-your-mind.at vermögen, sein Kind zu lieben, zu groß wird,
beschränkt und Streitigkeiten mehren sich. holen sich manche Frauen Hilfe. In weiterer
Oft gibt es sogar Handgreiflichkeiten und es Folge steht immer die Frage im Raum, woher
fallen Sätze wie: „Du bist schuld, dass ich ... diese negative Emotion kommt, und wie weit
ohne dich hätten wir diese Probleme nicht ... sie überhaupt mit dem Kind selbst zu tun hat.
du bist zu nichts nutze ... ich wünsche mir, ich hätte dich
nie geboren“ oder umgekehrt als Reaktion des Kindes: „Ich Soll in solchen Fällen das Kind auch mitbehandelt
hasse dich, Mama, ich will nur mehr weg hier ... kein Wun­ werden?
der, dass Papa dich verlassen hat ... seine neue Freundin Nein, es ist die Emotion der Mutter, die eine Belastung dar­
ist viel cooler als du ... viel hübscher ist sie auch ...“. Sol­ stellt. Das Kind ist nicht die Ursache der negativen Gefühle,
che Dialoge wirken unglaublich zerstörerisch und können sondern nur ein Auslöser. Sobald die Mutter ihre Denk­ und
schwere seelische Verletzungen auslösen, die oft ein Leben Sichtweise verändern kann, verändert sich auch die Bezie­
lerdings zu groß ist, wäre die Unterbringung in einer liebe­
lang nicht verarbeitet werden.
hung zu ihrem Kind. Wenn der Hass seitens der Mutter al­
vollen Pflegefamilie zu überlegen. Das ist zwar nicht ideal,
Kind?
stellt aber unter Umständen für alle Beteiligten die beste
Sensible Kinder ziehen sich oft gänzlich in ihre innere Welt Lösung dar.
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