Page 24 - 200708_Elternheft
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„Wir können unsere Kinder von klein auf dabei
unterstützen, Unperfektheiten zu akzeptieren,
indem wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und
Verständnis zeigen!“
Die klinische Psychologin Tanja Kieselbach erzählt, warum Scham oft ein Tabuthema
ist, worüber wir uns schämen und wie Scham uns schaden, aber auch nützen kann.
Warum fällt es Menschen so schwer, ihre verletzli- Banalitäten sein mögen, bedeuten sie für unsere Kinder die
che Seite zu zeigen? Welt. Offene, transparente Gespräche führen, Aufklärungs-
Tanja Kieselbach: Scham ist wie eine Maske, die man sich arbeit betreiben. Ich denke, das sind wichtige Schritte in die
anziehen kann, wenn man vor allem Schuld, Reue oder Un- richtige Richtung.
behagen empfindet. Sie versteckt mein wahres Gesicht und
vor allem auch sozial unerwünschtes Verhalten. In der Regel Wie lernen wir von klein auf, unsere Mitmenschen
agieren wir so, wie es die Mehrheit der Menschen für ange- in ihrem Wert bestehen zu lassen, um
messen empfindet, weil wir sozial nicht abgelehnt, sondern Bloßstellung und Beschämung zu vermeiden?
gemocht und geliebt werden möchten. Kieselbach: Ist es für Eltern wichtig, dass ihre Kinder selbst-
bewusst aufwachsen, NEIN sagen lernen, zu sich und ihrem
Worüber schämen wir uns denn typischerweise? Körper zu stehen, Fehler zu akzeptieren und Unterschiede
Kieselbach: Scham ist ein sehr individuel- zwischen Menschen zu tolerieren, dann ler-
les Gefühl. Manche Menschen schämen nen Kindern automatisch mit Gefühlen der
sich allein beim Gedanken sich nackt zu Bloßstellung und Beschämung adäquat umzu-
zeigen, andere empfinden Scham, wenn gehen. Vorbereitung, Aufklärung und Transpa-
Sie vor der Klasse ein Referat halten, wie- renz sind hier die Schlüsselworte.
der andere, wenn Sie einfach nur das Wort
„Nein“ laut aussprechen sollen. Abgese- Was können wir gerade Pubertieren-
hen von der Körperscham ist Scham an- den mitgeben, damit sie die eigenen
trainiert bzw. von der Umwelt abhängig. Unzulänglichkeiten akzeptieren?
Es handelt sich also um Gefühle, wie existen- Kieselbach: Je früher ein transparenter und
tielle Scham, Idealitätsscham oder Kompe- aufklärender Umgang im Familienverband ge-
tenzscham. handhabt wird, desto eher verinnerlichen Kin-
„Anders sein oder
Schwäche werden in der gewisse Grundhaltungen und Werte. Ehr-
Inwiefern kann Scham im Zwischen- lich zu bleiben, auch unangenehme Themen
menschlichen schädlich sein? unserer Gesellschaft innerhalb der Familie zu besprechen kann hel-
Kieselbach: Der Selbstbewusste kann ganz oft als Problem fen, dass Kinder oder Jugendliche sich selbst
einfach den weniger Selbstbewussten be- gesehen!“ so annehmen wie man ist und den Fokus auch
einflussen. Wer immer gesagt bekommt: „Du auf Positives legen.
kannst nichts!“ oder „Schau dich an, mit Tanja Kieselbach
deinen krummen Füssen!“, bekommt bereits Psychologin und Warum tun wir uns mit Schwächen
im Kindesalter ein minderwertiges Selbst- Persönlichkeitstrainerin so schwer?
wertgefühl eingebläut. Hört man hingegen www.psychologin- Kieselbach: Anders sein oder Schwäche wer-
von klein auf stets: „Du bist aber stark und kieselbach.at den in der Gesellschaft oft als Problem ge-
mutig!“ oder „Du bist schön und schlau und sehen. In Wahrheit haben wir einfach Angst
alle mögen dich!“, wirst du später vor Stolz davor, wie wir mit dem „Anderssein“ umgehen
und Selbstbewusstsein nur so strotzen. Dieses antrainierte sollen und schalten daher auf Vermeidung. Das wiederrum
Selbstbewusstsein kann freilich leicht manipulativ einge- löst soziale Ablehnung beim Betroffenen bzw. eben Scham Foto: privat
setzt werden. aus. Weil der andere das Gefühl vermittelt bekommt, nicht
akzeptiert zu sein. Scham nicht als Zeichen von Schwäche
Wie kann Scham unser Miteinander stärken? zu sehen, hängt stark vom eigenen Selbstwert und vom ei-
Kieselbach: Wir können auf jeden Fall bereits unsere Kin- genen Selbstkonzept ab. Das hat vor allem damit zu tun, wie
der dahingehend unterstützen, Unperfektheiten zu akzep- Menschen sich selbst sehen und beschreiben und welche
tieren, indem wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und Auswirkungen diese individuellen Bilder von sich selbst auf
Verständnis zeigen. Auch wenn es für uns Erwachsene oft ihr Handeln, Denken und Fühlen haben. �
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